An Rhein und Ruhr. Schon jetzt fehlen Hausärzte, zum Beispiel am Niederrhein. Viele Mediziner gehen in den Ruhestand. Doch junge Ärzte zieht es in lukrative Städte.
Es ist 8.30 Uhr, und noch sind Ferien. Aber Dr. Eva-Maria Schwarzer, Allgemeinmedizinerin mit Praxis im niederrheinischen Kalkar (13.800 Einwohner), merkt davon nichts. Ihr Wartezimmer ist proppenvoll. 15 Patienten warten auf ihre Behandlung, mit Schnupfen, Magenbeschwerden, oder weil sie neue Medikamente verschrieben bekommen. Im Vorzimmer melden sich weitere Kranke an, die meisten sind älter. Ständig klingelt das Telefon. Hausärztin Schwarzer ist beliebt, das merkt man. Aber sie sagt auch: „Ich arbeite nah an meiner Belastungsgrenze!“
59 Jahre ist sie. Und was bleibt, wenn sie sich in ein paar Jahren zur Ruhe setzen will? Wer übernimmt ihre Praxis? Schon länger steht fest – zu wenig junge Hausärzte zieht es aufs Land. Und jetzt kommt eine Besonderheit dazu – mit dem Wegfall der so genannten „Hausärztequote“ für das Ruhrgebiet könnte sich diese Situation noch einmal deutlich verschärfen.
Die Wege sind im Ballungsraum für Patienten kürzer
Die Bedarfsplanung für Ärzte im Ruhrgebiet wird Ende des Jahres auslaufen. Sie stammt aus den 90er Jahren. Damals meinte man, dass die Wege im Ballungsraum für Patienten kürzer seien. Man benötige also weniger Hausärzte. Doch diese Regel fällt ja nun weg. „Dann entstehen im Ruhrgebiet auf einen Schlag 566 zusätzliche Hausarztsitze, die meisten den Metropolen“, sagt Dr. Heiko Schmitz, Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein (KVNO).
Dabei gibt es viel zu wenig Nachwuchs, um die neuen Stellen überhaupt zu besetzen. „Wir bekommen pro Jahr etwa 110 fertige Allgemeinmediziner in Nordrhein, brauchen aber rund 250, um den Bedarf zu decken.“ Zudem seien viele Absolventen Frauen, die später meist in Teilzeit arbeiten, was die tatsächliche Zahl der Ärzte reduziere. Und von denen zieht es die meisten in die lukrativen Städte.
Die KVNO fürchtet, dass sich dadurch vor allem die Situation in Randgebieten des Ruhrgebiets und in ländlichen Regionen wie etwa am Niederrhein immens verschärfen wird: „Da gibt es ja schon jetzt zu wenig Hausärzte.“
Noch ist die Versorgung stabil
Zurück in der Praxis in Kalkar: „Wenn ich hier bei einem Allgemeinmediziner nach einem Termin frage, wird mir meist einer in zwei bis drei Tagen angeboten“, berichtet ein 63-jähriger Patient. Ohne Termin betrage seine Wartezeit etwa zwei Stunden. Das geht ja noch. Aber: „Wenn mein Arzt mal die Urlaubsvertretung für einen anderen Arzt übernimmt, dann ist es wirklich brechend voll und man wartet viel länger.“
Eine weitere Patientin ergänzt: „Im letzten Jahr ist hier ein Arzt in Rente gegangen, der hat noch immer keinen Nachfolger gefunden“, so die 40-Jährige. Sie arbeite in einem Pflegeberuf und kenne die Handvoll Hausärzte vor Ort: „Ich würde sagen, noch ist hier die hausärztliche Versorgung stabil. Aber wenn in den nächsten Jahren die Hälfte der Hausärzte hier in Rente geht, und die keine Nachfolger finden, dann wird’s kritisch!“
Im 65 Kilometer entfernten Duisburg sieht die Situation etwas anders aus. Hier, in der Gemeinschafts-Praxis von Dr. Christoph Hammer und Dr. Reiner Spicher mitten in der City ist auch viel los, aber so ein Andrang wie in Kalkar herrscht nicht. Eine 29-jährige Patientin erzählt, dass sie früher in einem Dorf im Münsterland gewohnt hat und seit dreieinhalb Jahren in Duisburg lebt.
