Enkhuizen. . Eine Katastrophe am eigenen Leib spüren – dieses befremdliche Gefühl bietet das Zuiderzee-Museum Enkhuizen den Besuchern.

Hier entlang bitte, durch das große Rotkreuz-Zelt, Gummistiefel und Schutzkleidung stehen bereit. Nein, die möchte niemand an diesem sonnigen Herbstferientag – die internationalen Pressevertreter treten mit ihren Kameras hinaus auf die provisorischen Holzstege. „Schwere Verwüstungen nach dem Deichbruch“, der große Kutter liegt hinter den Häusern. Die Ställe sind zerstört. Kein Stein ist auf dem anderen geblieben, in dem kleinen Fischerdorf nach der Flut.

Kameras surren, Auslöser klicken – beinahe routiniert erzählt eines der Flutopfer, die Fischersfrau, wie schnell alles ging: der Sturm, die Notglocke und dann drang auch schon das Wasser von allen Seiten ein und die Familie flüchtete mit dem, was man gerade noch greifen konnte, auf den Dachboden. Jetzt liegt der Hausrat auf der Straße, drinnen in den Häusern sieht alles noch schlimmer aus, es riecht muffig – verzweifelt versuchen die Bewohner wenigstens ein paar Kleider auf der Leine zu trocknen. Die beiden kleinen Mädchen in ihren hübschen Sonntagskleidern greifen nach der Hand ihrer Großmutter und zeigen auf den zerstörten Kinderwagen, der in dem ganzen Unrat liegt. „Oma, lebt das Baby noch?“ Nein, denn es müsste über 100 Jahre alt sein.

1916 war die letzte große Flut

1916 war die letzte große Flut im Zuiderzee-Gebiet, das damals noch richtiges Meer war. Seit der Abschlussdeich das Ijsselmeer von der Nordsee trennt, liegt Enkhuizen an einem großen Binnensee. Aber Fluten und Überschwemmungen bleiben in dem Land, das größtenteils unter Meeresspiegel liegt, immer ein Thema – auch zur pädagogischen Aufarbeitung im Freilichtmuseum. Im Jubiläumsjahr der Flut hat das Zuiderzeemuseum einen gigantischen Aufwand unternommen, um das Thema „überflutet“ beklemmend echt erlebbar zu machen. Über den Aufbau gibt es unter www.zuiderzeemuseum.nl einen kleinen Film zu sehen.

In der Straße der Flutopfer

Man mag darüber streiten, ob es pädagogisch sinnvoll ist, ein „Evakuierungsspiel“ anzubieten, bei dem Besucher bei authentischem Sturmbrausen und klappernden Fensterläden in einer Minute entscheiden müssen, wen oder was sie in Sicherheit bringen wollen: die Tiere? Wie denn? Die Lebensmittelvorräte? Welche? Lieber alles in ein kleines Ruderboot packen oder auf den Dachboden gehen und beten?

Den Pressevertretern ist klar, dass sie mit echten Katastrophen nicht anders umgehen: fotografieren, filmen, Opferzahlen und Schäden nennen. Auch 1916 kam die Königin schon mit einem Kamerateam ins Katastrophengebiet.

Seile drehen, Fische räuchern...

Im Freilichtmuseum hat jeder die Wahl, der Flut und den Opfern lieber aus dem Weg zu gehen und ein anderes, heiteres Lern-Angebot anzunehmen. Schreiben lernen in der Dorfschule, Seile drehen, Fische räuchern, in der Wäscherei zuschauen oder die beiden glücklichen Schweine mit selbstgepflückten Äpfeln füttern? Schiffchen bauen aus Holzschuhen, das Geld auf die Raiffeisenkasse bringen, im Käseladen einkaufen, die Windmühle auf dem Polder fehlt auch nicht und wer mag, kann ein Häubchen wie Frau Antje anziehen – das gesamte Repertoire an lebendiger Geschichte, wie man es auch aus heimischen Freilichtmuseen kennt, wird in Enkhuizen selbstverständlich angeboten.

Die Häuser sind echt, in der Kirche darf wirklich geheiratet werden, der Hafen und die Schiffe darin sind authentisch und von März bis Ende der Herbstferien kann man mit der Fähre stilecht vom Bahnhof zum Museumsanleger übers Wasser anreisen. Nur dass es neben dem Museumsdorf auch noch ein – ganzjährig geöffnetes – Binnenmuseum als Schatzkästchen gibt.

>> WEITERE INFORMATIONEN

In den Weihnachtsferien ist auch der Außenbereich des Museumsdorf in Enkhuizen wieder erlebbar, vom 24. Dezember bis zum 8. Januar täglich von 10 bis 16 Uhr.

Mehr Infos auch in deutscher Sprache gibt es unter www.zuiderzeemuseum.nl.