Was das bedeutet, erklärt der 13-jährige Michael Kaplan gemeinsam mit seinem Vater. Der nächste Schabbat ist für ihn ein besonderer Tag.

Es muss wohl an der deutschen Geschichte liegen, dass man sich das jüdische Glaubensleben immer irgendwie traurig vorstellt. Wer einen Schabbatgottesdienst besucht, erleben eine engagierte, lebensnahe Predigt, eine große Verehrung vor jeder Form von Geschriebenen (da lacht das Journalistenherz) und fröhliche Lobgesänge für den Herrn – vieles klingt nach Volkslied und fast wie der Refrain von „The Boxer“ von Simon&Garfunkel. Und jetzt am Samstag schlägt die große Stunde von Michael Kaplan. Er wird zur Bar Mizwa gehen – und damit vollwertiges Mitglied der Gemeinde. Zeit für ein Gespräch mit ihm und seinem Vater – einem der beiden Rabbiner der 7500 Mitglieder zählenden Gemeinde, der drittgrößten in Deutschland nach München und Frankfurt. In Berlin verteilen sich die jüdischen Gläubigen auf mehrere Gemeinden.


Michael, du bist jetzt 13. Warst du dir immer sicher, dass du zur Bar Mizwa gehen willst?

Michael Kaplan: Das stand für mich von Anfang an fest. Für mich genauso wie für meinen Vater.

Wie erklärst du deinen Mitschülern, was die Bar Mizwa ist?

Michael Kaplan: Ich sage ihnen, dass Bar Mizwa eine Feier des Übergangs vom Kind zum Erwachsenen, vom Jungen zum Mann ist.

Wie wird der Tag aussehen? Freust du dich darauf? Gibt es viele Geschenke?

Michael Kaplan: Ja, Geschenke gibt es schon. Erstmal müssen wir an dem Tag früh aufstehen, festliche Kleidung anziehen, dann gehen wir in die Synagoge. Um 9.15 Uhr beginnt die Feier und dann muss ich dort meinen Wochenabschnitt aus der Thora vortragen.

Gehen an diesem Tag auch andere Jugendliche zur Bar Mitzva?

Rabbiner Benzion Dov Kaplan: Es werden auch viele andere Menschen da sein, vor allem auch Jugendliche sind zu der Feier eingeladen. Zur Unterstützung und als Vorbild. Es gibt die Gebete wie an jedem Schabbat, dann wird aus der Tora vorgelesen und dann wird er aufgerufen und muss Segensprüche sprechen und aus der Tora lesen. Dann hält der Junge eine Rede und erklärt allen, was eine Bar Mizwa ist und was sie für ihn bedeutet. Von diesem Tag kein Kind mehr sein, sondern ein Erwachsener und er wird Verpflichtungen haben, unter anderem die jüdische Tradition später an eigene Kinder weiterzugeben. Denn eine Generation kann nichts erreichen auf dem Weg zu Gott, wir müssen gewissermaßen den Staffelstab weitergeben an die nächste Generation.

Anprobe: Michael schaut noch etwas skeptisch, sein Vater Rabbi Kaplan legt ihm den Gebetsriemen (Tefillin) an, um den Hals trägt der junge Mann den Gebetsmantel Tallit, aus dem unten die Zizit rausgucken, die Schaufäden. jede der 613 Fransen symbolisiert eines der Ge- und Verbote, die Michael kennen lernen soll.
Anprobe: Michael schaut noch etwas skeptisch, sein Vater Rabbi Kaplan legt ihm den Gebetsriemen (Tefillin) an, um den Hals trägt der junge Mann den Gebetsmantel Tallit, aus dem unten die Zizit rausgucken, die Schaufäden. jede der 613 Fransen symbolisiert eines der Ge- und Verbote, die Michael kennen lernen soll. © privat

Wie ist das für Sie als Vater – und als Rabbiner?

Rabbiner Kaplan: Für mich ist das ein ganz besonderer Tag, denn man sieht, dass der Sohn den richtigen Weg geht. Eine der Aufgabe von Eltern ist es, den Kindern zu zeigen was richtig und was falsch ist. Und ich bin sehr stolz, was für einen Weg mein Sohn für sich ausgesucht hat. Bar bedeutet Sohn und Mizwa heißt übersetzt Gebot. Also: Bar Mizwa übersetzt man als „Sohn des Gebots“ Ab diesem Moment wird er vollwertiges Mitglied der Gemeinde.

Und ab da gibt es kein Zurück mehr?

