Bocholt. . Wenn die alten Webstühle rattern, wird es richtig laut. Und Kaninchen gibt es im TextilWerk Bocholt auch...

Was für ein Lärm! Was für ein Rattern! Du meine Güte, was können diese alten Teile noch für einen Radau machen. Und die sind nicht nur laut, die sind auch noch voll funktionstüchtig. Wahnsinn! Martin Schmidt schmunzelt. Der Mann ist wissenschaftlicher Referent und hat Erfahrung mit Besucheremotionen. „Das ist eben das Besondere bei uns“ sagt der Mann mit dem Zauberschlüssel, „wie bieten Museum für alle Sinne.“ Schau-Vitrinen finden sich im TextilWerk Bocholt natürlich auch, aber man kann Geschichte und Museum auch hören, fühlen, riechen...

In der Weberei, zum Beispiel. Da, wo Herr Schmidt heute mal ebkes mit einem Knopfdruck 32 historische Webstühle ans Laufen bekommt, einer nach dem anderen, einer lauter wie der andere. Wie gesagt, die machen nicht nur Krach und Getöse, die weben auch. Unter den Sheddächern (mit den großen, nach Norden ausgerichteten Glasfenstern) bringen Transmissionsriemen und lange Antriebswellen die historischen Maschinen in Schwung – man versteht sein eigenes Wort nicht mehr. Ein imposanter Einblick in den Arbeitsalltag, der vor 100 Jahren für Tausende von Männern und Frauen vollkommen normal war. Leben im Takt der Maschinen.

Und dann schnappt sich Herr Schmidt wieder seinen Allroundschlüssel, die Besucher stehen mit großen Augen im Maschinenhaus vor einer riesigen, zweizylindrigen Dampfmaschine, die einst alles in Schwung hielt. Langsam, ganz langsam setzt sich das Ungetüm (Baujahr 1917) in Bewegung, es riecht nach Öl und Arbeit, das Riesenrad dreht sich, die Transmissionsriemen laufen und: man hört nix. Dass ein Koloss so leise sein kann...

Dat is ne Dampfmaschin’....
Dat is ne Dampfmaschin’.... © NRZ

Das LWL-Industriemuseum Textilwerk Bocholt hat einen sperrigen Namen, aber eine spannende Geschichte zu erzählen. „Das ist schon ein einmaliges historisches Ensemble der Textilproduktion“, sagt Martin Schmidt. Zwei Standorte rechts und links des Flusses Aa. In der historischen Spinnerei werden nach großer Umbauphase ab Herbst auf drei Etagen Ausstellungen gezeigt, die sich u.a. der Technik aber auch dem Modedesign und internationaler Textilkunst widmen. In unmittelbarer Nähe dann die Weberei, in der sich zigtausende Spulen drehen und man selbst sogar am Webstuhl Platz nehmen darf.

Das Spinnen und Verweben von Baumwolle hat in Bocholt eine lange Tradition. Über 450 Jahre lang prägte die Faser, die aus Übersee importiert werden musste, das Wirtschaftsleben der Stadt und der Region. Vor allem zwischen 1870 und dem Ersten Weltkrieg boomte die Branche: Bocholt zählte bis zu 80 Textilbetriebe, in denen zeitweise bis 10.000 Menschen arbeiteten. 1984 beschloss der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) die Einrichtung eines Textilmuseums. Die Weberei wurde nach historischem Vorbild gebaut.

Zur Exkursion in die Zeit der Weber und Spinner gehört auch ein Blick in ein typisches Arbeiterhäuschen aus dem Jahre 1920. Wohnküche, „Gute Stube“, Schlafräume, Vorratskeller und Waschküche sind originalgetreu eingerichtet – und wer mag, darf sogar unter das superschwere Plümmo krabbeln. Der Nutzgarten hinterm Haus ist bewirtschaftet – mit echten Hühnern und Kaninchen, dicke Bohnen , Kohlköppen, Kartoffeln, Porree, Möhren – man ahnt, wie viel nach Feierabend noch zu tun war, um den Lebensunterhalt zu sichern.

Wie gesagt, die Webstühle stehen nicht nur faul herum. Nach alten Mustern werden Hand- und Küchentücher sowie Tischdecken hergestellt und im kleinen Museumsladen verkauft. Besonders beliebt sind die baumwollenen Grubentücher, klassisch blau-weiß kariert. Die fehlten früher in keinem Haushalt.

LWL-Industriemuseum, Westfälisches Landesmuseum für Industriekultur,TextilWerk Bocholt. Weberei: Uhlandstraße 50 / 46397 Bocholt. Spinnerei: Industriestraße 5 / 46395 Bocholt.

Weberei: Geöffnet ganzjährig; Dienstag–Sonntag sowie an Feiertagen 10–18 Uhr. Letzter Einlass 17.30 Uhr. Die Spinnerei ist aufgrund von Umbaumaßnahmen erst ab 2. Oktober 2016 wieder geöffnet. Führungen durch das Gebäude können aber auch während dieser Schließzeit gebucht werden.

Hunde dürfen an der Leine aufs Außengelände mitgenommen werden. Sie dürfen jedoch nicht in die Gebäude.

Der Museumsparkplatz für beide Standorte befindet sich an der Uhlandstraße 50. Von dort sind es nur wenige Minuten zu Fuß entlang der Uhland- und Industriestraße bis zur Spinnerei. Eine fußläufige Direktverbindung entlang bzw. über die Aa ist in Vorbereitung.

Die Eintrittskarten, die Sie in der Spinnerei und der Weberei erhalten, gelten jeweils für beide Standorte. Eintrittspreise: Erwachsene 3 Euro , Kinder und Jugendliche 6–17 Jahre: 1,50 Euro .

Infos: www.lwl.org

Liebevoll zusammengetragen wurde die Ausstattung der Arbeiterhäuschen. Hier gilt: Anfassen und ausprobieren ausdrücklich erlaubt! Foto: LWL-Industriemuseum Die nächste Familienführung ist am 31. Juli, ab 16 Uhr in der Weberei. Thema: die Dampfmaschine (mit Dampfmaschinenmodell). Am 23. Juli, 15 Uhr, wird eine integrative Führung für Hörende und Gehörlose angeboten – mit einer Gebärdendolmetscherin.

Wir verlosen fünf Familienkarten für einen Besuch im LWL-Industriemuseum, TextilWerk, Weberei, Bocholt.

Schreiben Sie uns: Nieder-rheinredaktion, 47441 Moers, Postfach. Mail an: niederrhein@nrz.de – Stichwort: Weben. Einsendeschluss: 21. Juli 2016. Das Los entscheidet. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.

An jedem Sonntag, 16 Uhr: offene Führung durch die Weberei. Am letzten Sonntag im Monat: „Schauen, Staunen, Spüren“ – eine Familienführung für (Groß-) Eltern und Kinder.