Nach zwei Jahren spricht Karin Pyrowicz über die Zeit nach ihrem Schlaganfall. Sie hat Hilfe erfahren, aber auch Gleichgültigkeit und Spott.

Wir wollen gleich zur Sache kommen und über diesen Tag reden, den 29. März vor zwei Jahren, der Dienstag nach Ostern, der das Leben von Karin Pyrowicz auf den Kopf stellte. „Das kann man wohl sagen. Wir wollten spazierengehen, als mir aus heiterem Himmel schlecht wurde. Diese Übelkeit nahm immer mehr zu, bis mein Mann mich ins Krankenhaus bringen ließ. Da waren sie gar nicht alarmiert, haben nur gesagt, bleiben Sie zur Sicherheit mal da.“

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Dann reißt der Film. „Jemand beugt sich über mich. Aber wer? Ich höre nur zwei Dinge. ‘Frau Pyrowicz?’ und ‘Schlaganfall’. Wer ist gemeint? Auf mich hab ich das gar nicht bezogen.“ Mit dem Morgen kommt die Zeit der Leere. „Bin ich wach? Ich kann nicht mehr sprechen. Nicht lesen. Buchstaben ergeben keinen Sinn. Nichts ergibt mehr Sinn. Mein Gehirn produziert nur wirres Zeug. Ich kann nicht mehr laufen. Und immer kräftiger greift Angst nach mir. Die Angst, dass ich jetzt sterben werde.“

Aphasie ist das Fachwort für die Sprachstörung, die der Schlaganfall in Karins linker Gehirnhälfte verursacht hat. Es ist ein kaum ausgeschilderter und kräftezehrender Weg zurück. Und er beginnt im Tal. „Motorisch war ich schnell wieder da. Aber sonst. Ich stand im Bad mit der Zahnbürste in der Hand. Ich wusste: Das ist eine Zahnbürste. Aber was macht man damit? “

Tipp an Leidensgenossen: Sich informieren

Fünf Wochen Reha. Arbeit mit der Logopädin. „Tolle Frau“. Selbsthilfegruppen. Gespräche. Und ihr Tipp an Leidensgenossen: „Informiert euch. Es wird viel Hilfe angeboten. Und die ist wichtig.“ Weil die Welt da draußen zunächst ein Fragezeichen ist. „Geld sagte mir nichts mehr. Wenn ich mir ein Eis geholt habe, hab ich eine Münze abgegeben und auf die Ehrlichkeit der Menschen gesetzt. Furchtbar, weil ich früher so gut im Rechnen war. Weg. “

Und es sind gemeine Idioten da draußen unterwegs. „Im Schuhgeschäft. Ich wollte mir ein Pflegespray kaufen und hab mir den Satz draußen zurecht gelegt. Drinnen habe ich dann statt Pflege- Fliegenspray gesagt. Die Verkäuferinnen, zwei Gören, haben sich schlapp gelacht. Hast du gehört, was die gesagt hat: Fliegenspray will se. Hahaha. Ich war so hilflos. Habe dann nur gesagt: „Ihr seid so dumm“, und bin raus. Deshalb mein Appell an alle: Wenn ihr merkt, da hat jemand Sprachprobleme. Helft ihm einfach.“

Schwierigkeiten, die neue Situation zu akzeptieren

Nach Monaten des Aufstiegs kommt der erneute Absturz. Talsohle. „Du merkst eines Tages, dass du nie wieder die Alte sein wirst. Das schmerzt so bitter und es hat unglaublich viel Kraft gekostet, da noch mal auf die Beine zu kommen.“

Auf dem Foto ist die Zeche Zollverein in Essen zu sehen. Kein Zufall. Karin wohnt in der Nähe. Hier hat sie als CDU-Politikerin Senioren-Nachmittage veranstaltet. „Ich war sehr umtriebig. Nach dem Schlaganfall habe ich mich zurückgezogen. Bis heute. Alles dauert. Manches wird nicht mehr. Ich darf nie mehr fliegen. Zu gefährlich. Schade, ich wäre so gern noch mal nach Teneriffa. Na gut. Aber es gibt auch Licht. Ich habe Jahre Seniorentheater gespielt. Da will ich jetzt wieder einsteigen. Ich habe meine neue Situation jetzt akzeptiert. Endlich. Ich bin wieder da.“