Bedburg-Hau. . In der Forensik der LVR-Klinik Bedburg-Hau am Niederrhein werden Mörder,Brandstifter und Betrüger therapiert. Es ist die größte ihrer Art in NRW.
Die Patienten selbst sind nicht anwesend, aber einen Blick in ihr Zimmer haben sie erlaubt. Eine Fleecedecke liegt ordentlich auf einem Bett, Schlappen und Turnschuhe stehen in der Reihe, Postkarten hängen an der Wand. Auf dem Regal das Foto eines Dackels, ein Kreuz mit der Inschrift „Jesus“, Schokoladen-Marienkäfer. In der Mitte zwei Schreibtische, gegenüber ein zweites Bett.
Es gibt auch Einzelzimmer, aber wer sich gut versteht, wohnt gemeinsam, erklärt der junge Stationsleiter. Voreinander weglaufen können sie nicht, um halb zehn schließen sich die schweren Türen, von denen jede vier Schlösser hat, für 24 Männer auf dieser Station, bis ein neuer Tag beginnt in der Forensik der LVR-Klinik Bedburg-Hau, der größten Einrichtung des Maßregelvollzugs in NRW.
„Wegsperren, und zwar für immer“, hat Gerhard Schröder zu seiner Bundeskanzler-Zeit einmal für Sexualstraftäter gefordert, und damit viel Applaus bekommen. Als ob das alles so einfach wäre. 9,3 Jahre verbringen zurzeit, statistisch gesehen, Straftäter, die nach den Paragrafen 63 und 64 Strafgesetzbuch verurteilt worden sind, in den dafür vorgesehenen Kliniken des Landschaftsverbandes Rheinland (LVR) in Düren, Köln, Viersen, Essen – oder eben in Bedburg-Hau.
Nur ein Bruchteil sind Sexualdelikte
Manche bleiben kürzer, manche aber auch viel länger. Bei allen haben Gerichte festgestellt, dass sie bei ihren Taten vermindert schuldfähig waren aufgrund einer psychischen Erkrankung, einer hirnorganischen Störung, einer Intelligenzminderung, einer Sucht, oder mehrerer Dinge gleichzeitig.
Und sie sind nicht alle Vergewaltiger, Serienkiller oder Kinderschänder. „Es mag erstaunen, aber Sexualdelikte machen 3,6 Prozent der Einweisungsdelikte aus“, sagt Dr. Jack Kreutz, Fachbereichsarzt und Chefarzt der hochgesicherten, vor zehn Jahren neu gebauten Forensik I der LVR-Klinik mit 110 Patienten.
Viele von ihnen haben Gewalttaten verübt, die meisten im Bereich der Körperverletzung (22 %), des Raubes (17,5%) oder der Brandstiftung (8%). Zwölf Prozent sind Mörder oder Totschläger. Doch in der Forensik sitzen auch Betrüger und Diebe (14%), straffällig gewordene Drogenabhängige (15,5%). Frauen sind dabei, ihr Anteil allerdings ist sehr gering.
Entweichen heißt nicht ausbrechen
Alle Bereiche zusammengenommen zähle man, so Kreutz, im Moment 514 Patienten, darunter 112, die zu Ende der Therapie „langfristig beurlaubt“ sind, sprich in Wohngruppen oder bei Verwandten leben und üben, ein normales Leben zu führen. Zwei von ihnen, sagt er, seien gerade „entwichen“, hätten sich nicht wie verabredet zurückgemeldet. „Einer verpasst den Bus, ein anderer verschläft oder vergisst einfach einen Termin“, sagt Kreutz. Mit einem gewaltsamen Ausbruch habe dies aber nichts zu tun.
Den gab es 2017, als ein Patient einen Pfleger als Geisel nahm und schwer verletzte. Der Ausbruch war einer von vier gewaltsamen Ausbrüchen innerhalb von fünf Jahren für alle LVR-Kliniken mit 1500 Patienten. Gleichwohl wurde das Sicherheitskonzept danach erneut bearbeitet.
Auch in Bedburg-Hau trägt jeder Mitarbeiter ein Alarmgerät mit sich, das bei ungewöhnlichen Bewegungen scharf schaltet. Die „Alarmgruppe“ ist in fünf Minuten zur Stelle. Jede Tür im gesamten Gebäude lässt sich zentral verriegeln, es gibt Überwachungsmonitore und Fluchtwege.
Für Jack Kreutz ist die Behandlung psychisch kranker Straftäter der wirksamste Opferschutz, davon ist er überzeugt. Die Rückfallquote sei gegenüber dem Strafvollzug sehr gering. Auf Straftäter wartet in der Forensik eine umfassende medizinische und psychologische Untersuchung, um die richtigen medikamentösen und therapeutischen Ansätze zu finden.
Dazu zählt Musiktherapie – gerade sei eine neue Band dabei, sich zu formieren, erzählt der Musiktherapeut. Dazu zähle Arbeitstherapie in der Schreinerei oder Metallverarbeitung, wo die Patienten durchaus mit Kreissägen und Bohrern hantieren, warum auch nicht.
"Lassen Sie mich bitte drin"
Auch die Beete voller Astern, Tagetes, Dahlien im Schatten des fünf Meter hohe Sicherheitszauns werden von Patienten gepflegt. Einer von ihnen gehört zu den Langzeitpatienten, die mehr als 20 Jahre in Bedburg-Hau sind und durch alle Überprüfungen der Verhältnismäßigkeit gefallen sind.
Der mehrfacher Sexualmörder hat zu Jack Kreutz gesagt: „Lassen Sie mich bitte drin. Für das erste halbe Jahr kann ich noch garantieren, danach nicht mehr!“ Für solche Patienten, so Kreutz schaffe die Klinik ein möglichst normales Lebensumfeld, „mit Sicherheit nach innen und nach außen“.
Fachkräfte gesucht, vor allem Ärzte
Auf zehn Patienten in der Forensik kommen laut LVR ca. neun Mitarbeiter, Ärzte, Pfleger, Therapeuten, Sicherheitskräfte eingerechnet. Der Krankenstand ist hier um zwei Prozent höher als in anderen Klinikbereichen.
Sorgen bereitet der Klinikleitung der Fachkräftemangel, zurzeit vor allem bei den Ärzten.