An Rhein und Ruhr. . Stationäre Pflege- und Altenheime an Rhein und Ruhr sind überlastet. Als Grund nennen viele Träger unter anderem die neue Einzelzimmerquote.
Über ein halbes Jahr lang hat eine Gelsenkirchenerin nach einem Pflegeheimplatz für ihre 93-jährige Mutter gesucht. Im wöchentlichen Rhythmus habe sie die Einrichtungen in der Stadt abtelefoniert, erzählt die Frau – und nur Absagen kassiert. Auf bis zu fünf Wartelisten habe ihre Mutter gestanden, eine Rückmeldung aber habe sie nicht erhalten. Auch in den Nachbarstädten sei die Suche erfolglos verlaufen. „Das hat uns arg frustriert“, sagt die 63-Jährige dieser Redaktion.
Das ist kein Einzelfall. Landesweit herrscht Platzmangel in den stationären Altenheimen. „Die Einrichtungen müssen monatlich acht bis zehn Absagen erteilen“, sagte Reinhard van Spankeren, Sprecher der Freien Wohlfahrtspflege in NRW. Es gebe mehrwöchige Wartezeiten, berichten verschiedene Heimträger. Die meisten der über 2800 Einrichtungen im Land sind voll belegt.
Häuser scheitern an der Einzelzimmerquote
Das liegt in erster Linie daran, dass noch immer Häuser an der von der schwarz-gelben Landesregierung eingesetzten Einzelzimmerquote von 80 Prozent scheitern. Die Quote gilt seit August 2018 und die Heimbetreiber hatten eine 15-jährige Vorlaufzeit, um die erhöhten Standards umzusetzen. Trotzdem erfüllten im vergangenen Jahr nach Landesangaben 506 Heime die Voraussetzungen nicht. Die Folge: 5559 Betten durften nicht mehr belegt werden.
Der Bundesverband der privaten Anbieter sozialer Dienste (BPA) schätzt, dass bis zu 5000 davon unwiederbringlich wegfallen. Denn in vielen Heimen fehlen Räume, um zusätzliche Einzelzimmer zu schaffen. Nach dem Umbau von Doppel- zu Einzelzimmern stehen dort deshalb weniger Betten zur Verfügung als vorher.
Wartezeiten von bis zu sechs Monaten
Lange Wartelisten kennt auch Sebastian Braam, Einrichtungsleiter des privaten Alten- und Pflegeheims St. Georg in Kleve: „Wir erhalten zwei bis drei Anfragen pro Woche.“ Meist könne er den Angehörigen allerdings keine konkreten Zeitangaben nennen, wie lange sie auf einen Pflegeplatz warten müssen, denn: „Der Letzte auf der Liste kann schnell der Erste sein.“ So schwanken die Wartezeiten zwischen einer Woche und einem halben Jahr, woran Familien immer häufiger verzweifeln. „Wir haben auch Angehörige, die weinend bei uns anrufen“, erzählt Braam.
Aufgrund der Einzelzimmerquote musste sich das Alten- und Pflegeheim St. Georg im vergangenen Jahr von ehemals 60 auf 50 Pflegeplätze reduzieren. Grundsätzlich befürwortet Braam die Einzelzimmer, allerdings müssten sich damit auch die Rahmenbedingungen verbessern: „Es gibt keine soziale Einrichtung, die so durchleuchtet wird wie die Pflegeeinrichtung. Der Druck ist groß.“ Zwar professionalisiere sich auf diese Weise die Arbeit, dennoch nehme die Dokumentation langsam überhand.
Dazu komme, dass Landschaftsverband und Krankenkassen die Pflegeeinrichtungen zu kurz halten würden: „Es ist nur eine Gewinnmarge von drei bis vier Prozent erlaubt. Damit werden die Kosten gedeckt, aber es sind keine Reinvestitionen in neue Plätze möglich.“
Im Notfall geht’s ins Doppelzimmer
Auf der Warteliste für einen der 89 Pflegeplätze im Caritas-Haus St. Hedwig in Kamp-Lintfort stehen zurzeit 50 Menschen, wie Einrichtungsleiterin Dörthe Krüger erzählt: „Pro Woche erhalten wir zwischen fünf bis zehn Anfragen, das ist mehr als wir aufnehmen können.“ In der Regel warten Pflegebedürftige drei bis sechs Monate auf einen Platz, im echten Notfall könne allerdings auch eines der 15 Doppelzimmer aushelfen.
„Sobald sich die Bewohner eingelebt haben, wollen sie dann aber in ein Einzelzimmer“, sagt Krüger. Aus diesem Grund sollen in Zukunft aus den Doppelzimmern möglichst viele Einzelzimmer entstehen – und das, obwohl das Haus bereits schon jetzt die Quote von 80 Prozent erfüllt.
Das NRW-Gesundheitsministerium schaltet sich ein
Dr. Bernd Kwiatkowski, Geschäftsführer der Awo im Kreis Wesel, führt dagegen die langen Wartezeiten auf einen Pflegeplatz weniger auf die Einzelzimmerquote als vielmehr darauf zurück, dass zum Beispiel das Pflegestärkungsgesetz noch nicht richtig greife: „Der Ansatzpunkt des Gesetzes ist richtig“, betont Kwiatkowski.
Allerdings seien damit gleichzeitig auch mehr ambulante Alltagshilfen nötig, so dass viele Menschen länger zuhause leben könnten und erst später ins Alten- oder Pflegeheim ziehen müssten. Aber es fehle an Personal. „Die Strukturen im ambulanten Bereich stimmen noch nicht“, fasst Kwiatkowski zusammen.
In die Debatte um fehlende Plätze hat sich auch das NRW-Gesundheitsministerium eingeschaltet. Bis Ende März sollen die Kommunen Zahlen zur Auslastung der Heime vorlegen. Lange Wartelisten allein seien kein sicherer Beleg für fehlende Plätze, wie eine Sprecherin des Ministeriums dieser Redaktion mitteilte: „Dies kann auch dadurch begründet sein, dass einzelne Heime attraktiver sind als andere.“
Nach einem Krankenhausaufenthalt hat die 93 Jahre alte Frau inzwischen einen Platz gefunden – allerdings in einem Doppelzimmer.
>>> Pflegeplätze finden mit einer App
Um Pflegebedürftigen die Suche nach einem Heimplatz zu erleichtern, plant Gesundheitsminister Laumann eine Platzfinder-App. Im April soll dafür im Wohn- und Teilhabegesetz die Grundlage geschaffen werden.
Einige Krankenversicherungen bieten bereits online Übersichten an. Dort sind jedoch keine freien Plätze aufgeführt