Rabbiner Kaplan: Vom Judentum kann man nicht weglaufen. Egal, ob man sich an die Gebote und Gesetze hält oder nicht. Im besten Fall folgt man den Gesetzen. Die Bar Mizwa bedeutet, dass der Junge nun selbst für seine Handlungen in der Gemeinde und in der Synagoge und für die Einhaltung der Gebote und Gesetze Verantwortung trägt.

Was wäre in Ihnen vorgegangen, wenn Ihr Sohn gesagt hätte: Ich möchte nicht zur Bar Mizwa gehen?

Rabbiner Kaplan: Die Bar Mizwa kommt so oder so. Das ist der Zeitpunkt, wo wir sagen: Ab jetzt ist der junge Mann selbst für sein Handeln verantwortlich. Aber ich verstehe Ihre Frage: Wenn mein Sohn gesagt hätte, ich möchte diese Feier nicht, das wäre traurig. Das konnte ich mir bei ihm aber nicht vorstellen. In anderen Familien würde ich dann animieren, weiter zu erklären, warum die Religion und die Beziehung mit Gott wichtig ist und zu schauen, dass der junge Mann weiter in die Synagoge kommt.

Wie war Ihre Bar Mizwa?

Rabbiner Kaplan: Das war in etwas kleinerer Form, in der Ukraine.

Wie bereitet man sich auf die Bar Mizwa vor?

Rabbiner Kaplan: Die Kinder bekommen Unterricht, unter anderem im musikalischen Bereich. Denn die Texte und Gebete werden ja zum Teil gesungen in einer bestimmten Melodie, was die Bedeutung besser widergibt. Da gibt es so genannte Ta-amim, das sind Tora-Melodien, die hat er Michael von einem professionellen Kantor beigebracht bekommen. Es gibt ein Computerprogramm, mit dem man das auch lernen kann. Zur Bar Mizwa gehört aber auch ein innerliches Verständnis. Der Oberrabbiner Dajan R.Evers und ich haben mit Michael fast jeden Tag gelernt, manchmal sogar zweimal am Tag: die Bedeutung der Gesetze, das Anlegen der Gebetsriemen und vieles mehr.

rUnd so sieht Michael korrekt gekleidet für die Tora-Lesung aus – und das geht von rechts nach links, er hat also das Gebetbuch recht weit am Anfang aufgeschlagen. .
rUnd so sieht Michael korrekt gekleidet für die Tora-Lesung aus – und das geht von rechts nach links, er hat also das Gebetbuch recht weit am Anfang aufgeschlagen. . © Privat

Was passiert im Unterricht?

Michael Kaplan: Es gibt ein Buch, in dem sind die Regeln –„Schulchan Aruch“: Gebote und Verbote aufgeführt. Zum Beispiel darf man am Schabbat nicht kochen. Es gibt 613 Regeln drin. Zum Beispiel darf man am Schabbat im öffentlichen Raum nichts herumtragen, in eigenen vier Wänden schon. Man kann aber mit einem Faden einen Raum einzäunen, dann hat er vier Wände. Und so gibt es viele Regeln und Auslegungsmöglichkeiten. Alle Regeln kann man sicherlich nicht behalten, aber die wichtigsten Basisregeln werden da schon vermittelt. Die Regeln für den Schabbat, das Kaschrut – die Speiseregeln, das Anlegen von Tallit und Tefilin anlegen, also von Gebetsschal und Gebetsriemen.

Diese 613 Ge- und Verbote – haben Sie die alle im Kopf? Und befolgen Sie alle?

Rabbiner Kaplan: Es gibt sogar noch ein paar mehr. Aber man muss nicht alle kennen, weil es Gesetze für bestimmte Lebensabschnitte oder Situationen gibt. Da wir leider keinen Tempel haben, brauchen wir die Tempelgesetze nicht. Es gibt Gesetze für Männer und Frauen, für Priester, für Verheiratete, also bleibt individuell nicht so viele. Wir fassen diese Gesetze trotzdem zusammen, weil wir glauben: Der einzelne Mensch ist nur ein Glied – und das Volk ist zusammen „der ganze Körper“.

Helfen Ihnen diese ganzen Gebote und Verbote? Sind sie eher Stütze oder eher Grenze?

Rabbiner Kaplan: Wissen Sie, wenn jemand eine Allergie oder eine Krankheit hat, dann bekommt er Tabletten, bei Laktoseintoleranz trinkt man eben keine Milch. Unsere Welt ist nicht nur so, wie wir sie sehen. Wir haben einen Filter, wir richten uns danach und entscheiden, was gut und was schlecht sei. Aber es gibt eine göttliche Wahrheit und diese Wahrheit führt dazu, dass wir die Welt richtig sehen können.

