Essen. Immer mehr Menschen auch im Revier empfinden die globale Klimakrise als Bedrohung ihrer Gesundheit. Essener Forscher wollen helfen.
Die Erde wird immer wärmer – und immer mehr Seelen frieren, leiden deswegen. Der Klimawandel beschäftigt inzwischen auch Psychosomatiker, Mediziner, die sich mit den Wechselwirkungen von Seele und Körper befassen. Das Thema „Klima und Psyche“ ist sogar Leitmotiv eines großen Kongresses im März in Berlin. Forscher der Essener LVR-Universitätsklinik richten ihn aus, sie haben zudem gerade eine Umfrage zum Thema gestartet. Um herauszufinden, wie sehr der Klimawandel Menschen tatsächlich belastet und vor allem: wie man Betroffenen helfen kann.
58 Prozent empfinden den Klimawandel als Bedrohung
Alexander Bäuerle, leitender Psychologe der LVR-Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, erinnert sich an einen Patienten, Anfang 20, engagierter Klimaschützer. Nach einer friedlichen Demo im Hambacher Forst landete er in der Ambulanz, völlig fertig. Auf dem Weg zurück ins Ruhrgebiet habe er plötzlich nichts, habe er nicht einmal sich selbst mehr gespürt, nur noch eine völlige Leere, erzählte er den Therapeuten. Er ist kein Einzelfall. 58 Prozent aller Menschen empfinden den Klimawandel als Bedrohung, 73 Prozent glauben, er schade ihrer Gesundheit– das zeigte eine Bevölkerungsumfrage des Bundesumweltamtes.
„Diese Zahlen haben mich beeindruckt“, sagt Jil Beckord, Psychologin und wissenschaftliche Mitarbeiterin der Klinik. Sie hat die aktuelle Studie initiiert. Dass „man made desaster“, menschengemachte Katastrophen, Auswirkungen auf die Psyche auch von indirekt Betroffenen haben können, hätten Studien im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg bewiesen, erläutert sie. „Es liegt nahe, dass das beim Klimawandel ähnlich ist. Die Folgen der Erderwärmung werden ja immer deutlicher. Gerade für junge Erwachsene ist das ein total wichtiges Thema“, erklärt die 26-Jährige.
Jüngere werden wütend, Ältere sorgen sich, einige kümmert die Klimakrise gar nicht
Seit Oktober steht die LVR-Umfrage online, 600 Menschen haben die Fragen der Forscher bereits beantwortet: „Erstaunlich viele“, findet Beckord. Auch das belege, wie sehr das Thema bewege. Bäuerle (30) ist wichtig zu erwähnen, dass die Studie nicht „im Auftrag irgendwelcher Interessenvertreter“ erstellt werde. Junge Erwachsene fürchteten angesichts der Klimakrise vielleicht um ihre Zukunft. „Sie sorgen sich, wie die Welt in 50 Jahren aussehen wird. Oder sie werden wütend, weil sie ausbaden müssen, was andere angerichtet haben.“ Ältere Menschen haderten vielleicht mit den politischen Entscheidungen, die die Katastrophe verhindern sollen. „Sie fürchten womöglich, Einbau und Finanzierung einer neuen Heizungsanlage nicht stemmen zu können.“ Ganz bewusst, so Bäuerle, werbe man zudem auf Telegram- und anderen Social-Media-Kanälen für eine Teilnahme an der Umfrage. „Jede Stimme ist wichtig – auch die von Menschen, die dem Problem nicht so zugewandt sind.“ Bis Oktober 2024 werden weitere Teilnehmer für die Studie rekrutiert, mindestens 3000 sollen es sein.
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Nach der Auswertung sollen neue Erkenntnisse stehen – und Handlungsempfehlungen: für Betroffene, Psychologen und politische Entscheidungsträger. Beckord, Bäuerle und ihr Team wollen zudem „Schutzfaktoren“ identifizieren und Methoden, die Betroffenen helfen können, ihre Angst vor dem Klimawandel zu bewältigen. Sich dem Thema komplett zu verschließen könnte genauso eine Lösung sein, wie sich gezielt zu engagieren, um Aufmerksamkeit aufs Thema zu lenken, so Bäuerle. Manchem helfe vielleicht,den eigenen Alltag nachhaltiger zu gestalten, so der gefühlten Ohnmacht entgegenzuwirken. Andere stärkten womöglich durch das Reden über die Krise die eigene Resilienz (Widerstandskraft).
Spannend, sagt Bäuerle, werde es, die Ergebnisse der Klima-Studie mit denen zu vergleichen, die die LVR-Klinik zum Thema „Corona und Psyche“ erhoben hat. „Da zeigte sich, dass Menschen, die Vertrauen in die Maßnahmen der Regierung zur Bekämpfung der Pandemie hatten, sich weniger belastet fühlten als andere.“ „Aber bei vielen“, erklärt Beckord, „schwindet ja gerade dieses Vertrauen in die Kompetenz der politisch Verantwortlichen. Viele glauben nicht mehr, dass es die Regierung schon richten wird.“ Den Vorwurf, die junge Generation, sei einfach nicht „so hart im Nehmen“ wie ihre Groß- oder Urgroßeltern, die zu Weltkriegszeiten aufwuchsen, weist die 26-Jährige entschieden von sich: Die letzten zwei Jahrzehnte seien zum Glück „ruhige Zeiten“ gewesen. Aber genau deswegen sei die aktuelle Situation für viele junge Erwachsene eben auch eine gänzlich neue -- „eine, die man erstmal adaptieren muss“.
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