Berlin. Der deutsche Wald setzt erstmals mehr Klimagase frei, als er speichert. Experten sehen einen Einschnitt mit drastischen Folgen.
Die Wälder in Deutschland sind gestresst, aber sie können sich gegen den Stress auch besser wehren. Diese Mischung aus bedenklichen und positiven Entwicklungen zeigt die neue Bundeswaldinventur, die Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) am Dienstag präsentierte. Einerseits enthalten die Wälder „weniger lebende Biomasse“ als früher, andererseits nehmen aber die Mischwälder zu, die widerstandsfähiger sind.
Wald: „Unser grünes Herz gerät aus dem Takt“ – Özdemir warnt
Alle zehn Jahre findet die große Untersuchung als Gemeinschaftsprojekt von Bund und Ländern statt. Die aktuelle Ausgabe der Waldinventur unter Koordination des Thünen-Instituts stützt sich schwerpunktmäßig auf Daten zum Zustand der Wälder zwischen 2017 und 2022.
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Ein Hauptbefund aus dieser Zeit lässt aufhorchen: „Die Wälder in Deutschland tragen nicht wie erwartet zur Speicherung des klimaschädlichen Treibhausgases Kohlendioxid (CO2) bei.“ Früher taten sie das immer. Seit 2017 haben sie aber erstmals mehr CO2 freigesetzt als durch ihr Wachstum aufgenommen. „Unser grünes Herz gerät aus dem Takt“, schlussfolgerte Özdemir.
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Deutscher Wald verändert sich – das sind die Ursachen
Der wesentliche Grund der Veränderung ist bekannt. Im Herbst 2017 fegten verheerende Stürme über das Land, danach kam die Dürre von 2018. Und durch die wärmeren Temperaturen vermehrten sich die Borkenkäfer schneller, die den geschwächten Bäumen zusetzen, vor allem den Fichten.
Das Ergebnis sind riesige „Kalamitätsflächen“, teilweise abgestorbene Wälder, die mittlerweile ein Sechstel der Waldfläche zwischen Alpen und Meer, Rhein und Oder ausmachen.
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„Das bedeutet, der Abgang durch Stürme und Dürre sowie Käferbefall ist größer als der Zuwachs an lebender Biomasse“, schreibt das Landwirtschaftsministerium. Einfach gesagt: Die großen Bäume kippen schneller um, als die kleinen nachwachsen. Für das gesamte Ökosystem Wald führt das zu einem neuen Effekt. „Seit 2017 hat sich der Kohlenstoffvorrat im Wald um 41,5 Millionen Tonnen verringert.“ Özdemirs bildhafte Beschreibung: „Anstatt zu kühlen, heizt die Klimaanlage jetzt.“
Mischwälder: Report zeigt Hinweise auf Besserung
Gleichzeitig sind aber auch positive Entwicklungen zu verzeichnen. „Die Indikatoren für Biodiversität und Naturnähe haben sich verbessert“, erklärte Jürgen Bauhus, Professor für Waldbau der baden-württembergischen Universität Freiburg, „beispielsweise ist der Anteil der Laubbäume und Mischwälder gestiegen.“ Nach Zahlen des Thünen-Instituts haben diese widerstandsfähigeren Wälder mittlerweile einen Anteil von 79 Prozent, zwei Prozent mehr als 2012. Die Waldbesitzerinnen und Waldbesitzer kümmern sich also darum, dass ihre Forsten den Wetter- und Klimaänderungen trotzen können. Mischwälder sind stabiler als Monokulturen.
„Außerdem werden die Bäume durchschnittlich älter“, sagte Wissenschaftler Bauhus. Mit durchschnittlich 82 Jahren sind das fünf Jahre mehr als 2012. Gleichzeitig hat die Waldfläche insgesamt leicht zugenommen. Und „der Holzvorrat ist gegenüber der vorherigen Inventur 2012 konstant geblieben“, betonte die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Waldbesitzerverbände.
Wald schwächelt beim Klimaschutz: Andere Bereiche „müssen mehr beitragen“
Dennoch könnten die Entwicklungen einige Folgen auslösen, die über die Wälder hinausreichen. „Die Abnahme des Kohlenstoffvorrats ist eine Zäsur“, analysierte Professor Bauhus, „wir müssen damit rechnen, dass das ein Vorzeichen für die Zukunft ist.“ Weil sich der Klimawandel vermutlich fortsetze, seien Auswirkungen für andere Bereiche der Politik einzukalkulieren. Bauhus: „Insofern erscheinen die Annahmen und Vorgaben des Klimaschutzgesetzes zur Senkenfunktion des Waldes zu optimistisch. In der Folge müssen wohl andere Sektoren mehr zur CO2-Reduzierung beitragen.“
Denn bisher geht die Bundesregierung bei ihrem Ziel der Klimagasneutralität bis 2045 davon aus, dass die Wälder die CO2-Reduktion unterstützen, indem sie große Mengen absorbieren. Dreht sich diese Senkenfunktion um, wie jetzt erstmals geschehen, müssten zum Beispiel der Verkehr oder die Gebäude noch mehr CO2 einsparen. Oder man müsste zusätzliche teure Anlagen bauen, die der Atmosphäre technisch Kohlendioxid entziehen.
Und die neue Waldinventur könnte die Debatte über die wirtschaftliche Nutzung des Waldes befeuern. Denn, wie Özdemir erklärte: „Der Wald ist ein Wirtschaftsfaktor mit Hunderttausenden Arbeitsplätzen.“ Wie viele Bäume darf man also fällen? Und wofür sollte man das Holz verwenden – als Rohmaterial für die Papierproduktion, als Baustoff für Dachstühle und moderne Holzhäuser, als Brennstoff für Kamine und Holzheizungen?
Pelletheizung noch zukunftssicher als Wärmelieferant?
Zum letzteren Punkt hat unlängst das Umweltbundesamt (Uba) einen Beitrag geleistet, indem es erstmals die CO2-Emissionen von Pellet- und anderen Holzheizungen auswies – ein Hinweis darauf, dass das Verbrennen von Holz vielleicht nicht die schlaueste Variante der Wärmeerzeugung ist, wenn gleichzeitig die Fähigkeit der Wälder abnimmt, die Emissionen zu speichern. Unter anderem die Union und Waldverbände übten Kritik an den Berechnungen des Uba.
„Der größte Teil des geernteten Holzes wird schon heute zu langlebigen Produkten verarbeitet“, sagte dazu Reinhold Mayer vom Landeswaldverband Baden-Württemberg. „In diese Richtung sollten wir weiterarbeiten und Holz noch klimaschonender nutzen, als es zu verbrennen.“
Schließlich spielen die neuen Daten eine Rolle bei der Diskussion über die Novelle des Waldgesetzes, die Cem Özdemir noch in dieser Regierungsperiode über die Bühne bringen will. Verbände, FDP und Opposition kritisieren die vom Minister geplanten Vorschriften als zu hart. Der verweist auf die Notwendigkeit, das 50 Jahre alte Gesetz den neuen Bedingungen anzupassen und die Wälder besser zu schützen.
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