Beispielsweise Kaschrut, die Speisevorschrift, was man essen darf und was nicht: Fleisch und Milch darf man nicht zusammen essen. Das ist eine Diät nicht nur für den Körper, sondern auch für den Geist. Alles, was wir essen, wirkt auch auf uns. Wenn ich Blut trinke oder rohes Fleisch esse, macht mich das womöglich aggressiv. Was wir essen, wirkt auch auf die Seele. Ich sehe das nicht als Grenze, sondern als Hilfe. In der Schule lernen wir Mathematik, aber nicht wie man die Probleme des Lebens löst. Und die Gesetze sind eine Möglichkeit, sich besser kennen zu lernen und sich richtig zu verhalten und mit anderen Menschen gut umzugehen. Denn Gott sagt: Liebe Deinen Nächsten wie dich selbst. Sie haben unten in der Synagoge die 10 Gebote gesehen: das sind Gebote zwischen Gott und dem Menschen und für die Menschen untereinander. Das bedeutet: Beide sind wichtig – und die Gesetze Gottes regeln die Verbindungen zwischen drei Parteien: zwischen den Menschen untereinander und zwischen Mensch und Gott.

Rabbi Benzion Dov Kaplan erklärt NRZ-Redakteur Stephan Hermsenden Aufbau der Düsseldorfer Synagoge. Die Frauen sitzen von den Männern getrennt auf der Empore.
Rabbi Benzion Dov Kaplan erklärt NRZ-Redakteur Stephan Hermsenden Aufbau der Düsseldorfer Synagoge. Die Frauen sitzen von den Männern getrennt auf der Empore. © Volker Hartmann

Sie heißen Kaplan mit Nachnamen. Das Wort kennt man auch in der christlichen Kirche, sie haben erläutert, das sind Menschen, die im Tempel leben und arbeiten. Hat ihre Familie eine Tradition als Rabbiner?

Rabbiner Kaplan: Rabbiner sind Lehrer. Die Kohanim sind die Priester und hohen Priester, die im Tempel gedient haben, von ihnen leitet sich das Wort Kaplan ab. Sie brachten beispielsweise im Tempel die Tieropfer dar. Rabbiner leiten heute nicht nur die Gemeinde, sie unterstützen die Menschen in allen Bereichen. Ein Rabbiner kann aber auch ein Kohen sein und umgekehrt. Ein Kohen bin ich gewissermaßen durch die Familie, die Entscheidung Rabbi zu werden, habe ich selbst getroffen. Das ist keine leichte Entscheidung. Man soll ja helfen und nicht schaden. Dafür muss man viel lernen und viel wissen, um die richtigen Entscheidung treffen zu können.

Für dich, Michael, ist das doch ein Glücksfall, dass du den Rabbi direkt im Hause hast, oder wäre es schöner gewesen, jemand anders wäre dein Lehrer gewesen?

Michael Kaplan: Mein Vater hat ein bisschen wenig Geduld – zumindest mit mir. Aber er ist trotzdem ein guter Lehrer. Ich war ja auch beim Oberrabbiner Evers, beides war gut für mich.

Rabbiner Kaplan: (lacht) Mein Problem ist, bei den eigenen Kindern hat man oft höhere Erwartungen und man hat ja auch immer im Hinterkopf, dass es heißt: Der Schuster hat die schlechtesten Schuhe.

Wann haben Sie entschieden auch Rabbiner zu werden?

Rabbiner Kaplan: Ich hatte das Glück, nach der Wende in der Sowjetunion einen Rabbiner kennenzulernen und er hat mir sehr geholfen. und da hat mich das jüdische System immer mehr angezogen und ich habe verstanden, dass es richtig für mich ist.

Blick in den Schrein mit den Tora-Rollen: Rabbi Kaplan mit seinem Sohn.
Blick in den Schrein mit den Tora-Rollen: Rabbi Kaplan mit seinem Sohn. © Volker Hartmann

Und ganz langsam habe ich immer mehr gelernt, bis ich entschied Rabbiner zu werden. Dann bestand ich die Prüfungen in Israel. Aber ich lerne bis heute jeden Tag, für mich und um für die Gemeinde noch besser arbeiten zu können. Mein Oberrabbiner Evers ist beispielsweise ein Dajan, das ist ein Richter bei den Rabbinern. Und mit ihm lerne ich gerade, um in dieser Richtung weiter zu gehen. Es ist wie bei den Ärzten: Es gibt Allgemeinmediziner und Fachärzte. Ein Dajan, ein Richter kann mit zwei weiteren Dajan Entscheidungen in Erbschaftsangelegenheiten treffen, sowie bei den Ehescheidungen oder prüfen bei den Übertritt zum Judentum.

