„Vom Leben und Sterben“ haben Anne und Nikolaus Schneider ihr Buch genannt, in dem es um den Tod der Tochter und die Frage der Sterbehilfe geht.
Im kommenden Jahr werden Anne und Nikolaus Schneider Goldene Hochzeit feiern. Nicht nur an diesem Tag wird das Theologenpaar Rückschau halten auf einen Lebensweg, der sie auch mit Grundfragen des Lebens und Sterbens konfrontierte. Sie waren mit dem Tod einer ihrer drei Töchter konfrontiert, Anne Schneider überwand eine lebensbedrohliche Erkrankung. Darüber haben sie ein Buch geschrieben – und sich mit NRZ-Redakteur Stephan Hermsen unterhalten.
Wie geht es Ihnen heute, Frau Schneider?
Anne Schneider: Es ist jetzt fünf Jahre her, dass ich die Diagnose „Aggressiver Brustkrebs“ bekommen habe. Die darauf folgenden drei Monate waren heftig, weil ich gedacht habe, ich müsse mich mit meinem nahen Tod auseinandersetzen. Dann war klar, dass Chemotherapie und die Behandlung mit Antikörpern gut anschlugen. Jetzt aber bin ich seit dreieinhalb Jahren behandlungsfrei, und es geht mir auch körperlich so gut, dass ich das Leben sehr genieße. Für mich ist das ist ein unverdientes Geschenk, und ich denke, die Behandlungsquälerei hat sich gelohnt. Selbst wenn sich jetzt bei der nächsten Kontrolle ein neuer Krebs-Befund einstellen sollte.
Für Sie stimmt also die Bilanz? Die Quälerei mit der Chemotherapie hat sich gelohnt?
Die Autoren, das Buch
Anne und Nikolaus Schneider im Gespräch mit Wolfgang Thielmann: „Vom Leben und Sterben - Ein Ehepaar diskutiert über Sterbehilfe, Tod und Ewigkeit“, Neukirchener Verlagsgesellschaft, 14,99 Euro.
Anne Schneider hat als Lehrerin gearbeitet, Nikolaus Schneider war u.a. Präses der evangelischen Kirche im Rheinland und Ratsvorsitzender der evangeli
Anne Schneider: Meine relative Gesundheit empfinde ich als ein dünnes Eis. Aber ist unsere Gesundheit das nicht immer? Deshalb mache ich vielen Leuten Mut, sich auf eine solche Behandlung einzulassen. Obwohl ich auch Mitpatientinnen erlebt habe, bei denen die Chemo nicht gewirkt hat oder die nach der Chemo gestorben sind. Ich selbst würde es mir immer vorbehalten, eine qualvolle Behandlung abzubrechen. Vor allem, wenn sie keine heilende Wirkung hat und allein das Leben verlängert.
Und wie geht es Ihnen, Herr Schneider?
Nikolaus Schneider: Körperlich meinem Alter entsprechend. Und wenn ich an mich und meine Frau denke: Es war die richtige Entscheidung, mit den Funktionen und Ämtern aufzuhören. Ich habe Ehrenämter übernommen, halte Gottesdienste, und Anne und ich werden angefragt zu Vorträgen und Diskussionsrunden. Ich muss immer noch einen Terminkalender führen und aufpassen, dass ich nicht zu viel mache.
Sie schauen so, als würde er immer noch ein bisschen zu viel machen.
Anne Schneider: Grundsätzlich finde ich es gut, dass wir „noch so gefragt“ sind und dass wir viele Dinge gemeinsam machen. Bei unseren dialogischen Vorträgen und Bibelarbeiten etwa finden viele Menschen es anregend, wenn wir deutlich machen: Über Gottesvorstellungen und deren Konsequenzen für unser Leben kann man respektvoll streiten. Auch bei Predigten von Nikolaus ist es so, dass wir viele Texte gemeinsam erarbeiten. All das ist ein ganz wesentlicher Punkt unserer Zweisamkeit. Dazu gehört auch unsere Zeit mit unseren Enkeln und die Pflege von Freundschaften. Deshalb finde ich, wir sind zu viel unterwegs und haben zu wenig Zeit für Konzerte, Kino, Theater und das ganze kulturelle Angebot in Berlin.
Klingt, als ob Ihre Frau für ein bisschen mehr Ruhestand wirbt, Herr Schneider?
Nikolaus Schneider: Ich kann einfach schlecht „nein“ sagen. Die Gründe dafür sind eine Mischung aus: Wie schön, dass Du auch mit über 70 noch gefragt bist. Das schmeichelt ja der Eitelkeit. Und zum anderen: Die Themen und die Fragenden sind uns wichtig! So ist etwa die Beschäftigung mit Tod, Sterben und Glaubenshoffnung ein Lebensthema für uns geworden, als unsere Tochter Meike im Alter von 22 Jahren starb. Wenn deshalb Palliativgruppen oder Hospizvereine anfragen, dann wollen wir möglichst nicht Nein sagen.
Sehr bewegend fand ich die Schilderung des Todes ihrer Tochter Meike – wo Sie aber sagen: Der Verlust eines Kindes ist schlimm, aber womöglich wäre der Verlust des Partners noch schlimmer. Weil Sie zusammen leben, lieben, arbeiten.
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Anne Schneider: Das sich Arrangieren mit dem zu frühen Tod von Meike ist etwas anderes als die Akzeptanz eines Todes in hohem Alter. Beim Tod von Kindern und Jugendlichen denke ich: Da ist noch so viel ungelebtes Leben. So viele unerfüllte Wünsche und Hoffnungen. Deshalb zerreißt es mir immer noch das Herz, wenn ich an Meikes traurige Augen denke, als ihr klar wurde: Ich werde sterben.
Aber auf mich und mein eigenes Leben bezogen gilt: Meike gehörte nicht mehr zu meinem Alltag und zu meinem Alltagsglück. Sie war ja schon aus dem Haus zu dem Zeitpunkt, als sie die Diagnose „Leukämie“ bekam. Wir haben Kontakt zu verwaisten Eltern und viele sagen, der Tod meines Kindes ist das Schwerste, was einem Menschen widerfahren kann. Das kann ich für mich nicht sagen. Ich habe große Angst, meinen Mann zu verlieren, denn er ist Teil meines Alltages und meines Alltagsglücks.
Sie sagen in Ihrem Buch: Jeder muss sich mit seiner Sterblichkeit auseinandersetzen.
Nikolaus Schneider: Wir meinen es nicht so, dass man sich jeden Tag vor Augen führen muss, dass man sterblich ist und sterben muss. Das tun auch wir nicht. Dann hätten Tod und Sterben zu viel Macht über unser Leben. Aber uns ist bewusst, dass wir eine begrenzte Lebens-Zeit haben. Wir verstehen diese Zeit als ein großes Geschenk, damit wollen wir bewusst umgehen. Wir wollen unsere Zeit nicht verschwenden, beispielsweise nicht durch kleinliche Streitereien. Wir versuchen, auch in unseren Alltagen das Leben zu feiern.
Anne Schneider: Etwa wenn wir am Abend mit Freunden bei einem guten Essen, einem guten Wein und mit guten Gesprächen zusammensitzen.
Nikolaus Schneider: Mit dem Geschenk des Lebens sind für mich aber auch Verantwortlichkeiten und Aufgaben verbunden. Neben dem Feiern des Lebens wollen wir unsere Gaben und Kräfte auch für andere Menschen und für politische Visionen von Frieden und Gerechtigkeit einsetzen.