Witten. Mediziner erklärt, warum Globuli trotz Wirkungslosigkeit soviele Fans haben - und warum Homöopathie und Naturheilmittel Welten trennen
Gesundheitsminister Karl Lauterbach will homöopathische Mittel aus dem Leistungskatalog der Krankenkassen streichen lassen. Denn die solidarisch finanzierten Kassen sollen nur Behandlungen finanzieren, die den Grundlagen der Evidenzbasierten Medizin entsprechen. Der Begriff wurde in den 90er Jahren entwickelt und verfolgt das Ziel einer individuellen Patienten-zentrierten Behandlung: die bestmögliche Versorgung mit den besten, erwiesenermaßen wirksamen medizinischen Mitteln. Und diese Wirksamkeit muss in umfangreichen medizinischen Studien exakt belegt sein. Homöopathische Mittel erfüllen genau dieses Kriterium nicht: Es gibt keine Studie, die eine Wirksamkeit von Globuli sauber belegt. Bei genauer Betrachtung ist dies auch kaum verwunderlich, handelt es sich doch um Präparate, in denen Wirkstoffe so stark verdünnt werden, dass sie molekular nicht mehr nachweisbar sind. Das ganze beruht auf der Annahme, Wasser habe „ein Gedächtnis“.
Trotz alledem: Viele Patientinnen und Patienten sagen: Es hilft mir doch!
Dennoch nehmen Millionen von Menschen die Präparate ein, viele Mütter schwören drauf für ihre Kinder – das Thema ist hochemotional besetzt. Prof. Klaus Weckbecker, der sowohl als Hausarzt praktiziert als auch an der Universität Witten-Herdecke Allgemeinmedizin lehrt, kennt die Argumentationsschiene gut: Aber es hilft mir doch!, bekomme er häufig von seinen Patienten zu hören, wenn er ihnen erläutert, dass Globuli eigentlich nicht wirken (können). „Die Zahl der Anhänger ist weiter groß“. Und er verwende den Begriff „Anhänger“ mit Absicht: Denn viele Menschen „glauben“ eben dran. Warum, das sei meist leicht nachvollziehbar: Häufig würden homöopathische Mittel eingesetzt bei Bagatellerkrankungen, erklärt Weckbecker: Sie fungieren als psychologische Krücke, hier greift dann der Placebo-Effekt. Der Arzt berichtet, er versuche den Patienten in solchen Fällen dennoch zu erklären, dass keine gefährliche Situation vorliege, dass die Selbstheilungskräfte des Körpers das einfach so schaffen.
„Es sind häufig Patienten mit einem hohen Sicherheitsbedürfnis, die auf Homöopathie schwören. Wenn ich die dann untersucht habe und ihnen versichere, dass sie gar kein Medikament brauchen, reagieren sie oft erleichtert“. Hilfreich sei in solchen Fällen ein sogenanntes Inzept, ein Informations-Rezept, mit Handlungsanweisungen, die zur Genesung beitragen: Tee trinken, inhalieren, leichte Spaziergänge. Auch für Kinder sei es häufig eine gute, weil einfache Botschaft: Eine Schürfwunde braucht ein Pflaster – und sonst eigentlich nichts, jedenfalls keine Globuli. Weckbecker begrüßt daher den Vorstoß von Minister Lauterbach ganz klar: Jeder Euro, der im Gesundheitssystem für Medikamente ohne belegbaren Nutzen ausgegeben wird, fehlt an anderer Stelle.
Und richtig gefährlich werde es, wenn Patienten versuchen, schwere Erkrankungen homöopathisch zu behandeln. Da habe er in seiner Praxis auch tragische Fälle gesehen, so Weckbecker, bei denen Homöopathie-Anhänger eine evidenzbasierte Behandlung so lange herausgezögert haben, bis es zu spät war. Das betreffe mitunter auch krebskranke Menschen.
Naturheilkunde und pflanzliche Stoffe sind bewiesen wirksam
An dieser Stelle betont der Mediziner, dass es einen himmelweiten Unterschied gibt, zwischen Naturheilmitteln - etwa pflanzlichen Präparaten – und homöopathischen Mitteln. Die Wirkung von Naturheilmitteln, die erfolgreich und unterstützend zum Beispiel auch in der Onkologie eingesetzt werden, sei mitunter sehr stark und vielfach erwiesen, ihre Anwendung klar evidenzbasiert: „Die ganze Pharmazie ist ja letztlich aus der Pflanzenkunde heraus entstanden“. Deswegen müsse er in der Praxis auch da häufig Irrtümer ausräumen: rein pflanzlich = harmlos. „Pflanzliche Medizinprodukte sind keine einfachen Produkte!“, betont Weckbecker. Auch wer zum Beispiel ein Johanniskraut-Präparat einnehme, müsse immer auch die Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln im Auge behalten. Auch andere Naturheilverfahren, wie Bewegungstherapie seien hilfreich und wirksam und würden vielfach als unterstützende oder ergänzende Behandlung eingesetzt.
Zuwenig Zuwendung verunsichert die Patienten.
Abschließend lenkt Weckbecker den Blick auf die Beweggründe der Homöopathie-Anhänger und berichtet von vielen Patienten, die sich im normalen Medizinbetrieb schlecht aufgehoben fühlen und deswegen nach Alternativen suchen: Es gehe um die Bedeutung der sprechenden Medizin. Laut Studien unterbrechen in 75 % der Visiten die behandelnden Ärzte ihre Patienten bei der Schilderung ihrer Leiden, deren Redezeit verkürze sich so auf 12 bis 23 Sekunden. Das sei bei den alternativen Behandlern oft anders. Weswegen sich die Patienten von diesen besser verstanden fühlen. Der positive Aspekt eines guten, vertrauensvollen Arzt-Patienten-Verhältnis für den Heilungsprozess sei vielfach erwiesen. „Deswegen lege ich bei der Hausarzt-Ausbildung auf die Kommunikation großen Wert.“ Dass dieser sich nicht in der ärztlichen Vergütung widerspiegele, sei ein weiterhin bestehendes Problem im Gesundheitssystem, das dringend behoben werden müsse – auch um die Qualität der Versorgung zu verbessern.
Prof. Weckbecker ist Experte unserer Video-Sendung "Die Sprechstunde" , in der es regelmäßig um die sogenannten Volkskrankheiten und medizinische Alltagsfragen geht.