An Rhein und Ruhr. Über eine Millionen Muslime leben in NRW. Es ist Ramadan, Muslime fasten tagsüber. Moschee-Verein lädt täglich Ledige und Flüchtlinge ein.
Um Punkt 21:55 Uhr teilt Omar Chengafe vorsichtig eine Dattel in zwei Hälften, trennt den Stein heraus, isst und spült schnell ein kleines Glas Milch hinterher. Geschafft. Über 18 Stunden hat der 19-jährige Dinslakener nichts getrunken und gegessen. „Der Durst ist verschwunden, mein Körper erfrischt und die Belohnung ist bei dir aufgeschrieben“, betet er auf Arabisch.
Bis die Wolken wieder lila sind
Im Koran steht, dass die Gläubigen im Ramadan nur dann essen und trinken sollen, „bis sich der weiße vom schwarzen Faden der Morgendämmerung klar unterscheidet.“ Eine Formulierung, die weit über tausend Jahre alt ist. Omar Chengafe fällt dazu ein Lied von Rapper Marteria ein. Da heißt es „Wir bleiben wach bis die Wolken wieder lila sind.“ Das sei eine gute Orientierung; da sich heutzutage der Sonnenauf- und Untergang aber genau vorhersagen lässt, setzt er lieber auf eine Liste mit Gebetszeiten.
Listen, die mögen sie überhaupt gerne im Arrahma-Kulturverein mitten in Dinslaken. Am Eingang hängen Tabellen, in die sich die Gemeindemitglieder zum Kochen eintragen können. Jeden Tag ist eine andere Gruppe mit der Versorgung von rund 60 Gästen beauftragt, wer nicht kochen kann oder will, spendet. Auf einer anderen Übersicht erinnert der Verein auf Deutsch und Arabisch daran, dass die aktuellen Räumlichkeiten noch nicht abbezahlt sind, 51 306 Euro müssen noch abgestottert werden.
35 Vereinsmitglieder und viel mehr Gemeindemitglieder
Obwohl der Verein nur 35 Mitglieder hat, sind die großen Räume der ehemaligen Bank mitten im Stadtzentrum von Dinslaken notwendig. Durch die Flüchtlinge, die in den letzten zwei Jahren hinzu kamen, hat sich die Zahl der Besucher vervielfacht. Und somit auch die Zahl derer, die im Ramadan nicht bei ihren Familien sein können und deshalb Gemeinschaft in der Moschee beim gemeinsamen Gebet und Fastenbrechen (Iftar) suchen.
Im Ramadan zu fasten, das ist eine der fünf wichtigsten Regeln im Islam, ausgenommen davon sind Schwangere, Reisende, Kranke, Alte und Kinder. Man merkt, dass Omar Chengafe ein Kind des Ruhrgebiets ist, wenn er die Liste der Ausnahmen ergänzt: „Wer im Gießereibetrieb arbeitet, muss nicht fasten. Am Hochofen geht das nicht.“ Als Student der Sozialen Arbeit sei es für ihn aber kein Problem, viele Stunden nicht einmal einen Schluck Wasser zu trinken.
Als Kind den Wunsch zu fasten
Er mag den heiligen Monat, der für ihn eine hohe spirituelle Bedeutung hat. Er reflektiert sich selbst, sucht das Gespräch mit Gott und verbringt viel Zeit mit Freunden und Familie. Seit er neun Jahre alt ist fastet er.
Nicht etwa, weil sein Vater, der Vorstandsmitglied im Arrahma Kulturverein ist, das verlangt hätte. „Ich wollte das. Schon als Kind spürte ich, dass der Ramadan etwas ganz Besonderes ist. Unsere Mutter hat uns früh geweckt, wir haben gefrühstückt, die Moschee besucht. Irgendwann wollte ich auch gerne fasten.“
Für den Fronleichnamstag hat sich eine Gruppe Flüchtlinge in die Koch-Liste eingetragen. Salim und Lotfi, zwei Palästinenser aus Damaskus, schneiden Melonen in Stücke, Bilal, Designer aus Aleppo, brät Hühnerschenkel. Der deftige Geruch eines Rosinen-Reis-Gerichtes zieht durch das Gebäude.
„Bruder, heute war es gar nicht so schwer. Weil es nicht so heiß war, oder was meinst du?“ – „Der Durst ist auf jeden Fall schlimmer als der Hunger.“ So tauschen sich die Somalier, Iraker, Syrer, Tunesier, Marokkaner und zwei Jungs aus Dinslaken, Konvertiten, aus. Seite an Seite beten sie, bevor es endlich ans gemeinsame Essen geht. Das Gefühl des leeren Magens, es soll die Muslime auch immer an die Menschen erinnern, die den Hunger nicht freiwillig spüren.
Der Durst ist schlimmer als der Hunger
Es sind ausschließlich Männer, die das Angebot wahrnehmen, obwohl Frauen genauso willkommen sind wie Nicht-Muslime. Immer wieder ermutigt der Vorstand seine Mitglieder, Freunde zum Fastenbrechen einzuladen. Auch wer nicht selbst gefastet hat, spürt die Vorfreude auf das gute Mahl und die heimelige Spannung.
Nach dem Essen bleiben viele zum Beten und Meditieren in der Moschee, andere rauchen vor dem Gebäude eine Zigarette in der einsetzenden Dunkelheit. Jetzt dürfen sie.
Bis die Wolken wieder lila sind.
>> DER RAMADAN ENDET 2017 AM 24. JUNI
Am Ende des Ramadan feiern Muslime das Zuckerfest. Das Fest des Fastenbrechens trägt je nach Region einen unterschiedlichen Namen. Oft ist die Stimmung hier ausgelassen und die Kinder bekommen Geschenke.
Für den Arrahma Kulturverein sind Flüchtlinge Geschwister im Glauben, die ihre Kultur und Religiosität mitbringen.
Der Verein hat seinen Vorstand erweitert. Zwei Flüchtlinge besetzen Vorstandsposten. Die Neuen sollen an das deutsche Vereinswesen herangeführt werden.
Der Verein, der einst von marokkanischen Gastarbeitern gegründet wurde, sieht sich in der Verantwortung zu helfen. Sie arbeiten daran, eine Beratung für Flüchtlinge anzubieten.
Auch der interreligiöse Dialog und Jugendarbeit haben einen hohen Stellenwert.