Kleve. . Oberstaatsanwalt Günter Neifer spricht über die Ermittlungen im Klever JVA-Fall, die nun auch auf den Anstaltsarzt ausgeweitet worden sind.
Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Kleve bringen immer mehr Details im bundesweit aufsehenerregenden Fall des zu Unrecht inhaftierten Syrers Amad A. ans Licht, der nach einem Zellenbrand in der JVA Kleve starb. „Wir spüren, dass die Öffentlichkeit ein besonderes Auge auf diesen Fall hat“, sagt Oberstaatsanwalt Günter Neifer im Gespräch mit dieser Redaktion. „Wir müssen aber mit Sorgfalt und Gründlichkeit feststellen, was sowohl auf der Seite der Polizei als auch im Justizvollzug wirklich passiert ist.“
NRW-Justizminister Peter Biesenbach legte dem Rechtsausschuss in der vergangenen Woche einen 60-seitigen Bericht vor, der sich in großen Teilen auf die aktuellen Erkenntnisse der Staatsanwaltschaft Kleve stützt. Aus den Berichten des Leitenden Oberstaatsanwalts Holger Schönwitz in Kleve geht hervor, dass ein JVA-Bediensteter am 17. September gegen 19.19 Uhr über die Haftraum-Kommunikationsanlage einen sogenannten Lichtruf aus der Zelle von Amad A. angenommen, nach neun Sekunden jedoch wieder beendet hat, weil er gleichzeitig ein Telefonat eines anderen Gefangenen überwachen musste.
Sicherheitsexperten untersuchten Vorgänge
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Der dargestellte Umgang mit Lichtrufen stellt insoweit keine Besonderheit dar und wird in der Praxis so auch in anderen Anstalten geübt“, vermerkten zwei vollzugliche Sicherheitsexperten der Landesjustizvollzugsdirektion im NRW-Justizministerium, die am 25. Oktober die Abläufe vor Ort in der JVA Kleve untersucht hatten.
Erst vier Minuten nach dem Lichtruf wurde Feueralarm ausgelöst, und JVA-Bedienstete öffneten die Zelle, aus der Amad A. mit Verbrennungen von 40 Prozent seiner Haut taumelte. Angebliche Hinweise, nach denen Bedienstete die Haftraumtür nicht sofort geöffnet hätten, weist JVA-Leiter Udo Gansweidt laut des Berichts als „haltlose Unterstellungen“ und „mit allem Nachdruck“ zurück.
Ermittlungen gegen den Anstaltsarzt
Oberstaatsanwalt Günter Neifer bestätigt, dass die Ermittlungen bislang ausschließlich auf den Anstaltsarzt der JVA Kleve ausgeweitet worden seien. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen den Mediziner wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung durch Unterlassen.
Hintergrund ist, dass der Anstaltsarzt im Zusammenhang mit einer möglichen Suizidgefährdung mehrfach keine Bedenken gegen eine Aufhebung der Beobachtung von Amad A. im 15-Minuten-Rhythmus äußerte. Klaus Stanek, Büroleiter der Anwaltskanzlei Nierenz & Batz, die den Syrer im Asylverfahren vertreten hatte, legte dagegen als Zeuge ärztliche Bescheinigungen vor, die eine Borderline-Störung nahelegen. Bereits vor rund einem Monat hatte Stanek im Gespräch mit dieser Redaktion über seinen ehemaligen Mandanten gesagt: „Er litt an einer hochgradigen posttraumatischen Belastungsstörung. Das war ihm anzumerken und anzusehen.“
Gutachten des Brandsachverständigen
Das mittlerweile von der Staatsanwaltschaft ausgewertete Gutachten des externen Brandsachverständigen habe die gewünschte Klarheit erbracht, bekräftigt Günter Neifer. „Wir wissen, dass der Brand vorsätzlich gelegt wurde.“ Die Brandermittler fanden unter der Liege von Amad A. in der Zelle einen großen Haufen an Textilien und auch die Matratze der oberen Liege des Etagenbetts. „Das Verletzungsbild zeigt, dass der syrische Staatsangehörige über einen längeren Zeitraum gestanden hat. Fahrlässiges Verhalten wie ein Einschlafen mit einer Zigarette ist in höchstem Maße unwahrscheinlich“, so der Oberstaatsanwalt.
Wann die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen, die sich auch gegen sechs Beamte der Kreispolizeibehörde Kleve richten, zum Abschluss bringen wird, möchte Neifer nicht voraussagen. „Das wäre spekulativ. Wir sind bemüht, möglichst schnell Ergebnisse zu erarbeiten, und stecken viel Manpower in die Ermittlungen“, sagt Neifer. „Dabei ist es unsere Aufgabe herauszufinden, ob ein strafbares Verhalten vorliegt. Es geht nicht darum, moralische Bewertungen abzugeben.“