Max Behrens kann die Bilder aus Syrien kaum ertragen. Warum lernen die Menschen nicht dazu? Und mit den Rechten hat er noch eine Rechnung offen.

Im Mai wird er 87, aber das Alter kann den Zorn des Mannes nicht bändigen. Max Behrens ist empört. Seine Wut speist sich aus zwei Quellen: „Wenn ich in der Tagesschau die Bilder aus Syrien oder anderswo in der Region sehe, wie hilflos Frauen und Kinder den Massakern ausgeliefert sind, dann könnte ich verzweifeln.“ Und die eigene Kindheit fällt ihm vor die Füße. „Hamburg und die Bombennächte. Die Angst im Luftschutzbunker. Die Zerstörungen oben. Das Grauen für uns Kinder, wenn wir die Toten gesehen haben. Menschen, die durch die Brandbomben so geschrumpft waren, dass ihre Leichen in einen Schuhkarton passten. Warum lernen die jüngeren Generationen nicht von den älteren? Warum geschieht das alles wieder?“

Wir spazieren zum Ehrenmal in Moers-Kapellen. Für die Opfer der Kriege, der Gewalt. Das passt natürlich, ist aber jetzt reiner Zufall. Ich fand nur die Weiden-Allee als Fotohintergrund ganz schön.

Erinnerungen die bleiben

Max kommt zu Punkt zwei: „Dass die Rechten jetzt wieder in den Parlamenten sitzen, das ärgert mich ungemein. Und das hat wieder mit meiner Kindheit zu tun. Ich war drei, als die Nazis meine Mutter holten. Die hatte Flugblätter verteilt und wurde deshalb ins Irrenhaus gesteckt. Einige wenige Male hab ich sie besuchen dürfen. Ein Saal mit 300 Betten, die Ärzte liefen darin herum, hatten die Taschen voller Spritzen.

Und dazwischen meine Mutter. Hilde hieß sie. Ich hab das Bild von ihr, wie sie da saß, noch sehr genau vor dem inneren Auge. Werde ich bis ans Ende meiner Tage haben. Wohl auch, weil es kein Foto mehr von ihr gibt. Kurz vor Kriegsende haben die Nazis sie mit einer Giftspritze umgebracht.“

40 Jahre Arbeit im Bergbau

Und der Vater? „Der hat auf der Werft gearbeitet. Ich war meist bei Pflegefamilien oder im Waisenhaus. Nach dem Krieg habe ich kurz beim Vater gelebt. Wir haben gehungert, uns ums letzte Brot gezankt. Da bin ich weg. Ich weiß nicht, was aus ihm geworden ist. Ich kam ins Heim, bin ausgebrochen, habe mich einer Jungendbande angeschlossen. Keine gewalttätige Bande, keine Waffen, wir haben mehr geklaut. Und gebettelt habe ich. Ein Jahr lang hielt ich auf der Straße die Hand auf.“

Er wird geschnappt, ist aber so abgemagert, dass sie ihn nicht in die Kiste, sondern zur Kirche bringen, Ein Pater kümmert sich um den „Lausejungen“, wie man so sagte. Schließlich gibt’s nur die Wahl: Bauer oder Kohle. Mit 15 fährt er im Zug ins Ruhrgebiet. „Und dann hab ich 40 Jahre im Bergbau gearbeitet. Einmal war ich sechs Stunden verschüttet, aber, ne, das ist eine andere Geschichte, oder?“ Jau.

Den Kummer von der Seele reden

Er schiebt die Mütze etwas in den Nacken. „Mir ist es ja später auch gut gegangen. Seit 20 Jahren bin ich mit meiner Lebensgefährtin hier in Kapellen glücklich. Ich bin auch halbwegs gesund. Der Arzt ist zufrieden. Aber so eine Kindheit und Jugend“, er zieht die Mütze wieder nach vorn, „die wünsch ich dem übelsten Nazi nicht“.

Max nickt und fasst zusammen: „Ich will nicht, dass diese Leute in Deutschland wieder was zu sagen haben. Die hetzen etwa gegen Flüchtlinge und haben doch überhaupt keine Ahnung, wie ein Leben in Not wirklich ist. Tja, das lag mir auf der Seele. Auch wenn ich nicht weiß, ob das hier überhaupt was bringt. Was glauben Sie?“ Besser als Schweigen ist es allemal, oder?