Ein ganz persönlicher Blick auf den Brexit in vier Filmszenen. Am Ende aber bleibt doch nur die Hoffnung auf die nachfolgenden Generationen.

Der Brexit geht mir an die Nieren und zu Herzen. Warum? Es muss was Persönliches sein. Ich setze mich in unseren Wintergarten auf die „Bank von England“, wie ich sie schnell taufe und schicke einen kurzen knappen Befehl an den Memory-Stick im Großhirn: „Alles über mich und die Briten. Film ab.“

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Erste Szene: Eine einsame Landstraße in Ägypten. Ein bunter Bus, der mit zwei Rädern schon auf dem Schrottplatz steht, rumpelt über die Asphaltinseln im Sand. Ich sitze mit meiner Frau in der vorletzten Reihe, wir kommen aus der Sahara el-beida, aus der Weißen Wüste und wollen zurück nach Kairo. Es ist heiß wie Hulle, meine Frau lehnt ihren Kopf an ihren Rucksack und nickt ein. Der Bus hält.

Eine Touristin steigt zu, sieht uns, lächelt, setzt sich auf die Nebenbank. Wir kommen ins Gespräch und für 100 Kilometer auch nicht mehr heraus. Dann sieht sie ein Schild und sagt: „Schau. Da geht’s nach El-Alamein. Mein Vater hat dort gekämpft. 1942. Unter Montgomery.“ Mir stockt nur kurz der Atem: „Mein Vater hat auch dort gekämpft. Unter Rommel.“ Wir schauen uns an, der Deutsche, die Britin, die Kinder der Krieger. Wir geben uns die Hand auf den Frieden. For ever. Für immer. Und Europa war der Kitt. Jetzt nicht mehr?

Dave Dee, Dozy, Beaky, Mick & Tich

Nächste Szene. Ein Schwarz-Weiß-Film. Ich bin elf Jahre alt und drehe am Knopf meines nagelneuen Kassettenrekorders. Ich will aufnehmen. Aber der WDR spielt nur Schlager, bei Radio Luxemburg labern sie absichtlich dazwischen. Ich brauche Manfred Mann? Oder Dave Dee, Dozy, Beaky, Mick & Tich? Lady Madonna von den Beatles fehlt mir noch.

Zur Not wäre ich gar mit den Ofarims zufrieden. Endlich hab ich BFBS drin. Der Soldatensender. Ich drücke gleichzeitig auf „rec“ und „>“, die Bee Gees singen von Massachusetts und ich bin der vierte Gibb und singe selig mit.

England bedeutete vor allem, aber nicht nur Musik. Die Carnaby-Street mit minimaler Kleidung und maximalem Spaß war gewiss niemals so toll wie in meiner Vorstellung. Aber das alles diente uns als Gegenentwurf zum Hutbürger hier, der den Stock gegen Studenten und alles Neue und Schöne schwang. London stand für Coolness, obwohl wir das Wort noch gar nicht kannten. Ich bin als Brite im Geiste groß geworden.

Hamsterkäufer nehmen Abschied vom Kontinent

Die nächste Szene, schon in HD-Qualität: März 2019. Ich schiebe einen Einkaufswagen durch einen gigantischen Supermarkt am Rande von Calais, Nordfrankreich. Fischkonserven. Eine Familie spricht mich an, wo denn wohl die Makrelen in Olivenöl zu finden seien, keine Ahnung, ich oute mich als Deutscher, sie sich als Briten, und dann erzählen sie von Hamsterkäufen und wie traurig das doch alles sei. Fast hätten wir uns zum Abschied umarmt. „Goodbye“ sagen sie. „Bis nächstes Jahr“ mache ich Mut. Europäische Depressionen.

Letzte Szene: Ich sehe meinen Enkel. Er ist zwei und ein bisschen Ostpreuße und Westfale, Pole und Engländer. Europa ist ja in Wirklichkeit schon überall. Ich nehm ihn zur Seite. „Jungchen. Der Oppa wird dir nicht groß reinreden ins Leben. Keine Bange. Aber das mit Europa müsst ihr reparieren, kämpft für den Breturn, für die Rückkehr Englands.“ Ach ja, ich vergaß: In meinen Filmen muss es einfach immer ein Happy End geben.