An Rhein und Ruhr. Wir haben SPD-Vertreter aus verschiedenen Städten an einen Kneipentisch geholt - und sie bereits jetzt über den Bundesvorsitz abstimmen lassen.
Sie sind viele Stunden neben ihrem Beruf für ihre Partei unterwegs, engagieren sich für Gerechtigkeit und gute Lebensbedingungen in den Städten an Rhein und Ruhr, stehen auf den Marktplätzen und stellen sich den auch manchmal harschen Diskussionen mit den Bürgern. Ihre Hoffnung ist nun, dass ein neuer SPD-Vorsitz im Bund der Parteibasis in den Kommunen mehr Unterstützung zukommen lässt. Doch wer soll die SPD anführen? Wie muss sie sich verändern? Das diskutierte die NRZ mit Vertretern der SPD aus Neukirchen-Vluyn, Moers, Oberhausen, Duisburg und dem Kreis Wesel am Kneipentisch. Und das zum Teil sehr kontrovers.
Die Entscheidung, wer den Vorsitz der SPD nach dem Rücktritt von Andrea Nahles übernehmen soll, ist auch eine kleine Richtungswahl: Wird der zukünftige Kurs eher ein Kurs der Mitte oder ein stark linker Kurs? Wird die Große Koalition halten oder steigt die SPD aus?
Sozialdemokratischen Inhalte in den Fokus stellen
Thorsten Berg, SPD-Mitglied aus Oberhausen, zeigt sich ein wenig genervt von der Personal-Debatte. „Es ist gut, dass dieser Prozess am Jahresende zu Ende ist, denn dann können wir uns mit den Inhalten beschäftigen“, sagt er.
Benedikt Lechtenberg, Vorsitzender der Jusos, der Jugend-Organisation der SPD, im Kreis Wesel und Vorstandsmitglied der SPD Hünxe meint, dass die SPD glaubwürdige Personen braucht. „Wir brauchen eine Führungsspitze, die die Inhalte nach außen vermitteln kann.“ Elke Buttkereit, seit sechs Jahren Ortsvereins-Vorsitzende der SPD Neukirchen-Vluyn sieht in den Parteivorsitzenden „Mutter und Vater für die Partei, die alle Flügel mitnehmen müssen.“
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Anja Reutlinger, Vorsitzende des SPD-Ortsvereins Rheinkamp und stellvertretende Fraktionsvorsitzende in Moers, zeigt sich begeistert von der „großen Portion Debattenkultur“. „Die Mitglieder wollen beteiligt werden“, sagt sie voller Überzeugung. Die „moderne Debattenkultur“ beeindruckt auch Tim Kappelt, Mitglied der SPD in Duisburg. Er war zwei Jahre lang in Österreich, als er zurückkam, war er positiv überrascht. „Und ich bin beeindruckt, welche Kandidaten sich gefunden haben.“
Olaf Scholz beeindruckt in dieser Runde niemanden
Von Olaf Scholz ist an diesem Tisch allerdings niemand beeindruckt, schon gar nicht überzeugt. Das „personifzierte ‘Weiter so’“ sei er, ja gar „Stillstand“ würde er symbolisieren, sind sich die SPD-Diskutanten am Kneipentisch einig. Anja Reutlinger erinnert sich an Aussagen bei der Regionalkonferenz in Duisburg, bei der sich die Kandidaten vorstellten. Vier Minuten habe Olaf Scholz sich vorgestellt, Scholz’ Kandidatenpartnerin anschließend kurz und knapp gesagt, dass Olaf Scholz gut erklären könne, sie aber die Dinge auf den Punkt bringe. „Das fand ich unmöglich“, ärgert sich Anja Reutlinger. Scholz sei eben „ein Machtmensch“, findet Tim Kappelt. Und es sei doch klar, wer bei dem Duo Scholz/Geywitz „die erste Geige spielt. Das ist kein Duo auf Augenhöhe“, so Kappelt.
