Die Britin Vivien Peters kam vor über 50 Jahren nach Deutschland. Der nahende Brexit bereitet ihr Kopfschmerzen. Aber sie fand einen Ausweg.
Großeltern sind gnädig. Wenn es um die Enkel geht. Deshalb rufen wir auch gleich stereo „Nein, ne, lass den Kleinen bloß schlafen, wir machen das Foto nur mit Nicki“, dem großen Enkel. Klar hätten Vivien und ich schon gerne gezeigt, dass wir zwei Schätze teilen, aber Lexi ist ja erst drei Monate alt und der Schlaf sein bester Kumpel.
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Im Deutschen gibt es für unsere Verwandtschaft gar kein Wort, jedenfalls kenne ich keins. Vivien ist die Mutter meines Schwiegersohns, wie nennt man das? Wenn man es den Enkeln erklärt, klingt es witzig: Sie ist Papas Mama und ich bin Mamas Papa. Seit drei Jahren erledigen wir mit Veronika und Gerd den Oma-Opa-Job. Wir machen es gern, wir machen es ganz gut. Sind halt so eine Mischung aus Tatort-Reiniger und Kavallerie, eilen zur Hilfe, räumen dann auf. Und geben im Notfall die kraftvolle Quadriga, wuchten den Karren gemeinsam aus dem Dreck. Mehr als 250 Jahre Erfahrung halt. Das schweißt zusammen.
In Münster lernt sie dann einen Basketballer kennen.
Auch, als jetzt dieser dämliche Brexit seinen langen Schatten warf. Vivien wurde vor 73 Jahren in Belfast geboren, Nordirland, die Eltern sind Engländer, aber die Großeltern waren in den 30ern vor der großen Depression auf die Insel geflüchtet. Als Vivien sieben ist, zieht die Familie zurück nach Manchester, der Vater arbeitet als Journalist beim Guardian, Vivien geht zur Schule, studiert Mode-Design. 1967 zieht es die junge Frau hinaus in die Welt, die gerade so herrlich bunt ist.
Sie reist nach Münster, eine befreundete Familie nimmt sie als „Au pair“. Gab's da keine Vorbehalte bei der englischen Familie, der Krieg war doch noch gegenwärtig? „Nein, mein Vater war zwar bei der Marine und auch am D-Day dabei, aber der Krieg war nie Thema bei uns. Bei der deutschen Familie dann schon. Die Mutter hatte auf der Flucht aus dem Osten ihre drei Kinder aus den Augen verloren. Nur den Sohn hat sie später gefunden. Ein Trauma. Ich konnte ihr durch meine Gesellschaft ein wenig helfen.“
Über Freunde lernt sie einen Basketballer kennen, stattlicher Kerl, Student, Gerd. Sie heiraten 1974, zwei Jahre zuvor ist Großbritannien in die EU eingetreten. „Ich hatte ein Aufenthalts- und Arbeitsrecht. Also hab ich es bei meinem britischen Pass belassen.“ 1976 wird Jenny geboren, 1979 Christian. Dann der Brexit. „Ich war geschockt. Alle in meiner englischen Familie sind dagegen.“ Vor einigen Monaten ging Vivien zum Bürgeramt, um sich zu erkundigen, was sich für sie ändert, wenn GB nicht mehr in der EU ist.
Vivien is not amused.
Sie erfährt, dass sie sich besser einbürgern lassen müsse. Na gut. Aber halt, das geht nicht so einfach. „Ein unfreundlicher Beamter ging mit mir das Formular genervt durch.“ Der Einbürgerungstest, 300 Fragen, dann der Sprachtest, ein Diktat. „Na gut, ich hab 18 Jahre bei einer Bundesbehörde gearbeitet. Das wird klappen. Dann aber: Übersetzung meiner Geburtsurkunde. Da standen plötzlich weit über 500 Euro Kosten an.“ Vivien is not amused. Aber eine Schwester kennt den Ausweg: „Ich wurde ja in Belfast geboren. Und wer in Irland, egal in welchem Teil, geboren wurde, ist Irin“. Sie wendet sich an die Botschaft. „95 Euro. Nächste Woche sind die Papiere da.“ Unsere Quadriga wird das nicht schwächen. Irlands Pferde sind bekannt für ihr Temperament.