Xanten. . Im Kreis Wesel helfen Jäger, die wachsende Zahl der „Sommergänse“ zu regulieren. Im Morgengrauen holten sie 63 Vögel vom Himmel.

Frühstück bei Sonnenaufgang im Stoppelfeld. Das Ohr weiß das eher als das Fernglas, die hungrigen Schnäbel schnattern im Anflug auf die Bislicher Insel in Xanten. Aber Augen auf, Vögel, sonst knallt’s: Da liegen acht Jäger mit der Flinte im Korn.

Auch interessant

„Zwei Schuss, zwei Gänse. So muss es sein.“ Johan Mooij blickt zufrieden in dieses Morgengrauen, dessen rosa Licht nicht passen will zu dem, was eben geschah: Anser anser, gemeine Graugans und hungrig nach einer Nacht im Naturschutzgebiet, bekam eine Ladung Schrot vor die Brust – und fiel vom Himmel. Und Doktor Mooij ist hier der Biologe, Vogelfreund und Gänsekenner! „Natur und Jagd“, sagt er trotzdem, „müssen sich nicht beißen.“

Bis zu zehntausend Tiere im Kreis

Was man in Wesel gerade tut, ist wohl Gänsemanagement für Fortgeschrittene. Jäger, Landwirte und Biologische Station beobachten gemeinsam die „Sommergänse im Kreis“, nannten auch ihr Projekt so. Und was zu viel ist, ist zu viel: Acht- bis zehntausend Grau-, Nil- und Kanadagänse zählten sie zuletzt an diesem Stück Niederrhein, dessen Schönheit zugleich sein Schaden ist. Immer mehr Flächen stehen unter Naturschutz, immer mehr Gänse haben dort keine natürlichen Feinde mehr. Sie fallen in die Felder ein und „grasen“, was schlicht heißt: „Sie fressen die Ähren ab“, klagt Ortslandwirt Hendrik Scholten, „bis ein ganzer Hektar nicht mehr zu beernten ist. Ein Riesenproblem.“

Auch interessant

„Wildschaden“ sagt dazu der Experte, weshalb die Kreisjägerschaft nun tut, was Tierschützer im Ruhrgebiet angestrengt zu verhindern suchen: Sie „entnimmt“ zwischen Juli und November Gänse. Seit Projektstart schoss sie etwa 2000.

„Wichtig ist waidmännisch“, sagt Johan Mooij, und das geht so: Im Dunkeln noch bauen sich die Jäger Unterstände, die aussehen wie Strohballen. „Särge“ nennen sie die fleckgetarnten Taschen, in denen sie rücklings liegen. Das lenkt die Tiere ab, aber es lockt sie noch nicht. Weshalb eine Schar Gummigänse mit zu Felde zieht, unauffällig im frisch abgeernteten Weizen sortiert, den Schnabel im Stroh oder den Hals zum Himmel. „Die tun“, sagt Theo Verhuven, „als ob sie herrlich fressen.“

Echt muss das aussehen, wie im wirklichen Leben, denn Gänse schicken Kundschafter voraus, „die gucken, was gut ist“. Stroh, das etwas heller ist, oder ein „falsches Verhältnis von Kopf hoch und Kopf runter“ ist nicht gut. Früher soll das Federvieh ja selbst als Jagdhund gearbeitet haben, Johan Mooij jedenfalls sagt: „Die haben das raus.“ Wenn die Gänse aber reinfallen auf das „Lockbild“, dann fallen sie wirklich. Auf ein Kommando schnellen die Jäger hoch, die Flinten senkrecht zum Himmel, aus dem sie die Vögel holen.

Auch interessant

An diesem Samstag um sechs aber ist noch gar nichts oben, „die Gänse schlafen aus“, unkt Mooij. Schon singen die Vögel im Gebüsch, die Sonne steigt golden über den Fluss. „Es streicht keine“, bemerkt Verhuven etwas betrübt und blickt einem ersten „Flug“ nach, der unentschlossen doch lieber die andere Rheinseite nimmt.

„Morgens haben die Kohldampf“, weiß Johan Mooij, im Feld liegen noch Körner satt, also werden sie kommen. Bloß werden sie es nicht überleben. Gegen halb sieben fallen die ersten ein, aus höchstens 20, 30 Metern drücken die Schützen ab. „Wir wollen die Tiere nicht verletzen.“ Doch gibt es Gänse, die noch flattern, als die Jäger sie eilig einsammeln und verstecken unter Stroh: Ihnen wird der Hals umgedreht. Für Jäger ist das alles „fair, das ist hier ja keine Schädlingsbekämpfung“, so geht Jagd.

„Heute rupft keiner mehr“

Dabei musste man die Jäger erst zum Jagen tragen: „Es gab hier keine Tradition, Gänse zu jagen“, sagt der Vorsitzende der Weseler Kreisjägerschaft, Alfred Nimphius. Sie machen also jetzt Seminare, verleihen die Gänseattrappen – und haben Netzwerke gewoben unter Menschen, die die Tiere verwerten. „Heute rupft ja keiner mehr“, sagt Nimphius, das machen die jungen Jäger nun selbst. „Man sagt zwar ,jagen’, aber die Arbeit fängt danach erst an“: Brüste raus, verarbeiten zu Hackfleisch, Braten und Grillwurst, bei deren Nachfrage es gar Engpässe gab im vergangenen Jahr. „Wenn“, sagt Verhuven, „dann wollen wir auch Stückzahlen.“

„Strecke machen“ nennt das der Jäger und legt die toten Gänse in Zehnerreihen ins Stoppelfeld. Altvögel links, Jungvögel rechts, „ein paar ganz alte Schinken dabei“, sagt Biologe Mooij, der das am Schnabel erkennt. 63 sind gefallen, 19 unter ihnen, die erst in diesem Jahr aus dem Ei geschlüpft sind. Ein paar ihrer Federn werden auf dem Acker zurückbleiben, schon heute werden sie wohl untergepflügt. Zwei besonders hübsche Gänse aber werden, nun, weiterleben: Für ihr Federkleid interessiert sich ein Münsteraner Museum.