Essen. Der Nabu NRW ruft dazu auf, Schmetterlinge zu zählen. Immer mehr Insekten verlieren ihren Lebensraum. Der Rückgang ist sehr gravierend.
„Da ist wieder einer“, sagt Sarah Bölke und setzt einen Strich neben dem Bild eines Distelfalters. In ihrer Zählhilfe sammeln sich an diesem sonnigen Mittag die Sichtungen fast im Minutentakt. „Bestes Schmetterlingswetter“, so das Urteil. Die 32-jährige Biologin vom Naturschutzbund NRW (Nabu) hat eine Mission: Schmetterlinge zählen.
Als Ort hat sie sich dafür das Gelände der Zeche Zollverein in Essen ausgesucht. Denn hier ist nicht nur die Regionalniederlassung des Nabu untergebracht, sondern auch ein hervorragender Lebensraum für Schmetterlinge und Insekten. Das liegt, so Bölke, an der besonderen Industrienatur, die dort durch den Kohleabbau entstanden ist: „In dem Steinboden gibt es wenig Erde, dadurch wachsen hier ganz besondere Pflanzen, die Falter als Nektarpflanzen nutzen.“ Schmetterlinge sind nah an Pflanzen gebunden, benötigen daher eine reichhaltige und abwechslungsreiche Flora. „Zollverein ist ein wichtiger Rückzugsort geworden. Denn hier gibt es auch viele Wälder, was man ja eigentlich gar nicht meint.“ Lebensraum für 23 Tag- und 43 Nachtfalterarten.
Bei Zählaktion kann jeder mitmachen
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Bereits zum vierten Mal hat der Nabu NRW dazu aufgerufen, Schmetterlinge zu zählen. Seit dem 15. Juni kann jeder an der Aktion „Zeit der Schmetterlinge“ teilnehmen, die Sarah Bölke als Projektleiterin betreut. Rund 39.000 Sichtungen kamen so im vergangenen Jahr zusammen, 2017 waren es nur 32.000. Die steigende Zahl darf aber nicht täuschen: Schmetterlinge sind, wie alle anderen Insekten auch, stark gefährdet. 2018 sei, so Bölke, einfach ein gutes Falterjahr gewesen, mit hohen Temperaturen im Frühjahr. Auch die Zahl der Zählenden sei gestiegen. Viele Schmetterlingsarten werden dagegen immer seltener. Von einem Rückgang der Insekten von 70 bis 80 Prozent spricht gar der Entomologische Verein Krefeld. Denn viele Lebensräume gehen verloren, etwa durch Landwirtschaft, Versiegelungen und den übermäßigen Gebrauch von Düngern. Da spielen auch private Gärten eine große Rolle, so Bölke: „Gärten machen eine große Fläche aus, wenn man sie zusammennimmt. Hier tragen wir auch eine Verantwortung. Steingärten sind das Schlimmste, was man machen kann.“
Während im vergangenen Jahr der Kohlweißling besonders häufig beobachtet wurde, erwartet die Schmetterlingsexpertin in diesem Jahr besonders viele Distelfalter. Der Grund: ein milder Winter in Saudi-Arabien. So konnten nämlich, erklärt die Biologin, viele Disteln wachsen, an denen die Falter ihre Eier legen. Als Wanderfalter ziehen die Tiere ihrer Nahrungsversorgung hinterher. Aus dem arabisch-afrikanischen Raum bis nach Mittel- und Nordeuropa. Die Falter legen so in mehreren Generationen und Wellen rund 7000 Kilometer zurück. „Man sieht den Tieren an den Flügeln an, dass sie weit geflogen sind.“ Rund alle zehn Jahre beobachten Insektenforscher so starke Wellen der Distelfalter, zuletzt 2009 aus Marokko. Auf Zollverein sind die Tiere also auch nur auf der Durchreise.
Mit der Zählaktion will der Nabu vor allem auf den starken Rückgang der Insektenarten aufmerksam machen. „Wir wollen bei den Menschen den Blick für Insekten schärfen.“ Dass man dafür Schmetterlinge nimmt, ist kein Zufall: sie lassen sich leichter zählen als andere Insekten und sind beliebt bei Jung und Alt. „Schmetterlinge sind Sympathieträger.“
Bewusstsein für Insekten schaffen
Bauanleitung- Wir basteln ein Insektenhotel für den Balkon
Richtige Bestandszahlen können bei der Aktion sowieso nicht ermittelt werden, dafür müsste man ein bestimmtes Gelände über längere Zeit beobachten, erklärt die Biologin. „Beobachtung und Zählung bei Insekten sind sehr schwierig.“ Eine Sache für Fachleute. Trotzdem könne man an den Zahlen, die bei der Aktion herauskommen, eine Entwicklungstendenz ablesen – wie bei dem Distelfalter. Dass die Aktion aber für ein größeres Bewusstsein sorgt, davon ist Bölke überzeugt: „Menschen informieren sich nach der Aktion und was man alles machen kann.“
Hier kommen vor allem Balkon- und Gartenbesitzer ins Spiel. Damit sich dort Schmetterlinge, aber auch Bienen, Hummeln und andere Insekten wohl fühlen, darf es schon mal etwas wilder sein. Denn englischer Rasen ist für die Tiere nutzlos, es fehlt an Blüten und damit Nektar. „Im Garten kann man eine wilde Ecke wachsen lassen, eine Wildblumenwiese wäre optimal.“ Als Rückzugsorte dienen auch Laub und längst verblühte Pflanzen. „Man sollte einfach etwas Unordnung zulassen.“ Auch Insektenhotels, wie sie immer öfter angeboten werden, die man aber auch leicht selber basteln kann, helfen den Insekten.
Aktion „Schmetterlingsfreundlicher Garten“
Um dieses Wissen rund um den Insekten- und Schmetterlingsschutz noch mehr zu vermitteln, sucht der Nabu in einem weiteren Projekt Bildungseinrichtungen, Vereine und Kleingärtner, die ihre Außenanlagen und Gärten insektenfreundlicher umgestalten wollen. In einem Startpaket gibt es neben Tipps für die Umgestaltung auch gleich Saatgut. Teilnehmer können sich so die Plakette „Schmetterlingsfreundlicher Garten“ verdienen – 2018 wurden insgesamt 35 Einrichtungen ausgezeichnet. „Wir wollen so auch zeigen, dass jeder etwas tun kann“, sagt Sarah Bölke. Und sei es an einem Sonntag im Garten zu sitzen und Schmetterlinge zu zählen.
Mitmacht-Aktion „Zeit der Schmetterlinge“
Die Aktion „Zeit der Schmetterlinge“ läuft vom 15. Juni bis 15. Juli. Gezählt werden kann im eigenen Garten oder auf dem Balkon, aber auch in Parks und Wäldern.
In der Zählhilfe des Nabu sind elf häufige Tagfalterarten vermerkt – von A wie Admiral bis Z wie Zitronenfalter. Zu jedem Schmetterling gibt es ein Bild, damit auch Laien die Falter gut bestimmen können.
Die Zählhilfe gibt es auf der Internetseite des Nabu NRW unter www.schmetterlingszeit.de
Beobachtungen können per Post an Nabu NRW, Völklinger Str. 7-9 in 40219 Düsseldorf geschickt werden. Auch eine E-Mail an schmetterlingszeit@nabu-nrw.de ist möglich. Außerdem ist auf der Webseite ein Online-Formular hinterlegt. Einsendungen bis zum 22. Juli.