„Ich gehe einfach hin und komme dran“
Sie vergleicht: „Auf dem Land musste ich meist um die zweieinhalb Stunden warten, bis ich in der Praxis dran gekommen bin und ohne Termin ging sowieso gar nichts.“ In Duisburg brauche sie hingegen keinen Termin zu machen: „Ich gehe einfach hin und warte trotzdem nie länger als höchstens dreißig Minuten.“ Auch ihr Dorfarzt hatte damals vergeblich einen Nachfolger gesucht – ganze zehn Jahre lang, erzählt sie.
Dr. Christoph Hammer ist seit 30 Jahren Hausarzt in Duisburg. Zur Neuregelung der Hausärztequote hat er eine eigene Meinung: „Ob die Hausärztequote ausläuft oder nicht, das ist doch Augenwischerei – die freien Stellen können so oder so nicht besetzt werden.“ 5000 Ärzte gingen jährlich in Deutschland in Rente, aber nur 1000 rücken nach, gibt der 63-Jährige zu bedenken. „Die wenigen nachrückenden Hausärzte suchen sich dann natürlich die Sahnestückchen auf dem Markt aus, Duisburg gehört aber nicht dazu.“
Er nennt Gründe: Andere Standorte seien attraktiver, es gebe praktisch keine Privatpatienten in Duisburg, dafür aber viele Hausbesuche, sowie viele alte Patienten: „Um hier als Hausarzt zu arbeiten, muss man Idealist sein“.
Eine gute Abi-Note macht noch keinen guten Arzt
Der Ärztemangel werde auf dem Rücken der älteren Ärzte ausgetragen: „Das durchschnittliche Alter der Hausärzte liegt bei etwa 55 Jahren, ich kenne persönlich Hausärzte die 76 Jahre alt sind und voll arbeiten. Dr. Hammer lacht, obwohl ihm nicht danach zumute ist: „Eine Seniorentruppe versorgt die Deutschen hausärztlich.“
Dass die auslaufende Hausärztequote die ländliche Regione belasten werde, glaubt auch Dr. Hammer: „Da ist es jetzt schon kritisch, Kollegen finden keine Nachfolger, die Arbeitsbelastung ist sehr hoch.“ Er wünsche sich von der Politik, dass der Zugang zum Medizinstudium nicht mehr nur über den Numerus Clausus läuft, sondern dass Vorbildungen und ehrenamtliches Engagement Berücksichtigung fände. Dann hätten mehr Personen Zugang zum Studium, nur so könne man dem Nachwuchsmangel entgegen wirken. „Eine gute Abinote macht noch längst keinen guten Arzt.“
>>> „Hausarztquote“
Mit der „Hausärztequote“ ist das Verhältnis von Einwohnern zur Arztdichte innerhalb der sogenannten Bedarfsplanung gemeint. Die Bedarfsplanung für Ärzte in den Regionen übernimmt seit 1992 der Gemeinsame Bundesausschuss von Ärzten, Krankenhäusern und Krankenkassen.
Das Ruhrgebiet wurde zur „Sonderregion Ruhr“ zusammengefasst, in der andere Verhältniszahlen gelten: Ein Hausarzt ist hier für 2134 Patienten zuständig. Bundesweit versorgt ein Allgemeinmediziner hingegen 1671 Patienten.
Ende 2017 läuft diese Sonderregelung für das Ruhrgebiet aus.
Die KVNO fordert eine Anschlussregelung: Zehn Jahre soll diese Übergangsfrist dauern, um die Auswirkungen abschwächen zu können.