Am Strand spült das Meer Kolumnist Matthias Maruhn Bilder vor die Füße: Vom Klimawandel, Krieg in Syrien und Sorgen wegen der „Neuen Rechten“.
Die Ruhe auf dem Foto täuscht. Denn Ritter Nick, mein ältester Enkel, der immer noch Helm und Schwert liebt, allerdings inzwischen auch eine Karriere als Spiderman nicht ausschließen will, springt zwei Wimpernschläge später hektisch auf, er will mit Papa Kanäle durch den Sand schaufeln. Das ist am Strand normal. Ein guter Großvater lässt der Jugend ihren Lauf, ihm bleibt ja auch noch Bruder Lexi, kleine sieben Monate alt, der fühlt sich wohl auf Opas Arm, kommt ja auch ohne fremde Hilfe nicht weg.
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Lexi hat einen neuen Spitznamen. Nachdem er zuerst Little Buddha hieß, weil er so zufrieden in seine Pausbäckchen lächeln kann, kam es jetzt zur Umbenennung, als wir den Enkel bei der Erstaufnahme fester Nahrung beobachten durften. Wie er so das Gemüse mit den Fingern nimmt, vor seinem Auge dreht, als wollte er es gegen das Licht halten, es dann zaghaft in den Mund schiebt und schließlich für gut befindet, da entspringt es meiner Frau spontan: „Professor Brokkoli.“ Das passt. So heißt er jetzt.
Die Wellen spülen Bilder vor die Füße
Ich sitze also mit dem Professor auf der Sandbank, glotze ins weite Nichts, und es geschieht, was immer am Meer geschieht: Die Wellen spülen mir Bilder vor die Füße. Und es sind nicht nur Fotos von Strandpartys und Badespaß. Auf dem ersten ist Herr Kalupahana zu sehen. Ein älterer Mann, den ich auf Sri Lanka getroffen habe, als ich vor 15 Jahren über den Tsunami dort berichtet habe. Die große Welle hatte seinen Sohn Roshan mitgenommen, 22 Jahre, der versucht hatte, seine Schwestern zu retten.
Dem Vater kommen beim Erzählen die Tränen, ich versuche ihn zu trösten, wie Männer so trösten, ich lege ihm eine Hand auf die Schulter. So stehen wir, und das Bild ist für immer. Ich denke stets am Meer an ihn, ebenso wie ich seither nie wieder einen Strand betreten habe, auf dem ich nicht als Erstes nach einer möglichst nahen rettenden Anhöhe spähe. Für den Fall der Fälle. So auch hier. Gar nicht so leicht auf Römö, der kleinen, äußerst flachen dänischen Insel nahe Sylt.
Das Leben zieht weiter...
Auf dem nächsten „Meerbild“ ist Alan Kurdi zu sehen. Der syrische Junge, seine Leiche am Strand, ein Foto, das für die Tragödie namens Flucht auf der ganzen Welt steht. Ich habe jetzt gelesen, dass der Vater, der auch seine Frau und den zweiten Sohn bei dem Unglück verlor, wieder geheiratet hat und wieder Papa wird. Eine gute Nachricht? Schon, aber ein wenig bitter schmeckt sie auch. Das Leben zieht weiter…
Der Professor gähnt. Schluss jetzt. Ich schicke kräftige Herren in mein Oberstübchen, die alle schweren Gedanken ins Hinterzimmer tragen. Aber auf dem Rückweg bringen sie gleich neue mit nach vorne. Da ist ja immer noch der Klimawandel, richtig, der neue Krieg in Syrien und dann dieses Wahlergebnis vom Sonntag.
Viele Sorgen wegen der Rechten
Ich hätte nie geglaubt, dass ich mir nochmal so viele Sorgen wegen dieser Rechten machen müsste. Ich will diese Typen nicht. Ich will das Dunkel nicht, das sie mit sich bringen. Meine Enkel sollen im Licht wachsen, dort, wo die Freiheit wohnt.
Ich stemme mich mühsam aus dem Sand und drücke das Professorchen für einen Moment ganz fest an mich. Wir passen schon auf euch auf, flüstere ich ihm ins Ohr. So, komm, jetzt lass uns nach Hause gehen. Es ist auch gleich Zeit fürs Mittagessen. Rate mal, was die Oma für dich gekocht hat.