Düsseldorf. . Fragen über Fragen im Prozess um angeblich geplantes Blutbad in Düsseldorfs Touristenviertel. Hauptangeklagte hatte mit Kehrtwende überrascht.
Es ist ein wenig lichter geworden auf der Anklagebank im Saal 1 des Hochsichertheitstraktes des Oberlandesgerichts Düsseldorf. Von drei mutmaßlichen IS-Terroristen, denen wegen eines geplanten Anschlags auf die Düsseldorfer Altstadt seit dem 5. Juli 2017 der Prozess gemacht wird, sitzen nun, fünf Verhandlungstage und drei Ferienwochen später, nur noch zwei auf der Anklagebank.
Und die, salopp ausgedrückt, auch nur unter Vorbehalt. Denn auch der Algerier Hamza C. steht nicht mehr unter dem Verdacht, ein Terrorist zu sein, sondern lediglich ein Schleuser. Der Jordanier Mahood B. (26) wurde bereits aus der Untersuchungshaft entlassen, ihm ist nichts mehr nachzuweisen, nachdem ihn der Hauptangeklagte, Saleh A. (30), am letzten Verhandlungstag vor den Ferien mit einer überraschenden Aussage entlastete. Saleh A. jedoch steht nun im Mittelpunkt, längst gilt es, herauszufinden, was an dem, was er sagt, stimmt – und was nicht.
Tief in das Chaos des Krieges eingedrungen
Und gesagt hat der Mann aus Syrien viel, auch vor Gericht gibt er bereitwillig Auskunft. Die eine Geschichte, die von den drei IS-Mitgliedern, die gemeinsam mit sieben anderen „Kämpfern“ mit Bomben und Maschinengewehren ein Blutbad in der Düsseldorfer Altstadt anrichten wollten, gab er am 1. Februar 2016 auf einer Pariser Wache zum Besten. Dort hatte er sich gestellt, angeblich, weil er wegen seiner kleinen Tochter nicht zum Mörder hatte werden wollen.
Nun konfrontiert ihn die Vorsitzende Richterin Barbara Havliza ein ums andere Mal mit den Aussagen von Paris, den bisher erfolgten Aussagen vor Gericht, vergleicht, fragt nach, erstellt Zeitleisten, listet Namen auf. Sie dringt dabei tief in das Chaos des syrischen Bürgerkriegs ein und hinterfragt die aberwitzigen Strukturen des Terrorkalifats Islamischer Staat, von dem man mittlerweile glaubt, eine Menge zu wissen – und dann merkt, wie wenig es eigentlich ist.
Saleh A. als eine Art Doppelagent
Stand des gestrigen 6. Verhandlungstages: Syrien im Jahr 2013, ein im Nachklang des „arabischen Frühlings“ heillos zerrissenes Land. Im Durcheinander kämpfen die Truppen des regierenden Diktators Assads gegen die Rebellen, die aus unzähligen, zumeist islamistischen Splittergruppen bestehen, die wiederum mit und gegen Beduinenstämme und Familienclans in Fehde liegen. Immer mehr der Rebellengruppen schließen sich dem aufstrebenden und gut ausgestatteten IS an, auch die Gruppe, der Assad-Gegner und Arztsohn Saleh A. zeitweise vorsteht.
Dessen zukünftiger Schwager ist bereits in mittlerer Position beim IS. Saleh A., der gerade geheiratet hat, ist in den Wirren des Krieges eher so etwas wie ein „bunter Hund“ – „eine Art Doppelagent?“ fragt Havliza. Der Angeklagte nickt. Im Sommer 2013 traf er sich abwechselnd mit Vertretern der syrischen Armee und einer islamistischen Gruppierung, plante angeblich eine Gefangenenbefreiung und einen Sprengstoffanschlag und landete schließlich im Rekrutierungsbüro des IS, wo ihm nach einer Meinungsverschiedenheit in die Schulter geschossen wird.
68 Tage sitzt er in der IS-Hochburg Rakka in Haft. Ja, seine Wunde sei versorgt worden und nein, gefoltert worden sei er nicht, erzählt er. Was Richterin Havliza zu der Frage bringt, warum der ansonsten nicht zimperliche IS sich „ausgerechnet mit Ihnen so viel Mühe gibt...“. Dies sei, so der Angeklagte, eine Frage der Ehre. Die Scharia (islamische Gesetzgebung) besage, dass mit der Schußverletzung seine Strafe getilgt sei.
Unislamisches rauchen wird bestraft
Nichtsdestotrotz landet der junge Mann in einem Umerziehungscamp des IS, und bekommt, weil er unislamisch geraucht hat, vier Wochen Verlängerung. In diesem Lager, schildert Saleh A., und das ist man bereit, ihm zu glauben, sei alles, was mit dem Leben zu tun habe, als unwürdig und „bloßer Übergang“ dargestellt worden. Es sei einem eingetrichtert worden, wen man als Menschen am leben lässt, und wen man töten darf. Zählen würde sowieso nur das Jenseits, das Paradies, übrigens schnell erreichbar als Selbstmordattentäter.
Bereits im Camp hätten sich viele in die Listen potentieller Attentäter eingetragen, sagt Saleh A., und: „Die meisten von uns haben ja das Leben im Krieg schon so gehasst, dass sie bereit waren, den Tod zu akzeptieren!“.
Ob seine gerade geborene Tochter nicht Sinn genug für das Diesseits gewesen sei, fragt Barbara Havliza. Für ihn ja, sagt Saleh A., aber für den IS hätten Frauen und Kinder keine Bedeutung.
>>>Verhandlungstage bis Weihnachten
Kein kurzer Prozess: 30 weitere Verhandlungstage bis Ende 2017 sind zunächst vorgesehen.
Der Prozess wird von zwei Gutachtern begleitet: Dr. Guido Steinberg ist Islamwissenschaftler und Terrorismusexperte und soll das Geflecht an Namen und Schauplätzen entwirren.
Der Essener Forensiker Professor Norbert Leygraf wird die psychiatrischen Gutachten erstellen.