An Rhein und Ruhr. NRZ-Kolumnist Matthias Maruhn wandert heute durch das schöne Sauerland und macht dabei in Gedanken einen Zeitsprung. Vor und zurück.
Sauerland bedeutet für mich Gehirnwäsche. Positiv verstanden. In Brilon verlässt ein grantelnder Griesgram den Bahnhof und tritt in den Wald, drei Tage später spuckt der Rothaarsteig am Rhein-Weser-Turm einen entspannten Springinsfeld aus. Mich. Geläutert. Die Seele grün lackiert, im Oberstübchen Staub gewischt. Natur kann so was. Wir nennen das Wunder Wandern. Diesmal war die ganze Sache noch mal besonders, anders, das Wort „krass“ trifft es am besten. Meine Gedanken sind an diesen drei Tagen nämlich in zwei Richtungen gereist. Vor und zurück.
Beginnen wir mit der Vergangenheit. Ich überschreite gerade den Langenberg, jemand geht direkt hinter mir. Ich spüre den Atem, drehe mich um – nix. Aber eine Stimme, die aus dem Rauschen der Blätter kommt: „Mein Junge, hier sprechen deine Ahnen.“ Aha, die aus Ostpreußen? „Jawoll.“ Jetzt aber nicht wieder die Geschichte, dass ihr immer barfuß zur Schule gegangen seid. Auch im Winter. Und immer bergauf. Und auch nichts über die Flucht übers Haff, bitte sehr.
„Nein, du Lorbass, wir machen uns Sorgen. Du bist, ihr alle seid so schnell unterwegs.“ Also, vier Kilometer wandere ich in der Stunde. Für einen Herrn Anfang 60 ein gutes Tempo, finde ich. „Dummkopf. Wir meinen das Tempo der Welt. Ihr müsst mehr zur Ruhe kommen. Ihr dreht ja fast durch.“
Die frische Luft ist mir wohl zu Kopf gestiegen
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Ich bleibe stehen. Die Stimme auch. „Halbe Höhe, Sohn.“ Der Wind legt sich, die Ahnen sind fort. Ich nehme einen Schluck aus der Wasserpulle, proste ihnen zu. „Da ist was dran“, ruf ich den Bäumen zu. Nein, ich habe nicht an fremden Pilzen genascht. Die frische Luft ist mir wohl zu Kopf gestiegen. Das beweist erst recht meine zweite Geschichte, die sich am nächsten Tag kurz hinter Winterberg ereignete. Ich hatte den Ort zügig durchschritten, war etwas irritiert über die vielen Heizstrahler an den Cafés im Zentrum.
Später musste ich etwas außerhalb über einen Mann mit Laubbläser lachen, der versuchte, Blätter in den nahen Wald zurück zu pusten. Gleich hinter dem Kahlen Asten ließ ich mich ein wenig erschöpft auf eine Bank fallen. Ich schickte die Augen auf die Weide. So habe ich den Kerl nicht sofort bemerkt, der da plötzlich neben mir saß. „Willkommen in der Zukunft“, sagt er zu mir. He? „Sie haben sich auf diese Zeitreisebank gesetzt und wohl versehentlich den Mechanismus ausgelöst. Jetzt sind Sie im Jahr 2119.“
„Ihr hattet den Planeten fast ins schwarze Loch gefahren“
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Ich schaue mich um, Gott sei Dank, die Welt gibt es also noch. Er ahnt meine Frage: „Schon, aber das war verdammt knapp vor 100 Jahren.“ Die Sache mit dem Klima? „Ja, auch die Sache mit dem Klima. Kurzum, ihr hattet den Planeten fast ins schwarze Loch gefahren. Totalschaden.“ Was hat uns denn dann noch gerettet. „Wir haben eingegriffen. Über die Zeitreisebank. Zunächst haben wir euch unsere beste Kraft geschickt. Eine junge Frau. Als Vorkämpferin. Um euch überhaupt mal zu wecken.“
Ich ahne was: Kann es sein, dass die zwei Zöpfe hat? „Stimmt. Und dann sind wir alle los, um euch zur Vernunft zu bringen. Alle an einem Tag.“ An welchem Tag war das denn? „Warte, lass mich rechnen, das war… genau am 26. September des Jahres 2019.“ Ich bin dann schnell zurück in der Zeit. Auch aus diesem verrückten Sauerland mit seiner frischen Luft bin ich abgereist. Weil ich neugierig bin: Mal sehen, woran man diese Typen aus der Zukunft wohl erkennt.