Essen. Die Finanznot der Krankenhäuser in NRW ist groß. Ein Klinikchef aus NRW erklärt, warum und was die Klinik-Wäscherei mit Patientenwohl zu tun hat.
In NRW stehen Krankenhäuser immer stärker unter wirtschaftlichem Druck.
- Bundesweit gibt es bereits 29 Insolvenzen von Krankenhäusern, allein in NRW sind bislang neun und damit überproportional viele Pleiten gemeldet worden.
- Den Kliniken machen die starke Inflation und Tariferhöhungen zu schaffen. Mehrkosten waren bislang von den Krankenkassen nicht gedeckt.
- Auf Initiative aus NRW soll nun der Bundesrat die Regierung überzeugen, nachzusteuern.
Am Ende des Gesprächs entschuldigt sich Wolfgang Mueller. Dass er sich so in Rage geredet habe, tue ihm leid, sagt der Geschäftsführer der Vestischen Caritas-Kliniken in Datteln. Aber wenn es um die Frage gehe, warum so viele Krankenhäuser in NRW in Schieflage geraten sind, sei viel zu sagen und zu erklären.
„Die Krankenhäuser stehen mit dem Rücken zur Wand“, ist der Wirtschaftsjurist überzeugt, der seit über drei Jahrzehnten im nordrhein-westfälischen Krankenhauswesen arbeitet. „Hier geht es nicht um Kliniken auf dem Land, sondern um wichtige Größen in den Regionen. Mir macht das wirklich Angst. Ich sehe keine Stelle, an der die Krankenhäuser aus eigener Kraft aus dieser Misere herauskommen können.“
Finanznot der Krankenhäuser: Neun Insolvenzen allein in NRW
Die wirtschaftliche Lage der Krankenhäuser ist tatsächlich schwierig. Bundesweit haben 2023 bereits 29 Krankenhäuser Insolvenz angemeldet. Neun und damit überdurchschnittlich viele Fälle sind in NRW aufgetreten. Weitere Pleiten werden befürchtet: Verbände bilden ihre Klinikchefs in NRW inzwischen aktiv im Insolvenzrecht fort und es vergeht kein Tag, an dem nicht auch Forderungen nach mehr Geld für die deutschen Krankenhäuser laut würden. Bis Jahresende wird erwartet, dass 80 Prozent von ihnen rote Zahlen schreiben. Die Sorge ist groß vor Folgen fürs Patientenwohl. Wenn Kliniken wegfallen, Personal abgebaut wird oder Neuanschaffungen zurückgestellt werden, drohen Einbußen für Erkrankte.
Das NRW-Gesundheitsministerium hat sich dem Ruf der Klinikchefs inzwischen angeschlossen. Am Freitag wird sich auf Initiative aus Düsseldorf der Bundesrat mit der Frage befassen, wie den Kliniken geholfen werden kann. Im Gespräch ist ein fünf Milliarden Euro Sofortprogramm und ein System, mit dem die Kliniken ihre tatsächlich entstandenen Kosten von den Krankenkassen auch bezahlt bekommen.
Aber ist es mit mehr Geld getan? Haben die Kliniken nicht schon Milliardenhilfen in der Pandemie und zur Abfederung der hohen Energiepreise nach Beginn des Ukraine-Kriegs erhalten?
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Auf der Suche nach einer Antwort sollen Wolfgang Mueller und die Vestischen Caritas-Kliniken als Beispiel dienen. Es ist ein kleiner Träger, zu dem ein Allgemeinkrankenhaus gehört, das „St. Vincenz“ in Datteln. Ein Haus, wie es viele im Ruhrgebiet gibt, rund 1.300 Beschäftigte, 316 Betten. Dass Mueller anders als viele seiner Kollegen in der Vergangenheit nun offen über die Finanzlage seines Hauses spricht, sagt auch etwas über die Dringlichkeit der aktuellen Situation aus.
Finanznot in den Kliniken: Fehlen nur die Patienten?
Das Krankenhaus im Norden des Ruhrgebiets hat mit rund 18.000 Fällen inzwischen wieder genauso viele Patientinnen und Patienten wie vor der Corona-Pandemie. In den meisten anderen deutschen Kliniken ist das längst noch nicht der Fall: Die Patientenzahlen sind bundesweit um 13 Prozent niedriger als 2019, im Durchschnitt sind 2022 sogar 31 Prozent der Klinikbetten in Deutschland leer geblieben. Damit fehlten den Kliniken Einnahmen – ein Grund für ihre Misere, könnte man meinen.
Das St.-Vincenz-Krankenhaus beweist das Gegenteil. 2022 schloss das Haus noch mit 601.000 Euro im Plus ab. In diesem Jahr droht nun aber ein Minus von einer Viertelmillion Euro, obwohl die Patientenzahl und die Schwere der zu behandelnden Fälle gestiegen sind und die Erlöse um drei Prozent im Vergleich zu 2019 gewachsen sind. Für 2024 rechnet das Haus sogar mit 2,5 Millionen Euro Miese. Wie das?
