Essen. . Im NRZ-Interview spricht Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann über unwillige Krankenhauschefs, Landärzte und die Einsamkeit älterer Menschen.

Sein Thema geht sehr viele Menschen an: die Pflege. Gleichwohl ist das nur ein Gebiet von Minister Karl-Josef Laumann (CDU), dem NRW-Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales. Er war Gast bei der NRZ. Hier das Interview:

Sie wollen, dass Krankenhäuser mehr für die Ausbildung neuer Pflegekräfte tun. Was ärgert Sie?

Jeder Handwerksmeister muss ausbilden, wenn sein Unternehmen auch in 20 Jahren noch bestehen will. Wenn ich will, dass es in meinem Krankenhaus läuft und dass keine Station geschlossen wird, muss ich Fachkräfte haben. Wir haben dort heute nicht mehr Auszubildende als vor zehn oder 15 Jahren. Nicht bei allen Krankenhausleitungen hatte die Frage der Pflegeausbildung in den letzten Jahren hohe Priorität. Da war vieles andere immer wichtiger. Die reden alle über Pflegenotstand und haben ihre Ausbildungszahlen nicht erhöht. Das ärgert mich.

Wie viele Ausbildungsplätze müssten die Krankenhäuser anbieten, um den Bedarf zu decken?

Wir müssen in NRW erreichen, dass jeder, der diesen Beruf erlernen möchte, eine Lehrstelle und einen Schulplatz hat. Ich sorge für die Schulplätze. Wenn nächstes Jahr 1000 zusätzliche Ausbildungsplätze angeboten werden, sind auch die Schulplätze da.

„Es gibt keine arbeitslosen Pflegekräfte“

Können Sie die Krankenhäuser nicht einfach dazu zwingen, mehr Ausbildungsplätze anzubieten?

Nein. Aber ich glaube schon, dass sich viele Krankenhäuser ertappt fühlen, weil wir das Ganze zum Thema gemacht haben. Ich habe in letzter Zeit viele Krankenhausmanager getroffen, die mir gesagt haben, dass sie jetzt ihre Pflegeschulen ausbauen wollen. Sie wünschen sich oft aber auch ein Förderprogramm dafür – aber meine finanziellen Mittel sind begrenzt. Um das klar zu sagen: Duale Ausbildung heißt, dass die Arbeitgeber eben auch die Ausbildungsplätze zur Verfügung stellen müssen.

In der Altenpflege gibt’s nun viel mehr Ausbildungsplätze. Trotzdem sinkt der Zuwachs an neuem Personal und ist weit unter dem Bedarf.

Die Zahl der Pflegekräfte steigt nicht so, wie wir uns das wünschen. Sie müssen eines sehen: Es gibt keine arbeitslosen Pflegekräfte und man kann sie nicht vom Baum pflücken. Es gibt Fachkräftemangel. Doch um diesen Beruf auszuüben, bedarf es nicht nur bestimmter Fähigkeiten, dazu gehört auch eine innere Einstellung. Entweder bist du es von Herzen, oder du bist es nicht. Sie können nicht aus jedem Menschen eine Pflegekraft machen. Die Zahl der Menschen, die so ticken, ist nicht unendlich vermehrbar.

Aktuell holen wir viele Pflegekräfte aus Osteuropa.

Wir haben neben osteuropäischen Pflegekräften sehr viele Betreuungskräfte in Privathaushalten in NRW. Ohne sie könnten viele Pflegebedürftige überhaupt nicht mehr in den eigenen vier Wänden leben.

Einsamkeit im Alter ist ein Riesenthema, oder?

Heute ist die jüngere Generation über Tage oft nicht mehr zuhause – auch in ländlichen Regionen. Also sind die älteren Menschen mutterseelenallein. Daher finden Sie von mir auch keine Aussagen, dass die ambulante Betreuung der stationären vorzuziehen sei. Ein Pflegebedürftiger soll da wohnen, wo er möchte. Ich habe in Pflegeheimen Menschen getroffen, die mir gesagt haben: „Wenn ich gewusst hätte, wie toll es hier ist, wäre ich schon eher gekommen. Zuhause war es so langweilig, so einsam.“ Das ist doch auch die Realität.

Also mehr stationäre Pflege?

Ich habe mich in der Zeit als Patientenbeauftragter der Bundesregierung sehr für die Etablierung der Tagespflege stark gemacht. Damit die Leute mal zwei, drei Tage in der Woche über Tag wo sind, wo sie nicht alleine sind. Als ich damals sagte: „Leute, wir müssen einen Kindergarten für alte Leute machen“, haben sie mich im Gesundheitsministerium verständnislos angeguckt. Wir haben U3-Betreuung und Ganztagskindergärten, also brauchen wir auch etwas für die Menschen, die durch hohes Alter in der Bewegung eingeschränkt sind. Aber man kann nicht alles über professionelle Pflege regeln.

