An Rhein und Ruhr. Die Zahl christlicher Beerdigungen sinkt. Arne Zocher bietet alternativ die Beisetzung im Rhein an: In NRW verhindern das allerdings die Kirchen.

Das Haus sieht freundlich aus, in der ansonsten durch das Sonnenlicht verstaubten Straße in Wuppertal-Elberfeld. Es ist eines der vielen Wohnhäuser aus der Gründerzeit, gepflegt, die Fenster weiß umrändert, ansonsten eine zitronengelbe Fassade – nur das Erdgeschoss ist gräulich-schwarz: „Z O C H E R” steht senkrecht auf einem Nasenschild. Das sind die Werbeschilder, die direkt an der Hauswand montiert sind. Darunter quer über den Geschäftseingang: Bestattungen.

Arne Zocher leitet das Beerdigungsinstitut in vierter Generation. Der Vater, Wolfgang Zocher, ist Ehrenpräsident des Weltverbandes der Bestatter. Trotzdem bietet der Sohn etwas an, was der Vater nicht tat. Der hoch angesehene Familienbetrieb ermöglicht etwas, was manch andere als pietät- oder würdelos empfinden: die Bestattung im Rhein.

Friedhofszwang in den Bundesländern

Aufmerksam auf diese Idee wurde Zocher vor etwa zehn Jahren. Eine Dame bei Boppart, die jeden Tag auf diesen Fluss blickt, habe ihn darum gebeten und er hat versprochen sein Möglichstes zu tun. Doch so leicht ist das nicht: Die Bestattungsgesetze in Deutschland sehen nach wie vor einen Friedhofszwang vor. Ausnahmen sind die Nord- und Ostsee sowie Friedwälder. „Friedwälder sind auch nichts anderes als abgeschlossene Friedhofs-Areale. Jeder Verstorbene hat seinen festen Platz, nur Grabsteine sind nicht vorhanden”, erklärt Arne Zocher. Weder die Asche, noch die Asche in einer Urne dürfen in Deutschland in einem Fluss versenkt werden.

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Dabei sind die Vorstellungen und Wünsche, was mit einem selbst nach dem Leben passieren soll, so vielfältig und unterschiedlich wie es die Fantasie erlaubt und die technische Umsetzung ermöglicht. Legal ist es nicht unbedingt. Vor fünf Jahren hat die NRW-Landesregierung den Friedhofszwang zwar ein wenig gelockert, ermöglicht hat sie damit aber vor allen Dingen Seebestattungen.

Wer die Asche eines Verstorbenen außerhalb eines Friedhofs begraben oder gar verstreuen möchte, benötigt dafür eine Ausnahmegenehmigung der Behörden. Das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales, das für das Bestattungswesen zuständig ist, erklärt auf Anfrage der NRZ zum Friedhofszwang: „Das wichtigste Argument ist die Wahrung der Totenruhe und die pietätvolle Behandlung des Toten.”

Druck durch die Kirchen

Bei einer wahlweisen Aufbewahrung der Asche in privaten Räumen oder auf privaten Grundstücken sei beides nicht mehr zu gewährleisten. Dennoch überlegte die damalige Landesregierung unter Hannelore Kraft (SPD) vom Friedhofszwang für Urnen ganz abzusehen. „Dieser Vorschlag erntete jedoch Kritik, vor allem durch Vertreter der katholischen und evangelischen Kirche, und wurde deshalb letztlich nicht umgesetzt”, heißt es dazu aus dem Ministerium.

Dabei erklärte der Bestatterverband NRW, dass sie eine zunehmende Nachfrage nach freien Trauerrednern beobachten können. Der Berufsverband schätzt, dass nur noch etwa 50 bis 60 Prozent aller Beerdigungen mit kirchlicher Beteiligung vollzogen werden. Während 1998 noch 275.721 Begräbnisse in Deutschland nach katholischem Ritus vollzogen wurden, waren es 2018 243.705 Bestattungen mit Beteiligung der katholischen Kirche. Im Bistum Köln gab es im letzten Jahr fast 5000 katholische Bestattungen weniger als vor 20 Jahren. Im eher kleinen Bistum Essen sank die Zahl ebenfalls um fast 4000 Beerdigungszeremonien. Einzig das Bistum Münster weist für die letzten 20 Jahren eine gleichbleibend hohe Zahl an katholischen Beerdigungen aus: Waren es 1998 noch 19.953, sind es 2018 sogar 20.517 Begräbnisse mit römisch-katholischen Ritual gewesen.

