An Rhein und Ruhr. Nach einer Klagewelle ist die Zahl der verkaufsoffenen Sonntage im Jahr 2018 gesunken. Nun steigt sie wieder leicht an. Doch es gibt Probleme.

Mehr als eineinhalb Jahre nach der Lockerung des Ladenöffnungsgesetzes durch die schwarz-gelbe Landesregierung ist die Zahl der Klagen der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi gesunken. Nachdem Verdi 214-mal im Jahr 2018 vor Gericht zog, sind es im laufenden Jahr bislang 94 Klagen – obwohl für das Jahr 2019 wieder etwas mehr verkaufsoffene Sonntage geplant sind.

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In den Kommunen, die die Sonntagsöffnungen genehmigen müssen, gibt es allerdings noch immer Rechtsunsicherheit. In zwei Essener Stadtteilen sind jüngst verkaufsoffene Sonntage abgesagt worden, in Dinslaken verzichtet man kurzfristig auf das Apfelfest – doch die Geschäfte öffnen trotzdem. In diesem Fall sei das möglich, weil mit dem „Craft Beer Festival“ gleichzeitig eine weitere Veranstaltung stattfindet, erläutert ein Stadtsprecher.

Es könnte weitere Klagen von Verdi geben

Der Aufwand der Kommunen für die Begründungen pro verkaufsoffenem Sonntag sei nach der Klagewelle gestiegen, es müssen Stellungnahmen von verschiedenen Akteuren eingeholt werden, meint Marc Heistermann, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes Ruhr. Damit habe auch der Aufwand bei den Werbegemeinschaften und Veranstaltern zugenommen. Besonders kritisch sieht Heistermann die fehlende Planungssicherheit für die Händler.

In Mülheim hat die Rechtsunsicherheit dazu geführt, dass der Rat eine Dauerverordnung auch für die kommenden Jahre verabschiedet hat. „Den Veranstalterinnen wurde somit eine gewisse rechtliche Sicherheit für die Durchführung der verkaufsoffenen Sonntage ermöglicht und der Verwaltungsaufwand auf ein Mindestmaß reduziert“, teilt Jörg Eickhoff vom Ordnungsamt mit.

Verdi kündigt an, sich weitere Klagen vorzubehalten.

Kirchen wollen den Sonntag schützen

Die Evangelische Kirche im Rheinland sieht die Sonntagsöffnung nach wie vor kritisch. „Der Sonntag erinnert daran, dass die Würde der Menschen nicht an ihrer Leistung hängt“, sagt Sprecher Wolfgang Beiderwieden zur NRZ. „Sonn- und Feiertagsschutz ist keine Last, von der die Gesellschaft befreit werden muss, sondern ein heilsamer Tag der Ruhe.“ Man habe den Eindruck, dass sich der Gesetzgeber um eine vernünftige Lösung bemüht, meint Ulrich Lota, Sprecher des katholischen Ruhrbistums. Die Kirche halte nach wie vor an dem Sonntagsschutz fest, sehe den Sonntag aber auch als Teil der Freizeitgestaltung.

Verkaufsoffene Sonntage – wie hier in Dinslaken – gehören für Kunden zur Freizeitbeschäftigung, für die Gewerkschaften ist der Sonntag schützenswert.
Verkaufsoffene Sonntage – wie hier in Dinslaken – gehören für Kunden zur Freizeitbeschäftigung, für die Gewerkschaften ist der Sonntag schützenswert. © FUNKE Foto Services | Lars Fröhlich

Am kommenden Sonntag hätten die Geschäfte in Essen-Steele ihre Pforten öffnen wollen, doch nun die bleiben dicht. An diesem Tag sollte der Historische Handwerkermarkt stattfinden. Doch als der vom Veranstalter abgesagt worden ist, fiel damit der Anlass für den verkaufsoffenen Sonntag weg. Und eine Änderung des Anlasses sei aus zeitlichen Gründen sei nicht mehr möglich gewesen.

Mit diesen Problemen haben Händler und Kommunen immer mal wieder zu tun, wenn es um die Genehmigung von verkaufsoffenen Sonntagen geht. Der Verwaltungsaufwand sei, gegenüber der Zeit vor den Klagen durch die Gewerkschaft Verdi, leicht angestiegen, bestätigt auch ein Sprecher der Stadt Kleve.

