Am Niederrhein/Bonn. Vor 70 Jahren trat das Grundgesetz in Kraft. Mit dabei: Lambert Lensing und Hermann Runge. Ihre Lebensspuren führen nach Emmerich und Moers.

Das schwarz-weiße Schaubild in der Dauerausstellung über die Entstehung des Grundgesetzes im Bundeshaus in Bonn ist verräterisch: „Väter der Verfassung“ ist da zu lesen. Zu sehen sind die Köpfe von 61 Männern, und auch von vier Frauen. Sie alle berieten über das Grundgesetz für den damals neu zu gründenden Staat in Westdeutschland. Heute auf den Tag genau vor 70 Jahren wurde das Dokument feierlich unterzeichnet und trat umgehend in Kraft.

Unter den 65 Müttern und Vätern des Grundgesetzes war zwar kein gebürtiger Niederrheiner – immerhin jedoch zwei Politiker mit persönlichen Bezügen zur Region: Hermann Runge von der SPD und Lambert Lensing von der CDU; nicht, wie fälschlicherweise auf dem Schaubild vermerkt ist: von der CSU.

Keine Promis wie Konrad oder Theodor Heuss

Ihre Gesichter sind in den alphabetisch angeordneten Plakatreihen schnell zu finden. Ansonsten spielen sie in dieser Rückschau, wie wohl schon in den verfassungsgebenden Beratungen, keine prominente Rolle. Anders als Konrad Adenauer (CDU), Carlo Schmid (SPD) und Theodor Heuss (FDP), die hier in Wort und Bild verewigt sind.

Dennoch ist der historische Ort in der ehemaligen Bundeshauptstadt einen Besuch wert. Mit in der Handtasche könnte dabei ruhig ein wenig Wissen über die beiden Grundgesetzmacher aus dieser Gegend sein.

Lambert Lensing wurde 1889 in Dortmund geboren, dort starb er 76 Jahre später auch, nach kurzer schwerer Krankheit. Er trug nicht nur den gleichen Namen wie sein Vater, ebenso trat er beruflich in dessen Fußstapfen – und wurde Zeitungsverleger. Ende 1948 erhielt er von der britischen Militärregierung eine Lizenz für die Herausgabe der Ruhr-Nachrichten.

Abitur in Emmerich am Rhein

Sein Abitur machte der Junior in der Geburtsstadt des Seniors – in Emmerich am Rhein. Dort bestand der Sohn 1910 die Reifeprüfung, danach studierte er die Rechtswissenschaften, unter anderem in Münster. Mehr ist über seine Verbindungen an den Niederrhein nicht bekannt.

1910 trat er in das Familienunternehmen ein, nach dem Tod seines alten Herrn übernahm er 1928 die Leitung des Verlages. Zu diesem Zeitpunkt war der Katholik bereits in der Deutschen Zentrumspartei politisch aktiv. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges gehörte er denn auch zu den Mitgründern der Christlich Demokratischen Union in Westfalen und hatte kurzzeitig sogar den Landesvorsitz der CDU inne.

In der Mitte: Lambert Lensing, aber nicht von der CSU, sondern von der CDU.
In der Mitte: Lambert Lensing, aber nicht von der CSU, sondern von der CDU. © Ingo Plaschke

So wurde er von seiner Partei auch in den Parlamentarischen Rat nach Bonn berufen, um über das Grundgesetz zu beraten.

Hermann Runge wurde 1902 im niederschlesischen Konradsthal geboren und starb 1975 in Düsseldorf. Einen Großteil seines Lebens verbrachte er in Moers. Nachdem sein Vater Paul als Bergmann tödlich verunglückt war, zog seine Mutter Martha mit ihm und seinem Bruder Fritz in die Zechensiedlung in Meerbeck-Hochstraß. In diesem Milieu wurde er politisch sozialisiert, erlebte das Elend der Arbeitslosigkeit, den Kampf um die Ruhr sowie das Ringen um die Weimarer Republik – und schließlich die Machtergreifung der Nationalsozialisten.

Widerstand gegen Hitler in Moers

Der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands trat er 1920 bei, schnell machte der Schlosser dort Karriere, war Vorsitzender der Sozialistischen Arbeiterjugend sowie Gemeindevertreter, Kreistagsabgeordneter und seit 1931 schließlich SPD-Parteisekretär.

Außerdem engagierte er sich in erster Reihe in der so genannten Eisernen Front gegen den aufkommenden Nationalsozialismus in Moers und Umgebung. Auch mit dabei: seine Frau Wil­hel­mi­ne Hol­tap­pels (1907-1979) aus Utfort.

Nachdem die Nazis die SPD verboten hatten, verlor er seine Arbeit und kam auch in sei­nem al­ten Be­ruf nicht wie­der un­ter. 1934 fand er ei­ne An­stel­lung in einer Groß­bä­cke­rei in Duis­burg-Ham­born. In­ha­ber Au­gust Kor­dahs war eben­falls ein be­ken­nen­der Genosse.

Der Widerstand, der von der Brotfabrik Germania gegen das Hitler-Regime ausging, ist heute bundesweit bekannt und wird in der Ge­denk­stät­te Deut­scher Wi­der­stand im Bend­ler­block in Berlin gewürdigt. Dort ist eine Ab­schrift des Volks­ge­richts­hof-Ur­teils ge­gen Hermann Runge nachzulesen, der zu neun Jahren Zuchthaus verurteilt wurde – aber in der Haft vor seinen Peinigern fliehen konnte.

Ein angesehener Hinterbänkler in Düsseldorf

Nach dem Ende der Nazi-Diktatur Weltkrieg baute er die SPD in Moers wieder mit auf und übernahm im Re­gie­rungs­be­zirk Düs­sel­dorf wieder das Amt des SPD-Par­tei­se­kre­tärs.

In der Mitte: Hermann Runge von der SPD.
In der Mitte: Hermann Runge von der SPD. © Ingo Plaschke

Als Ver­tre­ter Nord­rhein-West­fa­lens wurde er von seiner Partei in den Par­la­men­ta­ri­schen Rat delegiert. Hier arbeitete er, wie später auch als Landtagsabgeordneter in Düsseldorf, eher im Hintergrund.

>> INFO: Ein Besuch im Bundeshaus

Historischer Ort: Auch wenn die feierliche Eröffnung des Parlamentarischen Rates am 1. September 1948 im Lichthof des Zoologischen Museums Koenig stattfand: beraten und unterschrieben wurde das Grundgesetz (GG) für die damals neu zu gründende Bundesrepublik Deutschland in der Pädagogischen Akademie in Bonn – besser bekannt als Bundesrat, der in dem Bau am Rheinufer von 1949 bis 2000 tagte.

Kostenfreier Besuch: Wer das Bundeshaus und die darin gezeigte Dauerausstellung über die Entstehung des Grundgesetzes besichtigen möchte, hat dazu zwei Möglichkeiten: a) in einer Gruppe, nach Voranmeldung unter Ruf: 0228/9165-400; b) einzeln, zu zweit oder als Kleinfamilie samstags um 15 und sonntags um 13 Uhr, ohne Voranmeldung, Treffpunkt ist der Infoschalter im Haus der Geschichte in Bonn.