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Ein Duo hat dafür einige am Tisch positiv überrascht: „Gesine Schwan und Ralf Stegner waren Bombe!“, meint Elke Buttkereit. „Stegner war spritzig und witzig, die Frau war brillant!“ Nur: Buttkereit wünscht sich Kontinuität an der SPD-Spitze. Kurzum: Mit 76 Jahren sei Gesine Schwan zu alt. Tim Kappelt und Benedikt Lechtenberg stimmten ihr zu: „Das sind wichtige Köpfe für die SPD.“ Aber an die Spitze gehören sie für ihn nicht.
Das Duo Nina Scheer/Karl Lauterbach mochte in dieser Abendrunde auch niemanden überzeugen. „Scheer ist noch immer nicht bekannt genug geworden“, meint Lechtenberg. „Und Lauterbach ist ein nettes Kerlchen mit Fliege und ein Gesundheitsexperte. Aber ich kann ihn mir ehrlich gesagt nicht an der Spitzen der SPD vorstellen.“
„Die SPD muss ihre Kommunikation verbessern“
Thorsten Berg findet sich bei keinem der Kandidaten so richtig wieder. Er will „das kleinere Übel“ wählen. Sein Sohn Yannik hat sein Kreuzchen noch nicht gemacht, wird es aber noch tun. Er ist erst seit dieser Woche Mitglied der SPD in Oberhausen-Mitte. Er ist eingetreten, weil er nicht nur meckern, sondern auch selbst etwas verändern wolle, sag er. Er glaubt: Die SPD muss ihre Kommunikation grundlegend verbessern. Das fange bei den Internetseiten an. Die Themen müssten viel stärker zu den Bürgern transportiert werden. Das Problem dabei sei: „Die Bürger glauben uns nicht“, beklagt Tim Kappelt.
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Noch immer schwebe die Ära Schröder und die Agenda 2010 wie ein Damoklesschwert über der Partei. Die Hartz-IV-Reformen würden innerhalb der Partei strittig diskutiert, „aber dem müssen wir einen Riegel vorschieben, wir müssen über einen neuen Sozialstaat nachdenken“, sagt Benedikt Lechtenberg. Er ist 2009 in die Partei eingetreten. Die Partei, darin sind sich alle an diesem Tisch einig, müsse nach der langen Personaldebatte endlich wieder zur Sacharbeit zurückfinden, dabei sich aber nicht jedem Hype „hinterher werfen. Das Klima ist derzeit allgegenwärtig, aber wir sollten nicht auf die grüne Welle aufspringen, sondern unsere Kernthemen verfolgen“, sagt Tim Kappelt und zählt auf: die Rentenfrage, Kommunalfinanzen, Steuergerechtigkeit, Digitalisierung.
Rückt die SPD zu weit nach links?
Ja, auch der Klimaschutz spiele eine wichtige Rolle, hier müsse die SPD aber einen „sozialen Klimaschutz im Blick haben“ und die Frage: „Wer kann sich den Klimaschutz denn leisten?“. Thorsten Berg ergänzt noch: „Auch in der Flüchtlingspolitik brauchen wir Antworten, die wir bislang nicht haben.“ Ihm rückt die SPD zu weit nach links – zumindest in der Wahrnehmung. Man müsse den Bürgern wieder deutlich machen, was die SPD von den Linken unterscheide.
Die SPD-Basis erhofft sich von dem neuen Führungsduo der Partei „Rückenwind“ für die Kommunalwahl im kommenden Jahr. „Ich wäre froh, wenn wir uns bei über 20 Prozent stabilisieren würden“, sagt Elke Buttkereit. Von mehr wagen die Genossen derzeit nicht zu träumen, wohl aber von der neuen Führungsspitze Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken. Denn die beiden wurden mit 4 zu 2-Stimmen bei unserer Probeabstimmung am Ende der Gesprächsrunde gewählt. Eine Stimme gab es für Petra Köpping und Boris Pistorius, eine für Christina Kampmann und Michael Roth, die wohl am ehesten für einen Neuanfang der SPD stehen dürften. Wenn es am Ende für Borjans/Esken nicht reichen sollte, „dann können wir damit leben, weil es zuvor eine Debatte und Abstimmung der Parteibasis gab“, sagt Anja Reutlinger. Das sei eben Demokratie.