Drei verkaufsoffene Sonntage in Kleve

In der niederrheinischen Hochschulstadt fühlt man sich durch die Landesregierung gut unterstützt. „Die rechtliche Reformierung des Ladenöffnungszeitengesetz NRW durch die neue Landesregierung hat zu einer erleichterten Antragstellung geführt“, meint ein Sprecher, sagt aber auch: „Der tatsächliche Behördenaufwand in Form der rechtlichen Prüfung des Antrages ist jedoch temporär gestiegen, da jeder einzelne Öffnungstag genauestens geprüft werden muss.“ Die Zahl der beantragten und genehmigten verkaufsoffenen Sonntage habe sich in Kleve nicht verändert: 2018 wurden vier Tage und 2019 drei Tage beantragt und genehmigt.

Auch in Mülheim öffnen die Geschäfte inzwischen nur noch an drei Sonntagen im Jahr. In den vergangenen Jahren waren die Läden hier allerdings an sieben Sonntagen geöffnet.

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Die Gewerkschaft Verdi spricht sich grundsätzlich für den Schutz des arbeitsfreien Sonntags aus, der im zunehmend stressigen Berufsalltag eine Ruheinsel darstelle. Verdi akzeptiere den Anlassbezug, erläutert Gewerkschaftssekretär Nils Böhlke. Bedeutet: Ein verkaufsoffener Sonntag soll nur stattfinden, wenn ein Fest oder ähnliches den Rahmen bildet. Weiteren Öffnungen ohne Anlassbezug, wie sie das Ladenöffnungsgesetz erlaubt, steht die Gewerkschaft ablehnend gegenüber.

Nach der Gesetzesänderung durch die schwarz-gelbe Landesregierung im Frühjahr 2018 sind pro Stadt oder Stadtteil acht verkaufsoffene Sonntage möglich. Damit ist die Zahl der möglichen verkaufsoffenen Sonntage gestiegen, was sich aber faktisch nicht bemerkbar mache, meint Marc Heistermann vom Handelsverband.

1317 verkaufsoffene Sonntage in NRW im Jahr 2019

Die Zahlen bestätigen diesen Eindruck: Im Jahr 2017 haben nach Angaben des NRW-Wirtschaftsministeriums 1380 verkaufsoffene Sonntage stattgefunden, 2018 waren es mit 1298 bereits weniger, 2019 seien 1317 geplant.

Sonntagsöffnungen in Holland

In unserem Nachbarland Holland dürfen die Geschäfte in den meisten großen und touristischen Städten prinzipiell sonntags öffnen, erklärt eine Sprecherin des Tourismusverbandes VVV Limburg. Die Öffnungszeiten werden durch die jeweilige Gemeinde festgelegt. Aber auch in Holland werde immer mal wieder Kritik laut, vor allem Gläubige plädieren dafür, die Geschäfte sonntags nicht zu öffnen. Auch kleine Unternehmen seien sonntags lieber bei ihrer Familie. Prinzipiell werde der „Koopzondag“ (Kaufsonntag) aber gern als Familienausflug genutzt.

In den Vorjahren mussten viele verkaufsoffene Sonntage und die dazugehörigen Veranstaltungen kurzfristig abgesagt werden, unter anderem im Januar 2018 im Oberhausener Centro und in der Sterkrader Innenstadt sowie im Mülheimer Rhein Ruhr Zentrum.

Von den 214 Klagen im Jahr 2018 gewann Verdi eigenen Angaben zufolge 98, sechs Klagen gingen verloren. Die übrigen Verfahren endeten ohne Urteil, weil die Kommunen ihre Verordnungen zurückgenommen oder entsprechend geändert haben.

Auch wenn es weniger Klagen gegeben hat, so ist die Unsicherheit noch immer groß. Nach Einschätzung des NRW-Wirtschaftsministeriums unter Andreas Pinkwart (FDP) findet „das neue Ladenöffnungsgesetz mittlerweile gute Anwendung in den Kommunen“, antwortet ein Sprecher auf Anfrage dieser Redaktion. Dazu trügen auch die veröffentlichten Anwendungshilfen und Informationsveranstaltungen für Kommunen bei.

Entscheidung des Oberverwaltungsgerichtes Münster zum Fall in Mönchengladbach

Zudem habe die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichtes (OVG) Münster die Rechtssicherheit weiter erhöht. Das Gericht hatte im Juli den Weg für eine liberalere Praxis freigemacht. Würden Veranstaltungen einen beträchtlichen Besucherstrom anziehen, sei das auch ohne vorherige Prognose der Besucherzahl zulässig, entschied das Gericht. Damit weicht das OVG von der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes ab, das eine Prognose der Besucherzahlen verlangt. Im konkreten Fall ging es um die Öffnung der Geschäfte in Mönchengladbach im Rahmen der „Blaulichtmeile“. Ob das Urteil die Rechtssicherheit tatsächlich erhöht, bleibt abzuwarten: Verdi hat nach eigenen Angaben im August Revision eingelegt.