Konnten Sie entscheiden, wo Sie Rabbiner werden?

Rabbiner Kaplan: Das ist ein kompliziertes System. Es gibt im Judentum verschiedene Richtungen und Strömungen und die Strömungen gehen auch wieder in verschiedene Richtungen. Es gibt die chassidische Richtung, da werden die Rabbiner in die Gemeinden geschickt. Normalerweise aber sucht der Rabbiner einen Platz und stellt sich der Gemeinde vor und wenn sie einverstanden ist, arbeiten sie zusammen. Das war bei mir der Fall, ich habe mich hier beworben und man hat mich genommen.

Die Düsseldorfer Synagoge von außen. Der Platz an der Mauerstraße ist nach dem ehemaligen Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, Paul Spiegel, benannt.
Die Düsseldorfer Synagoge von außen. Der Platz an der Mauerstraße ist nach dem ehemaligen Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, Paul Spiegel, benannt. © Sergej Lepke

Seit wann sind Sie hier in Düsseldorf?

Rabbiner Kaplan: Seit 13 oder 14 Jahren. Michael ist noch in Hagen geboren, da war ich vorher. Ich pendelte eine Weile und dann zogen wir um.

Wann sind Sie von der Ukraine nach Deutschland gezogen?

Rabbiner Kaplan: Das war kurz vor der Jahrtausendwende, 1999. Mein erster Sohn wurde schon hier im Jahr 2000 geboren.

Warum haben Sie sich entschieden, nach Deutschland zu kommen?

Rabbiner Kaplan: Deutschland ist ein offenes, europäisches, demokratisches Land. Damals war es in der Ukraine schwierig, ein Jude zu sein. Wie es dort heute ist, weiß ich nicht, ich befürchte aber durch den Krieg ist das alles nur noch schwieriger geworden. Hier in Deutschland kann mein Sohn mit der Kippa zur Schule gehen, das wäre in der Ukraine damals nicht möglich. Ich habe das in der Ukraine an der Uni getan, aber das war sehr schwierig.

Das waren meine Gründe und daher sind wir mit meinen Eltern umgesiedelt. Mein Vater ist Ingenieur und hat ein ganzes Jahr gearbeitet und kein Geld bekommen aufgrund der wirtschaftlichen Lage. Und Arzt durfte er aufgrund seiner Nationalität nicht werden. Dabei war meine Großmutter eine berühmte Ärztin in der Ukraine. Aber der Zugang zum Medizinstudium wurde für Juden begrenzt, nicht offiziell, aber hinter den Kulissen war das bekannt.

Hat es bei Ihnen und Ihren Eltern eine Rolle gespielt, dass in Deutschland zwischen 1939 und 1945 die Juden verfolgt und getötet wurden? Haben Sie sich nicht überlegt: Wollen wir wirklich in dieses Land ziehen?

Rabbiner Kaplan: Natürlich haben wir 1000mal überlegt. Das ist eine sehr tragische Geschichte, aber Deutschland hat sich verändert und jetzt haben wir einen ganz anderen Blick auf Deutschland. Und wir hoffen, dass sich Deutschland, wenn es sich verändert, sich nicht wieder in die Richtung verändert, die es vor dem Krieg gab.

Teil unserer Geschichte: In jedem Jahr versammelt sich die jüdische Gemeinde mit Gästen und Repräsentanten der Stadt am Standort der ehemaligen Synagoge an der Kasernenstraße.
Teil unserer Geschichte: In jedem Jahr versammelt sich die jüdische Gemeinde mit Gästen und Repräsentanten der Stadt am Standort der ehemaligen Synagoge an der Kasernenstraße. © Ingo Lammert

Machen Sie sich da Sorgen?

Rabbiner Kaplan: Ja, ich mache mir Sorgen. Sie sehen hier die Polizei vor dem Haus, wir haben einen Sicherheitsdienst im Gebäude, es gibt Menschen, die machen Bemerkungen, wenn sie uns auf der Straße sehen, lachen über uns. Ja, wir machen uns Sorgen.