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Die Evangelische Kirche in Deutschland, von der keine Vergleichszahlen vorliegen, erklärt auf Anfrage: „Es gibt keine bestimmte Begräbnisform, die sich zwingend aus der Bibel und Bekenntnis oder aus dem christlichen Menschenbild ableiten ließe. Die christlichen Bemühungen um die Bestattungskultur zielen darauf, dass die Ehrfurcht vor den Toten bzw. die Totenwürde geachtet und gewahrt wird.” Und auch die Evangelische Kirche im Rheinland erklärt, dass sie auf keine bestimmte Bestattungsform festgelegt sei. Wichtig sei eine namentliche Nennung des Verstorbenen. Die rheinische Landeskirche bevorzuge zwar öffentliche Bestattungsorte, sei aber nicht grundsätzlich gegen die Aufbewahrung der Asche in Privaträumen oder gegen eine Flussbestattung.

Letzte Reise ab Emmerich

Trotzdem glaubt Arne Zocher, dass besonders die Kirchen nicht daran interessiert sind, das Gesetz weiter zu liberalisieren. Eigentlich ist es geschäftlich ein Vorteil für ihn. Außer Zocher gibt es nämlich nur ein anderes Unternehmen, das Flussbestattungen anbietet. Die Organisation ist umständlich. Wer seine letzte Ruhe im Rhein finden will, kann das tun – aber nur in den Niederlanden. Für die meisten Bestatter ist das nicht möglich. Der Wuppertaler hatte hingegen Glück und niederländische Sprachkenntnisse, die ihm bei der Genehmigung durch die Behörden geholfen haben.

Seitdem legt er regelmäßig von Emmerich ab, um im Rhein, der in den Niederlanden geteilt wird und dort Waal und Nederrijn heißt, die Asche eines Verstorbenen beizusetzen. „Das ist dann wie bei jeder anderen Beisetzung auch”, betont Zocher. „Wir haben natürlich die Möglichkeit, das Schiff noch etwas zu dekorieren. Die Hinterbliebenen können eine Rede halten oder einen Trauerredner bestellen. Auch Kirchenvertreter sind immer wieder an Board. Wenn die Hinterbliebenen etwas wünschen, versuchen wir das umzusetzen.”

Die Schiffe, die für die Seebestattung genutzt werden, gehören eine Reederei, die dafür beauftragt werden. In der Regel werden Fahrgastschiffe eingesetzt, auf denen die Hinterbliebenen auch eine Trauerfeier begehen könnten. Zwei oder drei Stunden vor oder nach der Beisetzung wird das Schiff wieder für Ausflüge oder Tagesfahrten benutzt.

Keine Partyschiffe mit „Pissrinne“

Dennoch versichert Zocher, sei eine würdevolle Zeremonie immer möglich. Er wisse genau mit welchen Reedereien er zusammenarbeiten könne und mit welchen nicht. „Bei jedem Schiff, das für mich arbeitet, habe ich vorher mein Fuß drauf gehabt”, sagt der Wuppertaler. „Ich mag zum Beispiel auch keine Partyschiffe, auf denen es für die Herren eine Pissrinne gibt.” Die würden gar nicht gehen. Auch seien niederländische Schiffe meist besser ausgestattet. „Die meisten haben standardmäßig einen Aufzug für Rollstühle, das müssen Sie sich mal vorstellen.“

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Auf dem Fluss liege das Schiff dann an einer bestimmten Stelle ganz still, am Heck wird die Urne zu Wasser gelassen. Kritik gibt es aber nicht nur von den Kirchen: „Es gibt immer einen zweiflerischen Teil bei den Familien, die sagen ‘Wenn es nach mir gegangen wäre, wäre das heute hier anders gelaufen.’ Das muss man auch verstehen: Die schwerste Schwelle ist die Türschwelle des Bestatters”.

250 bis 300 Bestattungen habe Zocher im Jahr. Der Anteil der Flussbestattungen daran steige. Die meisten Hinterbliebenen, die vorher zweifelten, seien nachher positiv überrascht gewesen. Für viele Menschen sei eine Beisetzung auf dem deutschen Teil des Rheins allerdings ein großer Wunsch.