Duisburg. Am letzten Wochenende im Oktober wird wieder am Zeiger gedreht und von der Sommer- auf die Winterzeit umgestellt. Bernhard Schmeltzer ist Uhrmachermeister in Duisburg und spezialisiert auf antike Stücke. Im Gespräch schwärmt er vom präzisen Handwerk und großer Geschichte

Es tickt, gongt, schlägt und zwitschert sogar. In der kleinen Werkstatt an der Untermauerstraße am Kuhtor in der Innenstadt bleibt die Frage, wem die Stunde geschlagen hat, nur eine rhetorische. Ringsherum an Wänden, auf Regalen und im Schaufenster geben die Zeiger ganz unterschiedlicher Uhrenmodelle die Zeit an – große Wanduhren, kleine Reiseuhren, Taschen- und Armbanduhren, manche mechanisch-automatisch, andere mit Handaufzug.

Wer das Geschäft von Uhrmachermeister Bernhard Schmeltzer betritt, bekommt schnell das Gefühl – trotz aller Tickerei, dass die Zeit hier ein wenig stehen geblieben ist: Der 77-Jährige, der das Geschäft in vierter Generation und in dritter Familiengeneration führt, ist auf antike Uhren spezialisiert. Sein Handwerk ist seine große Leidenschaft, sein Beruf auch Berufung. Mit seinen Fertigkeiten und Kenntnissen hat sich der Duisburger weit über die Stadtgrenzen hinaus einen Namen gemacht, reist jedes Jahr nach St. Petersburg, um dort historische Uhren russischer Zaren zu restaurieren. In diesem Jahr feiert sein Geschäft 135-jähriges Bestehen, er selbst ist seit 60 Jahren ohne Unterbrechung im Beruf. Im Gespräch erzählt er von Handwerk, Geschichte und der Zeit.

Guten Tag, Herr Schmeltzer. Haben Sie kurz Zeit für mich?

Guten Tag. Ja, Zeit habe ich eigentlich jeden Tag, 24 Stunden lang.

Sie sind Uhrmachermeister, genau wie Ihr Großvater und Vater. Konnten oder wollten Sie nichts anderes machen?

Ich war gerade 16 Jahre alt und kurz vor der Mittleren Reife, als mich mein Vater fragte, was ich denn werden wolle. Ich meinte: Uhrmacher. Mein Vater hat nicht gesagt, dass ich das machen soll und auch niemand anderes übte Druck auf mich aus. Mein Vater besorgte mir dann eine Lehrstelle und damit fing das Leben an, das mir bis heute noch Freude bereitet. Denn in der Schule war ich ja nicht so gerne und ich war auch schlecht. Ich habe nur mit Mühe bestanden und die Mittlere Reife geschafft.

Hatten Sie als Kind schon ein Interesse für Uhren?

Nein, überhaupt nicht. Einen Tag, bevor ich meine Lehre begann, sagte ich zu meinem Vater: ‘Papa, kannst Du mir nicht mal ein Uhrwerk geben? Ich will das doch mal auseinander nehmen.’ Das habe ich dann auch gemacht, habe es aber nicht mehr zusammen bekommen...

Wieso haben es Ihnen antike Stücke angetan?

Ich hatte immer schon ein großes Geschichtsinteresse. Und all diese historischen Uhren habe ihre ganz eigene Geschichte.

Sie haben mal gesagt, dass Sie beispielsweise, wenn Sie eine Schweizer Uhr öffnen, die Berge sehen und sich bei einer Uhr aus Frankreich den französischen Jura vorstellen. Wie meinen Sie das?

Wenn ich von Kunden eine Uhr zur Reparatur bekomme, sehe ich schon von außen, wann sie gemacht wurde und in welchem Land. Wenn ich das Uhrwerk öffne, sehe ich, dass sie zum Beispiel aus dem Schweizer Jura stammt. Das Ziffernblatt aber hat man aus Genf bekommen, denn dort waren die Emaille-Firmen. Die Gehäuse sind eventuell aus Deutschland und so weiter. In meinem Gehirn entsteht dann ein Bild von den Transportmitteln jener Zeit, wie beispielsweise Eisenbahn und Pferdekutschen. Und ich kenne alle die Strecken, weiß, wo sie lang führen und kenne die Berge, die dahinter liegen. Ich weiß, in welchen Häusern die Leute gearbeitet haben, wer dafür zuständig war, dass diese einzelnen Dinge zu einer Uhr verarbeitet wurden. Und so erzählt jede Uhr eine bestimmte Geschichte.

