Emmerich. . Der komplizierte Fall einer Rentnerin aus Emmerich zeigt, wo der Sozialstaat seine Grenzen findet. Nun kümmert sich der Bürgermeister persönlich.
Fälle wie diese bringen den Sozialstaat an seine Grenzen. Es geht um eine 77-jährige Emmericherin. Mit Tränen in den Augen schildert sie in der Redaktion ihren Fall. Sie kommt mit dem Geld nicht aus. Ihr ist es sehr unangenehm, dass sie in diese Lage gerutscht ist. Deshalb wird ihr echter Name nicht genannt – wir nennen sie Lise Müller. Der Fall ist so kompliziert, dass Bürgermeister Peter Hinze den Fall inzwischen zur Chefsache erklärt hat. Herbert Looschelders, Geschäftsführer von Selbsthilfe – Verein für Sozialberatung, sowie sein Berater-Kollege Heinz Gräbing, unterstützen die Rentnerin neuerdings. Sie werfen der Stadt Versäumnisse vor. Während im Jobcenter Hartz IV-Fälle gut bearbeitet würden, stocke es aber häufiger bei der Sozialhilfe.
Die Komplexität des Falles lässt sich nur ansatzweise erklären: Der Ehemann ist dement und lebt in einem Heim. Im Haus des Paares wohnt neben Lise Müller die Tochter samt Kind zur Miete. Das Haus verursacht hohe Nebenkosten. Die Heizung ist kaputt, Herr Müller schaffte es nicht mehr, sie zu reparieren, bevor er ins Heim kam. Entsprechend hoch sind die Stromkosten. Auch Hauskredit und Erbpacht drücken auf den Geldbeutel.
„Stadt hätte Not erkennen müssen“
Der Ehemann hat einen gesetzlichen Betreuer bekommen. Seine Entscheidungen betrafen auch die Ehefrau. Unvermittelt verstummte das Telefon etwa. Eigentlich hat die verzweifelte Frau auch Anspruch auf Unterhalt durch den Mann. Der Betreuer verwendet dessen Rente aber für die Pflegekosten des Mannes. „Sie muss ihren Anspruch geltend machen“, sagt Hinze.
Schon 2015 sei sie erstmals im Sozialamt Emmerich gewesen. „Sie seien nicht zuständig, haben sie gesagt, weil mein Mann unterhaltspflichtig sei“, erklärt Müller, die immer Zeugen dabei gehabt habe. Da es um den Unterhalt des Mannes gehe, sei der Kreis Kleve zuständig. Hinze beteuert, es sei niemand weggeschickt worden, das sei ein Missverständnis. Dem spreche entgegen, dass das ganze Verfahren schon seit Jahren nicht richtig voran komme, meint Looschelders: „Die Stadt hätte die Notlage erkennen müssen.“
Stadt, Kreis, Caritas, Betreuer des Mannes: Die 77-Jährige hatte es mehrfach mit anderen Ansprechpartnern zu tun. Es sei unangenehm die schamvolle Lage jedes Mal neu zu erklären. Öfter dachte sie, der Stein sei ins Rollen gebracht. Doch nichts passierte. Ihr ist es nicht gelungen, eine sozialhilferechtliche Trennung von ihrem Mann zu beantragen. Sie scheint überfordert. Eine Zumutung, findet Gräbing, dass eine 77-Jährige fehlende Unterlagen beim dementen Mann besorgen soll.
Stadtwerke drohten Strom abzustellen
Die ganze Lage hat Lise Müller zugesetzt. Sie schläft nachts schlecht. Im November 2016 ist sie prompt nachts die Treppe herunter gestürzt und hat sich einen Oberschenkelhalsbruch zugezogen. Fünfeinhalb Wochen war sie im Spital, danach vier Wochen in Reha. Jegliche Korrespondenz ihrerseits stand still in der Zeit. Die Stadtwerke drohten den Strom abzustellen. Eine Pfändungsankündigung der KBE liege vor.
Das Haus, so Looschelders, sei sozialhilferechtlich geschützt. Durch die Vermietung blieben Müller unter 80 qm. Eine vergleichbare Wohnung werde schwer zu finden sein. Außerdem ist das Haus alt, sanierungsbedürftig, deshalb eher schwer zu verkaufen. Es sei zu eruieren, ob die Lasten des Hauses zu hoch seien. Die Tilgung scheint zu hoch zu sein, so Looschelders. Man müsste mit der Bank einen höheren Zinsanteil verabreden: „Schwierig zu erreichen“, meint der Geschäftsführer. „Bis dahin müsste bezahlt werden. Aber sie wird hängen gelassen“, so sein Eindruck. Nach Paragraph 44 SGB XII müsse übergangsweise gezahlt werden: „Die Notlage ist klar“, sagt Looschelders. Es sei eine Frage der Zeit, bis der Gerichtsvollzieher vor der Tür stehe. Mit 450 Euro Rente und knapp 600 Euro Mieteinnahmen könne Müller ihre Kosten nicht decken. Es könne nach Prüfung des kompletten Falls durchaus so sein, dass Müller keinen Anspruch auf Grundsicherung habe, aber bis dahin müsse gezahlt werden, so Looschelders.
Betreuer wäre hilfreich
Hinze meint: „Die Frau ist überfordert. Es fehlt jemand, der sie an die Hand nimmt.“ Die Tochter habe ihm erklärt, sich nicht in der Lage sehen, das zu regeln. Hinze glaubt, die Rentnerin bräuchte einen Betreuer für Behördengänge. Immerhin: Im Januar gibt es einen Termin mit dem Kreis Kleve und dem Berater des Mannes. Hinze will dran bleiben. Der Strom werde nicht vor Februar abgestellt. Kurzfristig wäre ein Berechtigungsschein für die Tafel hilfreich.
>>KEINE KONTO FÜR TOCHTER UND DEREN MANN
Für die Stadt Emmerich ist die tatsächliche finanzielle Lage von Lise Müller unklar. „Da war Geld auf meinem Konto von meiner Tochter und meinem Schwiegersohn. Sie hatten bei der Sparkasse kein Konto bekommen. Ich konnte das nachweisen.“ Heinz Gräbing bestätigte, dass er als Berater häufiger Banken auf das Recht eines Basiskontos hinweisen musste. Es gab mehrere Fälle, in denen Geld von Verwandten über dieses Konto floss. Müller bemühte sich um Belege, soweit dies möglich war.