An Rhein und Ruhr. . Autogenes Training, kurz AT genannt, ist sozusagen der Klassiker der Entspannungsmethoden als anerkanntes Therapiemittel
Irgendwann stellt man fest, es war wohl alles etwas viel in der letzten Zeit. Nur mit Sport und Spazierengehen kriegt man sie nicht mehr klein, die Dämonen Stress und Reizbarkeit, kommt nicht mehr herunter vom Gedankenkarussell, das sich um Job und Privates dreht und auf dem man sich vorzugsweise nachts um drei wiederfindet.
Nun liege ich hier auf einer dieser ewigen dünnen Gymnastikmatten, eine Etage tiefer übt die Gruppe Folkloretanz, aber das leise Vibrieren und die angedeutete Musik können mich nicht erreichen, bleiben außen vor im Zustand der Entspannung: „Mein Atem ist ruhig und gleichmäßig, jeder Atemzug vertieft die Ruhe“, spricht Petra Fiedler in den Raum hinein. Es ist die vierte Stunde Autogenes Training bei der Volkshochschule Essen, das Herz steht heute im Zentrum der Übung, es soll frei, ruhig und gleichmäßig arbeiten.
Formelhaftes Vorsagen bestimmter Sätze
Autogenes Training, kurz AT genannt, ist sozusagen der Klassiker der Entspannungsmethoden, hat weltweit Karriere gemacht als anerkanntes Therapiemittel und hat alle anderen Psychotrends wirksam und dauerhaft überlebt. Der 1970 verstorbene Psychiater Johannes Heinrich Schultz entwickelte in den 1920er-Jahren die Methode der „konzentrativen Selbstentspannung“, die erreicht wird durch das formelhafte Vorsagen bestimmter Sätze.
Für uns Neulinge hat das zunächst mal Kursleiterin Petra Fiedler übernommen, später sollen wir selbst in der Lage sein, im Sitzen, im Stehen und im Liegen eine Entspannungssequenz einzuschieben, egal wo wir uns befinden.
Das mutet zunächst mal, vor allem für kopfgesteuerte Menschen, befremdlich an. Sich mental fallen lassen, gemeinsam mit Menschen, die man nicht kennt? Und dann auch noch zu erzählen, was es mit einem gemacht hat? Was ist, wenn man auf der Matte einschläft? Gar zu schnarchen beginnt? Wenn einem schwindelig wird oder die Nase juckt oder man husten muss?
Am besten mal die Sonne umarmen
Natürlich dürfe man sich kratzen, niesen oder husten, stellt Petra Fiedler gleich zu Anfang des achtteiligen Kurses klar. In dem Moment, wo etwas juckt oder man husten muss, könne man ja unmöglich in die Entspannung kommen. Autogenes Training bedeute eben keine totenstarre Bewegungslosigkeit, sondern ist ein Weg, der mindestens zu einem Wohlgefühl und bestenfalls zur Tiefenentspannung führt. Wer in der Lage ist, das Training dauerhaft in sein tägliches Leben einzubauen, kann damit Depressionen, Angst- und Schlafstörungen vorbeugen.
Zunächst mal ist man davon aber noch ziemlich weit entfernt. Das autogene Training baut sich immer nach denselben Regeln auf, im bequemen Sitzen oder Liegen, mit geschlossenen Augen und entspannter Haltung. Petra Fiedler sagt immer dieselben suggestiven Sätze: „Wir sind ruhig und entspannt. Die Hände liegen locker auf den Oberschenkeln, wir lassen die Gedanken vorüberziehen, wie Wolken am Himmel...“.
In der ersten Sitzungen ist es mir noch nicht gelungen, allen Anweisungen zu folgten: „Mein rechter Arm wird schwer. Mein linker Arm wird schwer...“. Sechsmal soll man das Mantra für sich wiederholen, soll fühlen, wie Arme, Beine, Kopf und Körper einsinken, wie die Blutgefäße sich erweitern und Wärme in die Extremitäten strömt.
Gedanken strömen von außen auf einen ein
Doch was mich durchströmt, sind vor allem Gedanken von außen, auch ketzerische: „Mensch, was hättest du jetzt alles Sinnvolles tun können, anstelle hier zu liegen und nichts zu tun??“ Gottseidank geht es mir nicht alleine so. Frau Fiedler erklärt: „Alles was neu ist, macht ja zunächst mal munter.“ Sie empfiehlt, immer zwischendurch zu üben, die Schwere und die Wärme zu fühlen, ruhig zu atmen, stehend an der Wand, nur fünf Minuten, im Bett morgens vor dem Aufstehen, in der Pause im Büro.
Und siehe da, die nächsten „Trainings“-Einheiten gelingen besser. Die Arme, die Beine und sogar die Wangen scheinen die „Schwere“, die mental suggeriert wird, wiederzuerkennen und werden – schwer. Die Wärme ist noch ein wenig zögerlich, ich umarme die Sonne, wie Petra Fiedler es gesagt hat, fühle mein Herz ganz weich schlagen und atme so nebenher.
Der größte Effekt jedoch, der auch mich erstaunt – ich schaffe es, eine ganze Weile nur mit der Kraft meiner Gedanken beschäftigt zu sein, vergesse Probleme, anstehende Aufgaben, dringende Dinge. Und die Zeit, von der man doch sonst nie genug hat, bekommt einen anderen Takt. Über 40 Minuten sind wie ein Wimpernschlag vergangen – und haben gleichzeitig eine Ewigkeit gedauert.
In der nächsten Kurseinheit beschäftigt uns das Sonnengeflecht. Ich freue mich drauf.
>>>>Selbst-Suggestion als Welterfolg
Der Berliner Psychiater Schultz probierte seine Methode zuerst an seinen Patienten, dann an sich selbst aus. Sein Buch „Das Autogene Training“, abgekürzt AT, (1932) wurde ein Welterfolg.
Die Grundstufe des AT besteht aus Übungen zur Ruhe, Schwere, Wärme, des Atems, Herzens oder Sonnengeflechts.
Übungen zur Schwere beispielsweise lassen die Muskulatur erschlaffen, bei den Übungen zur Wärme kann ein Anstieg der Temperatur auf der Hautoberfläche gemessen werden.