Für Kanäle muss kein Mensch nach Venedig. Den kann man auch am Niederrhein haben. Sogar ganz ohne Kreuzfahrtschiffe. Napoleon hat es ermöglicht.

Bitte sprechen Sie nach: E-Pansch-Wah. Geschrieben wird’s Epanchoir. Aber die Vokabel lernt man nicht einmal im Französisch-Leistungskurs. Erfinden und bauen lassen hat das Epanchoir Napoleon. Und zwar in Neuss. Epanchoir heißt eigentlich nichts anderes als Überlauf. Aber das wird dem Bauwerk kaum gerecht. Denn Neuss hat nichts weniger als ein Wasserstraßenkreuz. Seit mehr als 200 Jahren. Das wäre beinahe untergegangen –ist jetzt aber wieder zu bestaunen.

Gondeln geht am besten mit der Fiets – 60 Kilometer am Kanal entlang

Seit zwei Jahren immerhin kann es dank der Heimatfreunde Neuss und eines speziell für diesen Zweck gegründeten Fördervereins des historischen Nordkanals wieder sehen. Das ganze sieht erstmal aus wie ein übergroßes Schwimmbecken, ist aber ein Meisterwerk französischer Ingenieurskunst und hat Neuss zu einer Art Venedig des Rheinlands gemacht. Heute kann man es sich anschauen, quasi schräg gegenüber der Stadthalle, nahe der Innenstadt.

 Napoleon und Klaus Karl Kaster (vorn) vom Verein der Freunde und Förderer des historischen Nordkanals.
 Napoleon und Klaus Karl Kaster (vorn) vom Verein der Freunde und Förderer des historischen Nordkanals. © Hermsen

Gut, mit dem Gondeln wird es leider erstmal nichts. Denn der Canal Grande heißt hier zwar Nordkanal, ist aber an manchen Stellen überbaut und an vielen Orten ein kleines Bächlein. Gut, er scheint zwar nicht groß, aber er ist lang. 60 Kilometer – von Neuss bis fast nach Holland. Noch eigentlicher heißt er Grand Canal du Nord und ist gewissermaßen der niederrheinische Bruder des Canal du Midi, den Südfrankreichfreunde als Wasserweg vom Mittelmeer zum Atlantik kennen und lieben.

Gut hundert Jahre später schwebte Napoleon ein ähnliches Projekt vor für die frisch eroberten linksrheinischen Gebiete. Weil die Holländer an Rhein und Maas hohe Zölle nahmen, suchte Napoleon nach einem neuen Weg, Waren vom Atlantik zum Rhein zu bringen. Antwerpen gehörte zu seinem Herrschaftsbereich, was also lag näher, als mal eben einen Kanal zu graben, vom Rhein zur Schelde?

...und dazu gibt es noch ein richtig großes Schützenfest

Sollen wir das jetzt Hinweis oder Warnung nennen? Jedenfalls: Am letzten Augustwochenende, vom 23. bis zum 27. August, feiert Neuss Deutschlands größtes Stadtschützenfest. 7500 Schützen, eine halbe Million Besucher, Kirmes, Fackelzug, Fanfaren, Faßanstich und Vogelschießen. Liegt auch an Napoleon. Nämlich daran, dass die französische Besatzung 1823 endete. Und seitdem gibt’s die Schützen. In letzter Zeit weniger zum Schutz als zum Feiern. Oft sogar mit dem französischen Botschafter.

Nun, immerhin: fast bis Venlo sind sie gekommen, die Bauleute des Nordkanals – und auch in Holland gibt es noch ein Stück „Noordervaart“, das man sogar noch befahren kann. „Und das war ja eine richtig große Wasserstraße“, erklärt Klaus Karl Kaster, vom Förderverein. Die Kanalbaufreunde haben fast zehn Jahre gebaggert – vor allem um Geld.

22 Meter breit und mit sechs Meter breiten Dämmen für die Pferde

Um dann endlich auch in echt baggern lassen zu können und das Epanchoir wieder aufleben lassen zu können. Heute zeigt es an der Kreuzung Nordkanalallee und Selikumer Straße die Dimension des Bauwerks: Zwei Meter tief, 22 Meter breit, mit sechs Meter breiten Dämmen auf beiden Seiten, auf denen Treidelpferde 35 Meter lange Kähne mit 200 bis 400 Tonnen Fracht ziehen konnten – das war die Dimension des Bauwerks. Denn hier, leicht südwestlich der Innenstadt, kreuzten sich Kanal und Obererft.

 Wie sang einst Neil Diamond?: „O, what a beautiful Neuss!“ Die Obererft strömt durchs Wehr am Obertor.
 Wie sang einst Neil Diamond?: „O, what a beautiful Neuss!“ Die Obererft strömt durchs Wehr am Obertor. © Hermsen

Auch sie ein künstlicher Fluss: Die Erft mündet eigentlich leicht südlich von Neuss in den Rhein, doch die Neusser Mühlenbesitzer leiteten sie an der Altstadt vorbei. Die Obererft, weiß Klaus Karl Kaster, lieferte einst Energie für 16 Mühlen, der Wassergraben, an dem man heute entlangschlendern kann, diente gleichzeitig als Wehranlage. Problem dabei: die Obererft hat richtig Schmackes, bringt das Wasser der gesamten Voreifel mit. Und würde dem Kanal eine derartige Querströmung verpassen, dass es die Frachtkähne Napoleons an Land geworfen hätte.

Die Lösung ist die ausgefeilten Schleusentechnik, die mit stählernen Platten dafür sorgt, dass das Erftwasser den Kanal eher unterquert als es oben aufmischt. Am Modell neben der Kreuzung kann man das mit der Handkurbel üben. Und wer alles wissen will schaut auf der Seite Epanchoir.de nach. Zugegeben, für Fahrten mit Gondoliere taugt das Wasserstraßenkreuz noch nicht wieder.

Statt der Gondel empfiehlt sich das Fahrrad. Seit 2002 bereits gibt es die Fietsallee, die dem Verlauf des Kanals folgt – von Neuss nach Venlo. Rund 60 Kilometer. Fast so weit wie der Kanal Napoleons kam. Nur ein paar Kilometer weiter steht ein Kanalwärterhäuschen. Man könnte sich am Kanal du Midi wähnen. Jedoch: wo einst Wasser flóß, duckt sich jetzt das Vereinshaus einer der zahllosen Schützenvereinigungen in die Senke des Kanalbettes.

ONLINE VERSION NRZ Grand Canal du Nord
ONLINE VERSION NRZ Grand Canal du Nord © funkegrafik nrw | Miriam Fischer

Zu den fünf Schleusen bei Straelen am Niederrhein ist es nie gekommen

Der Kanal blieb unvollendet, lediglich zwischen 1823 und 1850 gab es von Neuss nach Neersen Kohletransporte und ein wenig Passagierverkehr. Napoleon nämlich einigte sich 1811 mit den Niederländern über die Zölle an Rhein und Maas und ließ die Arbeiten einstellen. Sonst gäbe es heute bei Herongen eine Schleusentreppe mit fünf Schleusen, damit die Schiffe 20 Meter Höhenunterschied zur Maas überwänden. Schade, einerseits. Andererseits: So bleibt das E-Pansch-Wah doch die größte Sehenswürdigkeit an der Route.