Essen.. Warum Bahnkunden froh sein können, dass manche Jugendträume nicht in Erfüllung gehen. Oder: Wie man als Lokführer am Simulator scheitern kann.

Ein Glück, dass die Leute auf dem vollgestopften Bahnsteig nicht reden können – und nicht abfällig winken. Ich bin zu lahm mit meinem Zug. Obwohl ich erst vor zehn Minuten losgefahren bin. „Da stehen so viele Leute, weil Sie zu spät sind“. Echt jetzt? „Ja, da hat sich der Programmierer einen Spaß erlaubt“, sagt Michael Klatecki. Er ist quasi mein Fahrlehrer. Wenn ich die Augen vom Bildschirm lösen könnte, wo mein Regionalexpress seit einigen Minuten durch per Knopfdruck hergezaubertes Schneegestöber fährt, könnte ich ihn wohl grinsen sehen.

Wäre das nicht ein Simulator, so müsste ich jetzt vermutlich eine Durchsage machen, in der Art: „Guten Tag, verehrte Fahrgäste, wegen einer Störung im Betriebsablauf haben wir derzeit eine Verspätung von etwa zehn Minuten. Ihr Lokführerversager“ Denn was ich nicht sagen würde: Ich bin diese Störung. Ich bekomme diesen Zug nicht in den Griff.

Dabei sieht das so einfach aus. Hebel nach vorn. Zug fährt. Anderen Hebel nach hinten: Zug bremst. Aber er bremst auch so. Und zwar dauernd. Und eine Stimme sagt hämisch: „Zwangsbremsung.“ Weil ich mal wieder zu schnell war, weil ich meinen Fuß nicht rechtzeitig von der Wachsamkeitstaste genommen habe. Weil ich nicht per Knopfdruck bestätigt habe, dass ich das Signal gesehen habe. Und zig andere Gründe, die zum Scheitern führen würden.

Jedenfalls weiß ich schon nach dem ersten halben Dutzend Zwangsbremsungen und der knappen halben Stunde im Simulator: Zehn Jahre Modellbahn und drei, vier Mal beim ICE die Nase an die Glasscheibe zum Lokführer-Cockpit drücken, reicht nicht, um endlich den Kindheitstraum vom Lokführerdasein umzusetzen.

Dabei – allen Ernstes – könnte ich zumindest als Schüler hier anfangen. „Wir hatten hier schon mal einen, der war sogar 60 Jahre alt“, sagt Michael Klatecki, der hier in Essen die Ausbildung an der Lokführerschule leitet. Na, das ist doch eine gute Nachricht. Ob ich vielleicht berufsbegleitend doch..? „Die anderen nannten ihn Opa“, setzt Klatecki nach. Nun gut. Befassen wir uns mit der Theorie.

Ein knappes Jahr dauert es, um Menschen zum Lokführer zu machen. Dann bekommen sie den „Triebfahrzeugführerschein“. Mit dem kleinen Haken, dass diese ihnen erstmal nichts nutzt. Anders als beim Autoführerschein. Da reicht eine Prüfung für alle Autos und alle Straßen. Ein Lokführer muss seinen Schein Punkt für Punkt erweitern, wie auf einer Sammelkarte bekommt er die Zulassung für einzelne Triebwagen und Loktypen.

Ein Führerschein, der ohne Streckenkunde nichts wert ist

Dann muss er Strecken sammeln, fährt erst einmal mit einem Kollegen die Routen, damit er weiß, wo welche Signale stehen, wo er halten muss, wie er mit welchem Fahrdienstleiter Kontakt aufnehmen kann – und wo er nach Feierabend seinen Zug abstellen kann. Mein Fahrdienstleiter heißt Klatecki, steht hinter mir und versucht, mir Tipps zu geben.

Wo diese verdammten Magnete neben dem Gleis sind, wie schnell ich fahren darf und wann ich den Fuß von der Taste nehmen muss, damit die Sifa mich nicht bremst – die Sicherheitsfahrschaltung, mit der ich zeige, dass ich wach bin. Alle 30 Sekunden nehme ich den Fuß darunter. Sollte ich. Sonst leuchtet ein Licht, piepst irgendwas oder der Zug bremst. Mal wieder.

Ohne dass ich das will. Sehr zum Leidwesen der wartenden Menschen auf dem Bahnsteig. Die zum Glück nur virtuell frieren. Ich höre sie trotzdem schimpfen. Auf die Bahn, die nichts in den Griff bekommt. Dabei liegt es heute daran, dass der Lokführer nichts taugt.