In Bonn untersucht Prof. Weller Rückgaben von „NS-Raubkunst“ aus rechtlicher Perspektive. Ein Interview über Erfolge und dezentrale Strukturen.

Wo sehen Sie NRW bei Provenienzforschung und Restitution?

An den Universitäten und Museen des Landes gibt es nach meiner Wahrnehmung ein großes Engagement. Es ist aber dann auch gerade in den Museen eine Frage der Ressourcen. Nach 20 Jahren Washingtoner Prinzipien ist viel passiert, aber wir verfügen noch nicht über eine vollständige Aufstellung der Restitutionsfälle. Es ist wichtig, dass wir das ändern. Wir brauchen ein klares Bild dazu, wo wir stehen. Auch und gerade für das Gespräch mit Anspruchstellern und ihren Vertretern.

Prof. Dr. Matthias Weller, Professor für Bürgerliches Recht, Kunst- und Kulturgutschutzrecht an der Rheinischen Friedrich Wilhelms-Universität Bonn
Prof. Dr. Matthias Weller, Professor für Bürgerliches Recht, Kunst- und Kulturgutschutzrecht an der Rheinischen Friedrich Wilhelms-Universität Bonn © Universität Bonn | Meike Böschemeyer

Warum fehlt es da an Einheitlichkeit, an landes- wie bundesweiten Zahlen?

Anders als in anderen Staaten ist der Prozess der Restitution hier von Anfang an dezentral organisiert gewesen. Darin liegt auch ein Gutes: Jedes Museum musste sich mit dem eigenen Bestand und Erwerbsgeschichten intensiv auseinandersetzen. Es wird aber zunehmend deutlich, dass dies auch zu einer uneinheitlichen Praxis und zu einer unvollständigen Datenlage führt. Zum Teil sehen die Museen auch datenschutzrechtliche Restriktionen bei der Weitergabe der Daten zu ihren Restitutionsfällen an zentrale Stellen.

Alles ein Problem der dezentralen Strukturen, das sich lösen ließe?

Zum Teil rührt die Fragmentierung auch aus der föderalen Struktur. Die Länder könnten aber auch darüber nachdenken, eigene Restitutionskommissionen einzurichten, bei denen zumindest landesweit alles zusammenläuft.

Was wäre dadurch gewonnen?

Dies hätte auch den Vorteil, dass Museen, ihre dezentralen Träger, Städte und Gemeinden entlastet würden. Sie müssten nicht mehr in eigener Sache, also über die Restitution aus eigenen Beständen, entscheiden. Und solche zentralen Landeskommissionen könnten besser Expertise konzentrieren und dann auch einheitlich im Abgleich mit ihren anderen Entscheidungen vorgehen. Außerdem gibt es immer noch vielfach umfassend vertrauliche Restitutionsvereinbarungen. Auch wenn dies nicht selten die Anspruchsteller wünschen und dies manchmal sicher ein gangbarer Weg ist, bleibt doch ein Defizit.

Ein Defizit inwiefern?

Die Öffentlichkeit sollte von den hier unternommenen Wiedergutmachungsanstrengungen erfahren und diese beobachten können. Die Identität der Anspruchsteller muss natürlich umfassend geschützt werden. Dies kann man aber häufig dadurch erreichen, dass in veröffentlichten Restitutionsentscheidungen die Klarnamen nicht genannt werden. So handhaben es mit gutem Erfolg die Niederlande für die Entscheidungen ihrer zentralen Restitutionskommission. In der Washingtoner Erklärung von 1998 hat sich Deutschland moralisch verpflichtet, NS-Raubkunst an die rechtmäßigen Eigentümer zurückzugeben.

Warum gibt es eigentlich keine rechtlich bindende Vereinbarung?

Ein völkerrechtlicher Vertrag wäre nicht erreichbar gewesen. Gerade die Offenheit der Washingtoner Erklärung und ihre Beschränkung „nur“ auf moralische Appelle hat zu ihrem großen Erfolg in der Anzahl der teilnehmenden Staaten und zu ihrer praktischen Wirksamkeit in zumindest einigen dieser Staaten geführt. Zu diesen Staaten gehört auch Deutschland. Natürlich gibt es eine Reihe an Staaten, die bisher nicht sehr aktiv geworden sind. Trotzdem ist der Prozess, der nach den Washingtoner Prinzipien in Gang gekommen ist, insgesamt beeindruckend – ein Lehrstück dafür, was „soft law“ erreichen kann.

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Was könnte heute denn gesetzlich noch getan werden?

Man müsste datenschutzrechtlich die Provenienzforschung, vor allem die zentrale Erfassung von Daten, ausdrücklich absichern. Hierzu wirft die EU-Datenschutzgrundverordnung den Mitgliedstaaten direkt den Ball zu. Sie regt dazu an, Sonderregeln zu schaffen für die historische Erforschung totalitärer Unrechtsregime, insbesondere des Holocaust. Dann kann man an das Kaufrecht denken. Aufklärungspflichten des Verkäufers zur Provenienz könnten klarer geregelt sein. Verfolgungsbedingter Entzug in der NS-Zeit sollte auch als Sachmangel gelten.

Also kein Restitutionsgesetz?

Ein allgemeines Restitutionsgesetz, wie es manchmal mit Blick auf die Washingtoner Prinzipien gefordert wird, brauchen wir nicht. Andere Länder haben solche Gesetze, etwa Österreich. Wichtiger wäre eine systematische Erfassung und Kommentierung der Restitutionspraxis, der einzelnen Entscheidungen.

Ethnographische Werke und Objekte werden zunehmend auf ihre Provenienzen untersucht. Inwiefern unterscheiden sich Restitutionen im Kontext von NS-Verfolgung und Kolonialisierung?

Im nationalsozialistischen Unrechtskontext lassen sich individuelle Anspruchsteller identifizieren, und die Wiedergutmachung ist dann die Restitution an diese Anspruchsteller. Im Kolonialkontext ist das sehr viel schwieriger, da geht es vielfach um Rückgaben an Ethnien, Kollektive, an Bevölkerungsgruppen als Repräsentanten individuell nicht mehr identifizierbarer Opfer. Natürlich liegen die Fälle zeitlich sehr viel weiter zurück. Beim Thema koloniale Raubkunst sind wir noch weit entfernt von einer Vereinbarung, die der Washingtoner Erklärung nahekommt. Vielleicht müssen hier auch ganz andere Wege gefunden werden.