Was schätzen Sie, wie viele Uhren Sie in ihrem Leben bisher schon repariert haben?

Och, da muss ich überlegen. Also ich selbst mache circa 700 im Jahr, also 7000 in zehn Jahren, das Ganze mal fünf, macht 35 000 Uhren...

Und was macht für Sie die Faszination einer mechanischen Uhr aus?

Dass auf so kleinem Raum so viele Teile zusammen sind und das Ganze funktioniert. Es gibt Uhren, ich zeige Ihnen mal eine… (Er holt eine kleine Damen-Armbanduhr hervor). Die hat so ein kleines Uhrwerk wie ein Ein-Cent-Stück. Darin sind 150 Teile auf engstem Raum verarbeitet.

Gibt es auch ein Lieblingsstück?

Ja, eine Uhr aus St. Petersburg. Es ist eine Reiseuhr des russischen Zaren Nikolaus II., der vor 100 Jahren ermordet wurde. Sie hat ein silbernes und mit Edelsteinen besetztes Gehäuse von Fabergé und ein Werk aus England. Montiert wurde das Ganze aber in Frankreich. Das ist schon etwas ganz Besonderes. Und natürlich war auch der Besitzer ein besonderer Mensch.

Einmal im Jahr reisen Sie nach St. Petersburg, um dort historische Uhren zu restaurieren?

Ich bin im Fachkreis Historische Uhren Schloss Raesfeld e.V. – darin sind rund 40 Uhrmachermeister aus allen Teilen Deutschlands. Einer dieser Uhrmacher hat eine russische Frau, die er in St. Petersburg kennenlernte. Und mit ihr ist er dort auch im Sommerpalast der Zaren gewesen. Er fragte, warum die Uhren im Museum nicht laufen würden und bekam zur Antwort, dass man keinen Uhrmacher dafür hätte. Er bot an, dass wir als weitergebildete Uhrmacher kommen, um die Uhren zu restaurieren. So wurde das in die Wege geleitet. Ich war jetzt 15 Mal dort.

Sie machen das aus reiner Leidenschaft?

Wir bezahlen nur den Flug. Aber es ist einfach ein tolles Gefühl, das zu tun, denn man vertraut mir so ein kostbares Stück an, das ich ja nicht kaputt machen darf. Es ist eine ganz große Anerkennung.

Und in Indien haben Sie auch schon Uhren restauriert?

Ja, da waren wir jetzt auch zweimal mit sechs Leuten beim Maharadscha von Jodhpur und haben fleißig gearbeitet.

Apropos Länder und Uhren: Was haben Sie denn für ein Verhältnis zur Schweiz?

Nun, die meisten Uhren, die ich in meinem Leben verkauft habe, kommen aus der Schweiz. Und außerdem fahre ich zum Skilaufen schon lange in die Schweiz und familiär sind da auch Kontakte hin...

Ticken die berühmten Schweizer Uhren denn wirklich so genau?

Ja, die ticken sehr zuverlässig. Das ist auch heute noch so.

Am kommenden Wochenende wird wieder an den Zeigern gedreht, die Uhren von Sommer- auf Winterzeit umgestellt. Haben Sie als Uhrmacher ein besonderes Verhältnis zur Zeitumstellung?

Nein, das ist für mich ganz normal. Das nehme ich als gegeben hin, denke da nicht weiter drüber nach. Nur an dem Montag danach kommen immer mehrere Kunden, die ihre Uhr nicht verstellen können...

Was meinen Sie: Ist alles nur eine Frage der Zeit?

Nein. Das wäre auch ganz traurig.

Eine indische Weisheit besagt ja: Der Mensch denkt, dass die Zeit vergeht, die Zeit denkt, dass der Mensch vergeht...

Die Zeit ist, soweit ich weiß, das Einzige, was noch nicht richtig erforscht ist. Niemand weiß im Grunde, was die Zeit als solches ist. Man kann sie nur an Vergleichen erkennen: Tag und Nacht, die Veränderung der Sterne am Himmel oder der Bäume oder die Müdigkeit, die uns nach einiger Zeit überfällt.

Und zum Schluss: Können Sie sich vorstellen, zeitlos zu leben?

Nö! Wollte ich auch gar nicht. Ich freue mich ja auch auf Zeiten, die vor mir liegen, beispielsweise wenn ich mich auf eine Wanderung mit Freunden begebe. Und wenn ich die Zeit nicht wüsste, könnte ich mich ja gar nicht freuen.