Nimmt das aus Ihrer Sicht wieder zu? Bekommen Sie Sprüche zu hören, wenn Sie mit Kippa auf die Straße gehen?

Rabbiner Kaplan: Ja. Düsseldorf ist eine relativ ruhige Stadt und hier das Viertel sowieso, aber in kleineren Städten ist mir das schon passiert.

Wie ist das für dich, Michael? Hast du da schon mehr als Fragen zu hören bekommen?

Michael Kaplan: Am Anfang schon, als ich in die Realschule kam, war das schon schlimm. Da gab es Beleidigungen. Ich habe vor zwei Jahren die Schule gewechselt, kam vom Gymnasium. In der Realschule wurde ich anfangs schon mal verspottet. Mir wurde auch mal die Kippa geklaut. Aber ich bin ruhig geblieben, ich habe sie dann auch wieder bekommen und mir haben auch Leute aus meiner Klasse geholfen und dann habe ich auch mal mit meiner Klassenlehrerin gesprochen und so ist es mit der Zeit besser geworden.

Bist du der einzige jüdische Schüler in deiner Klasse?

Michael Kaplan: Es gibt noch ein paar jüdische Schüler in der Schule, aber die sind nicht so religiös und tragen daher keine Kippa.

Hast du auch schon mal überlegt, ohne Kippa in die Schule zu gehen?

Michael Kaplan: Ehrlich gesagt nicht. Ich bin mit diesem Glauben geboren und ich bleib dabei.

Willst du später auch Rabbiner werden?

Michael Kaplan: Eher nicht. Ich sehe, dass mein Vater Tag und Nacht arbeitet und ist immer weg und muss öfter sich um Tote kümmern – das mag ich nicht so gern. In unserer Gemeinde gibt es einen Rechtsanwalt und ich finde, dass der einen echt coolen Job hat.

Rabbiner Kaplan: Ich habe mit Michael darüber gesprochen, er will gern das lernen, was ein Rabbiner wissen muss. Aber sehen Sie: eine Gemeinde ist ein wenig wie eine Familie und da fehlt oft der Abstand. Meine Frau sagt schon: Für dich bräuchten wir eigentlich keine Miete zahlen, du bist sowieso den ganzen Tag in der Synagoge oder in der Gemeinde unterwegs, von sechs-sieben Uhr morgens bis abends geht das und es oft sind dann auch noch Menschen, die Rat suchen, bei uns zu hause. Und Anwalt, das ist auch ja ein Beruf, wo es um Menschen und Gesetze geht. Wichtig ist für mich, dass er weiter ein religiöser Mensch bleibt und versucht, sich da zu verbessern. Und übrigens: ich habe ja auch einen anderen Beruf gelernt, eigentlich bin ich ja Ingenieur, das habe ich studiert.

Ihr Gehalt bezahlt die Gemeinde? Wie groß ist sie?

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Rabbiner Kaplan: Die Gemeinde hat ungefähr 7000 Mitglieder und ich bin ein Festangestellter der Gemeinde. Im Moment sind wir zu zweit, der Oberrabbiner und ich, unser dritter Kollege ist in Rente gegangen.

Wenn es einen dritten Rabbiner gäbe, müssten Sie dann nicht so viel arbeiten?

Rabbiner Kaplan: Jein – das ist ein schönes deutsches Wort. Es ist so, je mehr man arbeitet, desto mehr weiß man und umso mehr ist man gefragt. Die Arbeit, Menschen zu helfen, bei Geburten, Beschneidung, Geburtstag, Hochzeit, Krankheit oder beim Sterben, steht fest. Das sind Stationen im Leben, die kann man nicht beeinflussen kann. Aber Lernen und Lehren kann man jeden Tag machen und kann immer mehr unterrichten und lehren. Dabei wir laden auch Menschen zu uns zu Gesprächen ein und so geht es immer weiter.

Ihre Gemeinde wächst weiter?

Rabbiner Kaplan: Ja, wir haben mehr Zulauf. Zunächst mal bekommen unsere Gemeindemitglieder mehr Kinder, wir haben hier den größten Kindergärten Düsseldorfs. Und Düsseldorf ist eine attraktive Stadt, es kommen immer mehr Menschen hierher und die Gemeinde ist auch attraktiv. Wir haben Krabbelgruppe, Grundschule und das jüdische Gymnasium, das jetzt gerade den zweiten Jahrgang aufgenommen hat. Das bedeutet, dass viele Menschen auch deswegen hierher umziehen, vor allem Familien, weil sie ihren Kindern hier eine jüdische Erziehung anbieten können.