Rhein-Erft-Kreis. . Feldhamster gelten in NRW als fast ausgestorben. Bei Pulheim wurden jetzt 128 Nachzuchten ausgewildert. Es werden nicht die letzten gewesen sein.

Die neue Freiheit findet „Ulla“ sehr interessant. Die Feldhamster-Dame riecht an einem Halm, läuft hier hin und dahin, schnüffelt wieder. Dann stellt „Ulla“ sich auf die Hinterbeine und beäugt die versammelte Menschenschar. Hamstermann „Mischa“ ist wohl eher ein häuslicher Typ – oder einfach schüchtern. Nach einigen Metern verschwindet er sofort in einem Erdloch, linst auch erst nach langen Augenblicken wieder heraus.

Jeder Jeck ist anders, sagt man im Rheinland. Für Hamster gilt das anscheinend auch. „Ulla“ und „Mischa“ gehörten an diesem Mittwoch (29. Mai 2019) zum letzten Schwung von insgesamt 128 Nagern, die von den Umweltbehörden in diesen Tagen bei Pulheim vor den Toren Kölns als Teil eines ambitionierten Artenschutzprogrammes ausgewildert wurden. Feldhamster gelten in Nordrhein-Westfalen heute als fast ausgestorben.

Noch bis in die 70-er und 80-er Jahre waren die meerschweinchengroßen Nager in der Rheinischen Bucht weit verbreitet -- hinauf bis Mönchengladbach und Venlo, niemals rechtsrheinisch und nie weiter rauf (da passen den Höhlen bauenden Hamstern die Bodenverhältnisse nicht). Seither aber sind die possierlichen Tiere auf dem Rückzug. Flächenversiegelung und intensive Landwirtschaft – da kommt man als Hamster nicht mit klar. 2015 schätzte das Landesumweltamt (Lanuv) den Gesamtbestand in NRW auf nur noch 100 Tiere.

Feldhamsterdame „Ulla“ erkundet ihr neues Revier.
Feldhamsterdame „Ulla“ erkundet ihr neues Revier. © Olaf Fuhrmann

„Seid fruchtbar und mehret Euch“, möchte man „Ulla“ und „Mischa“ deshalb hinterher rufen. Das ranke Weibchen (Schätzgewicht: 300 Gramm) und der stattliche Kerl (satte 600 Gramm) gehören zu den Aufzuchten aus dem Lanuv-Artenschutzzentrum im münsterländischen Metelen. 2017 waren bei Zülpich sieben Tiere gefangen worden – „Wildlinge“, wie die Fachleute sagen. Sie werden seither in Metelen mit Feldhamstern aus dem Gaia-Zoo Kerkrade gekreuzt – mit großem Erfolg.

Hamsternasen mögen keine Gülle

In Freiheit werden die in Dämmerung und Nacht aktiven Hamster ihre Erfahrungen machen müssen. „Wir hoffen, dass sie lernen mit den Gefahren umzugehen“, sagt Lanuv-Dezernentin Dietlind Geiger-Roswora im Gespräch mit der Redaktion. Fürs erste schützt ein Elektrozaun die Nager vor Füchsen oder freilaufenden Hunden. Aber auch Bussarde sind einem Hamsterhappen nicht abgeneigt – und natürlich sind Straßen eine Gefahr.

Mit zwei Landwirten ist gegen Entschädigung verabredet, dass 5% der Feldfrucht (z. B. Gerste und Weizen) stehenbleiben, damit die Feldhamster Deckung finden. Ebenso ist verabredet, dass nicht tief gepflügt wird und auf Stoppelfeldern mindestens 20 Zentimeter lange Stoppeln bis tief in den Herbst hinein bleiben, damit die Hamster auch Deckung findet. Ebenso soll auf Gülledüngung verzichtet werden; Feldhamster mit ihren feinen Nasen mögen ganz und gar nicht, wenn es stark riecht.

Bauern fühlen sich der Natur verbunden

Ohne das aktive Mittun der Landwirte wäre das Hamsterrettungsprogramm nicht möglich. „Wir Bauern fühlen uns unserer Scholle verbunden und tragen eine besondere Verantwortung für die Natur“, betonte der rheinische Bauernpräsident Bernhard Conzen. Lanuv-Chef Thomas Delschen erinnerte daran, dass intensive Feldbewirtschaftung zwar ein Problem für die Hamster sei, die Bauern mit ihrer Arbeit den Nagern aber überhaupt erst Nahrung gegeben hätten: „Landwirtschaft und Feldhamster – das ist ein spannendes und spannungsreiches bilaterales Verhältnis.

Die noch im vergangenen Jahr in Metelen zur Welt gekommenen Hamster „Ulla“ und „Mischa“ haben ihre Namen nicht von ungefähr. NRW-Umweltministerin Ursula Heinen-Esser und der Rhein-Erft-Landrat Michael Kreuzberg (beide CDU) standen Pate bei der Auswilderung. „Das Verschwinden des Feldhamsters in unserer Agrarlandschaft zeigt sehr deutlich, mit welchen Zielkonflikten wir täglich im Natur- und Artenschutz konfrontiert werden“, sagte die Ministerin.

Programm läuft fünf bis zehn Jahre

Mindestens fünf, vermutlich aber zehn Jahre lang werden Feldhamster vor den Toren Köln ausgewildert werden müssen, jedes Tier trägt fürs Monitoring einen Chip in sich. Die Tatsache, dass die Nager sehr eigenbrötlerisch sind und in freier Natur nur ein bis zwei Jahre alt werden, macht den Aufbau einer stabilen, regionalen Hamsterpopulation nicht einfach.

7,2 Hektar Vertragsnaturschutzfläche stehen bei Pulheim bereit. Künftig soll sich die Hamsterfläche aber über Bergheim bis nach Rommerskirchen ziehen. Sehen dürften Passanten die ausgewilderten Tiere aber wohl selten bis nie.

>>> HINTERGRUND: WIE HAMSTER SICH SCHÜTZEN

Der Rücken grau-braun, das kleine Schwänzchen rot, der Bauch schwarz, dazu weiße Flecken an den Flanken und auf der Brust: Feldhamster sind ziemlich bunt: „Auf Feldern sind sie damit gut getarnt“, erklärt Lanuv-Fachfrau Dietlind Geiger-Roswora.

Bei Gefahr stellten sich die Hamster auf die Hinterbeine. Die weißen Pfoten in Kombination mit dem schwarzen Bauch: „Das wirkt dann wie ein Raubtiermaul“, erläutert Geiger-Roswora. Zumindest einige Feinde könne man damit beeindrucken. Mit ihren scharfen Zähnen können Hamster aber auch ganz schön beißen – wie einige Helfer bei der Auswilderung leidvoll erfahren mussten.

Und noch was: Die meist 40 bis 50 Zentimeter unter der Erdoberfläche und im Winter sogar in zwei Meter Tiefe liegenden Hamsterbauten haben zwar keine Falltüren, aber regelrechte Fallgänge: „So können die Tiere schnell verschwinden.“