Essen. Die Besucher auf dem Friedhof Père Lachaise in Paris stoßen auf ihr Grab, wenn sie nach dem Gedenkstein für Rocklegende Jim Morrison suchen.
Heute sitze ich nicht auf einer Bank, heute hocke ich vor einem Grabstein. Das kam so: Ich war in Paris übers Wochenende. Meine Frau und ich sind seit 35 Jahren verheiratet, uns war romantisch zumute, also. Wunderschön, wahnsinnsteuer, anderes Thema. Eins unserer Ziele aber war Père Lachaise, der wohl berühmteste Friedhof der Welt.
Dort war ich zuvor noch nie, obgleich hier seit bald 50 Jahren James Douglas Morrison begraben liegt, für so langjährige Langhaarige wie mich eine nicht unwichtige Person. Als er 1971 an einer Überdosis starb war ich zwar erst 14, aber der Song L. A. Woman mit seinem Mr. Mojo hatte es uns allen mächtig angetan. Er war geradezu perfekt, um auf dem Kopf die Locken und darunter die Gedanken so zu schütteln, dass es eine reine Freude war, Frisur und Weltbild wurden gleichermaßen strubbelig getanzt. Danke Doors. Hallo Jim, wo liegst du denn?
Dann kam alles anders. Zehn Meter vor dem Grab bleibt meine Frau abrupt stehen. Schau mal. Ein Grabstein mit Fotos darauf. Ein junges Mädchen, das traurig in die Kamera blickt. Eine Eule, Spatzen aus Ton. ein Schildchen „Je t’aime“ und der Name: Suzon Garrigues, geboren am 19. September 1994, gestorben am 13. November 2015. Ein Messingschild erklärt, warum ihr Leben nur 21 Jahre währte.
Suzon Garrigues wurde ermordet
Suzon ist nicht gestorben, sie wurde ermordet. Im Konzertsaal Bataclan. Eins von über 130 Opfern dieser Nacht in Paris, erschossen oder mit Granaten getötet von Terroristen, von Islamisten. Man hat auch nach zweieinhalb Jahren noch so viele schwarze Bilder mit schrillem Ton im Kopf, das Stadion, der Knall, der Video-Film auf der Straße gleich neben dem Club. Die Schreie.
Ich habe dann im Internet nachgelesen. Über Suzon. Ihr Vater ist Arzt in Paris, die Mutter Yogalehrerin. Sie hatte ihrem Bruder eine Karte für das Konzert geschenkt. Zum 17. War dann mitgegangen. Paul hat überlebt. Suzon studierte Literatur an der Sorbonne, Émile Zola hat sie geliebt, den Autoren, und Keith Richard, den Gitarristen. Journalistin war ihr Wunschberuf. Im nächsten Urlaub wollte sie nach Kuba, hat sie ihrer Freundin noch erzählt. Ein Haus mieten mit Freuden, darin tanzen und Flaschen voll Rum.
Wir stehen länger still am Grab. Ich merke, dass ich den Hut gegen die pralle Sonne noch auf dem Kopf habe, will ihn abnehmen, aber mein Arm ist so schwer. Als ob die Gravitation sich verdoppelt hätte. Jede Leichtigkeit ist von mir abgefallen. Ich werde im Alter nicht wirklich cooler. Einen zu frühen Tod nehm ich dem Schicksal krumm. Bei Jim bin ich nur noch kurz vorbei. Strange days, mein Lieber. Sie haben sein Grab völlig abgezäunt, ein Baum davor ist mit Tausenden Kaugummis beklebt. Die Musik ist over...
Am Abend sind wir zum Seine-Ufer. Frühsommerlich. Die Jugend der Stadt ist da. Fast komplett. Sie trinkt. Sie kifft. Ich mach mir ganz deutsch eine Büchse Bier auf. Mit einer Gruppe höchstens Halbaltriger stoßen wir an. A la votre... Klar, sie alle kennen Leute, die Freunde und Kollegen im Bataclan verloren haben. Klar, die Angst kommt schon manchmal wieder. Mais... Aber... Wir trinken und blicken auf die Seine. Ganz für mich habe ich aber auch ein Momentchen an Suzon gedacht.