Hohe Kosten plagen Kliniken: Was hat die Inflation damit zu tun?
Das Minus im Bericht an den Aufsichtsrat erklärt Mueller mit zwei Belastungen, die gerade alle Häuser betreffen, und gibt Beispiele. Infolge des Ukrainekriegs seien erstens die Sachkosten überdurchschnittlich stark gestiegen – von 2021 auf 2022 um 2,3 Millionen Euro in Datteln. Von 2023 auf 2024 rechnet sein Haus mit weiteren 1,5 Millionen Euro.
„Jeder Dienstleister hat seine Preise angezogen, das erlebt ja jeder im Privatleben genauso“, sagt der Klinikchef, der auch Landesvorsitzender des Verbandes der Krankenhausdirektoren Deutschlands ist. Die externe Wäscherei etwa verlange heute 1,2 Millionen Euro und damit 400.000 Euro mehr als 2021 – für die gleiche Leistung.
Wirtschaftlich problematischer seien zweitens aber die Tarifsteigerungen, die auch bei gemeinnützigen Trägern in Anlehnung an Tarifverträge im öffentlichen Dienst umgesetzt werden. 2023 haben die Beschäftigten der Caritas-Kliniken die ersten 1500 Euro Inflationsausgleich bekommen, 2024 folgt der zweite Teil. Im Frühjahr steigen zudem Löhne und Zulagen.
Klinikchef aus NRW: Die Pandemie brachte den Kliniken nicht drei fette Jahre
Weil Krankenkassen bei Kliniken bislang nur das Lohn-Plus bei Pflegekräften bezahlen – man spricht von „Pflege am Bett“ – und Verwaltung, Ärzte, OP oder Labore ausgenommen sind, bleibt allein das St.- Vincenz-Krankenhaus bei aktuell 64 Millionen Euro Personalkosten auf 4,6 Millionen Euro Mehrkosten sitzen. Eingerechnet sind um 27 Prozent gestiegene Kosten für Honorarkräfte und Leiharbeiter. Ihr Einsatz nimmt zu, weil aktuelle Krankheitswellen auch die Kliniken erfassen - bezahlt wird das von den Kassen nicht.
Personalabbau, um Kosten zu sparen, sei keine Option: „Die Patienten gehen deshalb ja nicht weg. Wir haben einen Versorgungsauftrag“, sagt Mueller.
Rücklagen gebe es kaum: Die Milliarden-Coronahilfen etwa hätten Einnahmen ersetzt und nicht ergänzt: „Wir hatten keine drei fetten Jahre und ein Jahr nach den letzten Coronahilfen hat kein Krankenhaus noch Geld daraus auf der hohen Kante.“
Das fordern die Kliniken in ihrer Finanznot: 690 Millionen Euro für NRW
Ihre Preise einfach so anheben oder neue Abteilungen eröffnen, kann eine Klinik auch nicht. Welche Leistungen sie anbietet, wird zwischen den Kassen, der Klinik und abschließend dem Land festgelegt. Die komplizierte Finanzierung der laufenden Betriebskosten ist zudem stark reglementiert. Den Rahmen gibt der Bund vor, die Kosten tragen die Krankenkassen.
Vereinfacht gesagt wird nun gefordert, dass der Bund die gesetzlichen Rahmenbedingungen ändert. Er soll ermöglichen, dass 2024 mehr Geld in die Kliniken pro behandeltem Fall fließen kann. Stimmt der Bund zu, würde das den Kliniken in NRW rund 690 Millionen Euro in die Kassen spülen, um ihre Verluste aus 2022 und 2023 zu decken.
Auch künftig soll sich die Finanzierung stärker an der tatsächlichen Inflation orientieren und nicht länger daran, was Kliniken an Kostensteigerungen erwarten. Viel versprechen sich die Kliniken davon, dass die Krankenkassen auch das Lohn-Plus von Pflegekräften im OP, der IT, Ärzten oder Laborkräften übernehmen sollen. Möglich wäre all das etwa durch höhere Kassenbeiträge. NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) sprach unlängst von 0,2 Prozentpunkten.
Wolfgang Mueller hat ausgerechnet, dass sein Krankenhaus mit diesen Maßnahmen wieder im Plus wäre. Dass die Forderung in Zeiten einer Haushaltssperre und eh schon starken Belastung der Menschen im Land alles andere als opportun ist, sieht er nicht: „Lauterbach ist hier in der Pflicht. Es kann nicht sein, dass man es dem Zufall von Insolvenzen überlässt, welche Kliniken erhalten bleiben.“ Auch Bundesgesundheitsminister plane mit seiner aktuellen Klinikreform ja anderes.