Essen. Simone Schäfer (53) verkauft seit 19 Jahren ihre Mode. Aber seit zwei Jahren fehlen ihr die Kunden. Sie glaubt, die Terrorangst hält sie fern.

Einmal erst habe ich einen Weihnachtsmarkt von innen gesehen. So als Verkäufer. Ist 40 Jahre her. Da habe ich irgendwo am Niederrhein mit meinem Kumpel Georg an einem Wochenende Wolle verscherbelt. Wolle mit Nadeln und allem Pipapo. Ich denke nicht ohne Scham daran zurück, weil ich schon nach 20 Minuten den Kundinnen nassforsch und ohne einen Hauch von Ahnung Tipps gegeben habe.

Etwa so: „Bei dem Material sollten Sie unbedingt noch 8-er Nadeln dazunehmen.“ Die Frauen nickten, kauften und bedankten sich. Ich kleiner Sausack.

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Anderer Ort, 40 Jahre später, ich sitze wieder in der Bude, nun aber nur zum Glotzen, ein Heizofen bollert von unten, oben wird der Weihnachtmarkt an mir vorbeigeschoben. Simone steht daneben und ist in ihrem Element. Sie verkauft im Gegensatz zu mir einst mit Charme und Wissen, schließlich hat sie alles in der Auslage selbst hergestellt, die Yoga-Hosen und jecken Röcke, die Handschuhe, die Pulswärmer mit Daumen, Gürtel und Kleider, sogar Muffs, auch für Kinder. „Sisie“ heißt das Label, Details gibt’s im Internet, Sonderwünsche werden vor Ort erfüllt. Vergrößern, verkleinern, auch Verrücktes: „Ich habe sogar schon Fäustlinge für einen Mann genäht.“

4000 bis 5000 Euro Gebühr

Klingt prima, heile Weihnachtswelt, Simone Schäfer ist aber alles andere als glücklich. „17 Jahre habe ich hier wirklich gut verdient, seit zwei Jahren ist das vorbei. Ich weiß es nicht genau, glaube aber, dass es mit dem Anschlag in Berlin begann, im Vorjahr die Bombendrohung hier, das hat wohl viele Leute abgeschreckt, gerade die Besucher aus den Niederlanden und Belgien sind deutlich weniger geworden. Und der Anschlag jetzt in Straßburg wird die Situation nicht verbessern.“

Dabei ist sie durchaus mit der Zeit gegangen. Man kann bei ihr mit Karte bezahlen, sie hat eine beheizte Umkleide-Kabine. Aber die festen Kosten sind hoch. „Ich habe zwei Stände. Diesen und nebenan den für Kindersachen. Jeder kostet 4000 bis 5000 Euro Gebühr. Muss man im August erst mal hinblättern. Dazu kommt Strom. Und das Personal für den zweiten Stand, ich will wenigstens 10 Euro die Stunde zahlen. Dazu die Materialkosten, da bleibt nicht viel, und meinen Stundenlohn möchte ich schon gar nicht wissen.“

Das hat Konsequenzen. „Im kommenden Advent werde ich nur noch einen Stand anmieten, die Ware dort zusammen anbieten. „Schade, weil ich den Markt in Essen mag.“

Ehrlichkeit ist auch keine Lösung

Mit den 19 Jahren sind viele Erinnerungen verwoben. Blöde Sachen auch, klar. Suffköppe, die in die Auslage fielen, Langfinger und dreiste Diebe, die mit dem Arm die Ware in eine Tasche wischten und türmten. Aber da ist auch der Bettler, dem sie stets am Abend sein Münzgeld in Scheine wechselte, was sonst niemand tat, der ihr dann eines Tages die Goldringe seiner verstorbenen Eltern brachte, als Dank, bevor er für immer verschwand. „Mein Mann und ich haben die Ringe umarbeiten lassen, als wir im Vorjahr geheiratet haben.“ Sie muss wieder ran. Tschuldigung, Kundschaft.

Zwei jüngere Frauen am anderen Ende des Stands halten mich für den Verkäufer. „Wie heißt das Ding da nochmal?“ Weiß ich. Das ist ein Muff. Sowas hat meine Oma früher gehabt. Sie lächeln spitz. Und gehen. Ehrlichkeit ist auch keine Lösung.