Österreich. Matthias Maruhn urlaubt derzeit immer noch in Österreich. Von dort aus: Bankgeheimnis auf der Alm, Teil 2.
Immer vergesse ich etwas. Ich stehe um halb acht am Morgen in Bad Hofgastein, zünftig in Bergschuhen und kurzer Buxe. Heute habe ich mir den Rauchkogel vorgenommen, ein 2208 Meter in den Himmel reichender Berg direkt vor Ort, dessen Besteigung wenig Geschick aber eine stramme Wade erfordert. Es geht recht streng bergan. Aber schon beim ersten Schritt meldet sich mein innerer Sicherheitsberater zu Wort: Stopp, Bandage linkes Fußgelenk fehlt. Mein Gedächtnis stammelt kurz „sorry, hab ich auf der Alm oben vergessen“. Mein kühler Mut will trotzdem einfach los, die Vernunft wirft ein „dann humpelst du wieder drei Tage“ ein, nur der Verstand bleibt ruhig, sammelt die Infos und findet die Lösung: Vielleicht hat ja schon ein Geschäft geöffnet?
So treffe ich Wally. Der Laden für Trachten und Sport, in dem sie arbeitet, hat längst die Türen auf, sehr smart, denn viele Wanderer sind ja durchaus schon älter, früh auf den Beinen, schnell mal was vergessen. Wally hat auch die richtige Bandage in XL da, knapp 15 Euro. Ich zahle und wir kommen ins Quatschen. Ich bin stets recht früh am Tag schon frohgemut, und auch Wally ist gewiss kein Morgenmuffel. Wir plaudern und scherzen also und erzählen uns in 20 Minuten jeweils unser halbes Leben. Quassel-Profis können so etwas.
Der Schweiß tropft von der Stirn
Mich ruft dann endlich doch der Berg, über Serpentinen geht es hoch zur Rastötzenalm, zwei Stunden steigen, der Schweiß tropft von der Stirn. Hinter der sich aber auch was tut, ich lade mir nochmals Wallys Lebensgeschichte runter. Nach all den Meldungen der letzten Tage aus Deutschland von den Mordanschlägen auf den Bahnhöfen, den Hasstiraden im Netz und den Klimasorgen lindert es die Trauer, mal von einer anderen Welt zu hören. Wallys Welt. Vor 43 Jahren wurde Waltraut in Hofgastein geboren. 1996 Urlaub in Ägypten, sie verliebt sich in einen Ägypter, sie heiraten, zwei Töchter, eine Tauchschule in Hurghada, ihr Mann führt ein großes Hotel, sie taucht ab zu den Haien, ihren Lieblingstieren. Herrliches Leben am und im Meer.
Bis Heimweh das Herz erobert, Sehnsucht nach den Bergen: Und dann will die ältere Tochter auch gerne in Österreich studieren. Die Familie zieht um, Wally kehrt heim, ihr Mann findet einen Job im Hotel, die Tochter studiert auf Lehramt in Salzburg, Sie selbst beginnt im Trachten-Laden. Und entdeckt, dass sie einen Schatz mit in die Heimat gebracht hat: Sie spricht arabisch. Und schon seit einigen Jahren sind Ferienorte wie Zell am See oder eben Bad Hofgastein die Hot Spots für Urlauber aus Saudi-Arabien und den Emiraten. Tatsächlich prägen Araber durchaus das Ortsbild, im Sultan-Store stehen im Schaufenster Shishas neben Mozartkugeln.
Die Nacht der Tracht
Aber tragen arabische Frauen Tracht? „Sicher, Dirndl und Kopftuch sieht man häufiger. Das Dekolleté wird mit einem Schal überdeckt. Oder sie ziehen das Kleid zu Hause an. Außerdem werden in vielen arabischen Ländern Oktoberfeste gefeiert. Die Männer kaufen sich Lederhosen. Ach ja. Ich hab in Ägypten so viele Deutsche gesehen, die sich einen Kaftan angeschafft haben. Menschen sind so. Und so mag ich sie auch. Religion oder die Nationalität spielen für mich bei der Bewertung keine Rolle.“ Über einen schmalen Grat tänzele ich zum Bergkreuz des Rauchkogels. Geschafft. Wenn Sie Zeit haben und selbst sehen wollen: heute Abend ist in Bad-Hofgastein die „Nacht der Tracht.“ Ich komm auch. Wenn auch nicht in Lederhose.