Ohne Geborgenheit geht es nicht

Was meinen Sie?

Ich kann in Altenheimen Pflegekräfte beschäftigen. Aber das, was ein Mensch an Gesprächen und Liebe braucht, an Geborgenheit, das kann ich nicht nur über bezahlte Leute machen. Ich sage: Wenn Mutter ins Altenheim geht, hat man sie erst dann im Stich gelassen, wenn man sie nicht mehr besucht. Wir können nicht das Thema Pflege aus den Familien rausrationalisieren. Deshalb werbe ich für diesen Mix. Deshalb sage ich aber auch: „Es macht großen Sinn, so zu leben, dass einen im Alter einige Leute noch leiden können.“

NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann beim NRZ-Besuch mit Chefredakteur Manfred Lachniet (l.) und NRZ-Herausgeber Heinrich Meyer.
NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann beim NRZ-Besuch mit Chefredakteur Manfred Lachniet (l.) und NRZ-Herausgeber Heinrich Meyer. © Kai Kitschenberg

Roboter geben wenig Liebe. Können sie trotzdem eine Hilfe sein?

Ja. Gehen Sie mal in ein normales Pflegeheim. Ich wundere mich immer, dass es dort so wenig Technik gibt, die Pflegekräfte beim Heben von Menschen unterstützt. Da könnte ich mir technische Innovationen vorstellen. Was ich aber nicht glaube und auch nicht als wünschenswert ansehe, ist, dass Roboter irgendwann Pflegekräfte ersetzen. Empathie kann nicht durch Maschinen ersetzt werden.

Anderes Thema: Landärztemangel. Brauchen wir eine leichtere Anerkennung von ausländischen Berufsabschlüssen?

Wir müssen bei den Anerkennungen besser werden. Wir haben keine Willkommenskultur bei den Berufsanerkennungen und ich bin auch sehr unzufrieden, wie das in Nordrhein-Westfalen läuft. Ich sehe das Thema aber zwiegespalten.

Wieso?

Dass wir jetzt armen Ländern die Ärzte wegholen, weil sie hier mehr verdienen, naja, da kann man so und so drüber denken. Wir haben 2017 in NRW rund 1500 ausländische Ärzte anerkannt. Etwa 2000 wurden selbst ausgebildet. Die kommen meist aus dem arabischen Raum sowie Rumänien, Bulgarien und der Ukraine. Mir hat letztens ein rumänischer Caritasdirektor erzählt, dass in den letzten sechs Jahren 26.000 Ärzte von Rumänien nach Westeuropa gegangen sind. Das Land hat ungefähr so viele Einwohner wie NRW. Selbst wenn nur halb so viele Mediziner das Land verlassen haben, hieße das, es gingen in sechs Jahren so viele Ärzte weg, wie wir im gleichen Zeitraum ausbilden. Das ist unverantwortlich gegenüber diesen Ländern.

Mehr Studienplätze für Mediziner

Also besser selbst ausbilden…

Ja. Wir haben in NRW nicht ausreichend Ärzte ausgebildet, ein schweres Versagen. Es gibt heute ein anderes Verhältnis zwischen Arbeitszeit, Familie und Freizeit als früher. Wenn ein Arzt ausscheidet, brauchen wir 1,3 bis 1,4 neue Stellen, um auf die gleiche Arbeitszeit zu kommen. Darauf haben wir aber nicht reagiert. Daher habe ich mich für die neue medizinische Fakultät in Bielefeld mit 300 Studierenden eingesetzt. Wir haben zudem 25 zusätzliche Medizinstudienplätzen in Bonn-Siegen geschaffen und die Zahl der Studienplätze in Witten-Herdecke auf 168 pro Jahr verdoppelt.

Und Sie locken junge Leute mit einem einfacheren Zugang zum Studium, wenn sie sich zu zehn Jahre Landarzt verpflichten...

Richtig ist: Wir vergeben nun etwa 170 Studienplätze nicht über die Unis, sondern per eigenem Auswahlverfahren, das ich über das Landeszentrum für Gesundheit in Bochum mache. Kritikern sage ich: Wir vergeben seit über 30 Jahren Studienplätze an Militärärzte, die verpflichten sich für 17 Jahre. Ich will niemanden aufs Land zwingen. Ich möchte jene rausfiltern, die in unterversorgten und von Unterversorgung bedrohten Regionen arbeiten wollen. Es gibt Menschen, die Landarzt werden wollen. Sie sollen eine Chance bekommen, auch ohne Spitzenabitur.