Rhein-Kreis Neuss. . Bei den Bauern hat die Ernte begonnen. Zu warm darf es nicht sein. Das Gemüse hat in der Region Tradition und findet über Smoothies neue Fans.
Seinen ersten Grünkohl der Saison hat Rainer Coenen in Kaarst schon vor zwei Wochen vom Feld geholt, es dann aber sofort wieder sein gelassen. „Kein Grünkohlwetter“, sagt der 47-jährige Landwirt. Das Sommer-Nachspiel mit Temperaturen von bis zu 25 Grad hat die GrünkohlNachfrage prompt abgewürgt. Steigen die Temperaturen, sinkt der Appetit. Seine Frau Ulrike bringt es auf den Punkt: „Wenn man so langsam anfängt, die langen Unterhosen wieder aus dem Schrank zu holen, dann ist Grünkohl-Zeit.“
Nun, seit dem schmuddelig-kühlen Freitag gestern wird bei Coe-nens wieder Grünkohl geschnitten, von Hand wohlgemerkt. „Die Saison geht bis Karneval – also bis Februar“, erzählt der Kaarster. In Nordrhein-Westfalen haben jüngsten Zahlen zufolge 210 Landwirte auf insgesamt 361,2 Hektar Grünkohl angebaut. Gerade das Rheinland gilt als „Kappes-Land“ – hier regiert Kohl im Herbst viele Speisekarten. Schon Coenens Großvater hatte Grünkohl auf den Feldern. Beim Enkel steht die Pflanze mit den üppig wuchernden, krausen Blättern auf gut 1,5 Hektar.
Als Getränkebeigabe oder Chips: Grünkohl kommt in Mode
Muss nicht einmal Frost über die Pflanzen gegangen sein, ehe der erste Grünkohl geerntet wird? Nein, sagt Bauer Coenen. Ein Kältereiz, also eine Zeit lang Temperaturen unter zehn Grad, genüge, damit die Pflanzen mehr Zucker als Stärke bilden. Geschmacksprobe vor Ort: Tatsächlich schmeckt das roh verzehrte Blatt süß. Ohnehin sind viele neue Grünkohlsorten nicht mehr so bitter wie ihre Vorgänger. Der Geschmack jedenfalls scheint sich rumzusprechen ebenso wie der hohe Vitamin-C-Gehalt. Grünkohl kommt in Mode, zum Beispiel für frische Obst-Gemüse-Mischgetränke („Smoothies“).
Dass man ihn mal trinken würde, „hätte man vor einigen Jahren noch nicht gedacht“, meint der Landwirt. Eine Alternativ-Verwendung, nicht mehr
ganz so gesund: Gemüsechips aus dem eigenen Backofen, hergestellt aus Grünkohlblättern. Der Löwenanteil des Kohls freilich geht nach wie vor in die klassische Zubereitung – mit Kasseler, Würsten und Speck. Und da ist der Frischverzehr nach Einschätzung der Rheinischen Bauern zuletzt sogar gestiegen, auch wenn sich die Anbaufläche nicht groß verändert hat. Es wird mehr auf Märkten, in Hofläden und im Lebensmitteleinzelhandel verkauft, sagt eine Verbandssprecherin. Dafür gebe es weniger Tiefkühlware.
Wichtig: Kohlschneiden mag daheim kaum einer mehr. Der Grünkohl wird daher zunehmend direkt ab Hof geschnitten in küchenfertigen Beuteln verkauft. Die Blätter werden dazu von geernteten Pflanzen gelöst und in einer Cutter-Maschine zerkleinert. Qualität zeigt sich daran, dass nicht zu viel Strunk mit in den Beutel wandert.
Insgesamt 8164 Tonnen Grünkohl wurden im vergangenen Jahr in Nordrhein-Westfalen geerntet. „Mal schauen, wie diese Saison wird, im März wissen wir mehr“, sagt Landwirt Coenen. Der Kohl sei bis hierhin gut gewachsen. In einigen NRW-Regionen freilich haben die jungen Pflanzen unter dem Starkregen Anfang Juli gelitten.
Bei Frost bleibt der Grünkohl auf dem Feld: „Wobei er natürlich auch erfrieren kann“, schränkt der Landwirt ein. Selbst üppiger Schneefall ist gemeinhin aber kein Problem, jedenfalls nicht direkt. Das wahre Problem sei dann, so Coenen, dass nur noch die hochgewachsenen Grünkohlspitzen aus dem Schnee gucken – sonst nichts: „Dann kommen die Wildtiere wie Hasen und fressen sie ab, weil sie nichts anderes finden.“
>>>> GRÜNKOHL FÜR PRAKTIKER – TIPPS
Für Grünkohl klassisch (mit Kasseler & Co.): „Wichtig für den Geschmack ist, das Fleisch zuvor in Schmalz im Topf anzubraten“, empfiehlt Ulrike Coenen. Danach nehme man das Fleisch heraus, bereite den Grünkohl im Fett zu („der kann dann richtig durchziehen“) und lege das Fleisch später wieder dazu, gerne auch beim Servieren obenauf. Ganz allgemein gilt: Grünkohl darf man nicht hetzen. Bei Ulrike Coenen steht der Topf auch mal drei Stunden auf dem Ofen.
Grünkohl selbst ist ja lecker, für den hartnäckigen Geruch nach der Zubereitung gilt das nur sehr bedingt: „Der Geruch kommt von einer Schwefelverbindung“, erklärt Rainer Coenen. Er empfiehlt die Beigabe von ein paar Tropfen Essig ins Kochwasser.