Düsseldorf. Buddywirtschaft statt Bestenauslese? Im Streit um das OVG-Präsidentenamt griff Minister Limbach wohl doch in das Kandidatenrennen ein.

Justizminister Benjamin Limbach (Grüne) soll politisch deutlich stärker in das umstrittene Besetzungsverfahren für das Präsidentenamt beim nordrhein-westfälischen Oberverwaltungsgericht (OVG) eingegriffen haben als bislang bekannt. Wie unserer Redaktion aus mehreren Quellen bestätigt wurde, hat der Minister im Herbst 2022 offenbar in persönlichen Gesprächen versucht, zwei aussichtsreiche Bewerber zum Rückzug zu drängen.

Damit wäre der Weg an die OVG-Spitze von vornherein frei gewesen für eine Abteilungsleiterin aus dem Innenministerium, die als Limbachs Favoritin gilt. Sie bekam am Ende auch den Zuschlag. Der Fall ist Gegenstand von zwei Konkurrentenstreitverfahren, die noch nicht rechtskräftig sind. Die Verwaltungsgerichte in Münster und Düsseldorf hatten die Besetzung in erster Instanz gestoppt.

Konkret soll den neuen Erkenntnissen zufolge Limbach im September 2022 einen Abteilungsleiter seines Ministeriums, der OVG-Präsident werden will, gebeten haben, seine Bewerbung nicht weiterzuverfolgen. Der Spitzenbeamte soll irritiert reagiert und umgehend einen Anwalt eingeschaltet haben. Anfang November 2022 traf der Grünen-Politiker zudem einen ebenfalls an dem Posten interessierten Bundesrichter und eröffnete ihm, man habe „eine Bessere“ und er solle zurückziehen.

Hatte der NRW-Justizminister eine Favoritin, bevor überhaupt die Beurteilung vorlag?

Zum Zeitpunkt dieser Gespräche lag jedoch noch gar keine Beurteilung der vermeintlichen Favoritin aus dem Innenministerium vor. Zudem legte Limbachs Personalabteilung, die für den Richter-Besetzungsvorschlag zuständig ist, erst Monate später die offizielle vergleichende Eignungsrangliste der Bewerber fest. Hat sich Limbach also doch frühzeitig auf eine Kandidatin festgelegt? Ist der Besetzungsvorschlag für eines der wichtigsten Richterämter in NRW gar nicht objektiv in der Fachabteilung erarbeitet worden? Wurde womöglich sogar nachträglich passend gemacht, was nicht passte?

Das Justizministerium räumt die Gespräche auf Anfrage unserer Redaktion ein. Limbach habe den Abteilungsleiter gebeten, seine „sehr erfolgreiche Arbeit“ im Ministerium fortzusetzen, erklärte eine Ministeriumssprecherin. Der Mann habe „sich in diesem Amt aufgrund seiner exzellenten Kenntnisse und Vernetzungen geradezu unentbehrlich gemacht“. Den Bundesrichter wiederum habe Limbach „gebeten, vor dem Hintergrund der gesamten Bewerberlage zu prüfen, ob er seine Bewerbung aufrechterhält“.

Im NRW-Landtag war noch von einem ergebnisoffenen Verfahren die Rede

Damit steht nicht weniger als der Verdacht im Raum, dass Limbach gegenüber dem Rechtsausschuss des Landtags nicht die Wahrheit gesagt hat. In der Sitzung vom 5. Oktober hatte der Minister jeden Verdacht einer politischen Einflussnahme zurückgewiesen und auf ein ergebnisoffenes Verfahren verwiesen: „Maßstab für meine Entscheidung in diesen Besetzungsfragen ist allein die Bestenauslese nach Artikel 33, Absatz 2 Grundgesetz.“ Die Besetzung des OVG-Präsidentenamtes zeige wunderbar, „indem die Abteilung unbeeinflusst vom Minister votiert“, welchen rechtsstaatlichen Regeln folgend man so eine Entscheidung fälle.

Der ungewöhnliche Fall beschäftigt seit Monaten die Justizszene in NRW. Limbach hatte einen Tag nach seinem Amtsantritt Ende Juni 2022 das Besetzungsverfahren für das schon länger vakante OVG-Präsidentenamt neu gestartet. Dies soll notwendig gewesen sein, da Amtsvorgänger Peter Biesenbach (CDU) Formalien missachtet habe. Die bisherige Darstellung geht so: Mitte Juli 2022 eröffnete dem neuen Minister bei einem Abendessen ebenjene Abteilungsleiterin aus dem Innenministerium, die Limbach aus gemeinsamen Richtertagen kennt und duzt und die einst mit seiner Frau zeitgleich das Rechtsreferendariat am Landgericht Bonn absolviert hatte, dass sie jetzt – wo Biesenbach weg ist – gerne Präsidentin des OVG werden wolle.

Limbach bestreitet "Näheverhältnis" zu seiner Favoritin

Limbach bestreitet ein „Näheverhältnis“ und will seine Personalabteilung lediglich um Prüfung gebeten habe, ob die Bewerbung in das ja eigentlich von Biesenbach abgeschlossene Bewerbungsverfahren noch einbezogen werden könne. Er habe keine Weisung erteilt, die Frau „in irgendeiner Weise in diesem Prozess zu bevorzugen“, betonte er im Rechtsausschuss. Limbachs Personalchef beteuerte derweil vor den Abgeordneten, es habe nie „zu irgendeinem Zeitpunkt irgendeine inhaltliche Vorgabe gegeben“.

Die Landtagsopposition vermutet schon länger, dass Schwarz-Grün gezielt eine bestimmte Kandidatin an die bedeutsame OVG-Spitze hieven wollte, obwohl diese in einem höchstrichterlichen Amt über viele Jahre gar nicht tätig war und noch nie einen Senat geleitet hat. Bei solchen Richterbesetzungen vergleicht das Justizministerium zunächst dienstliche Beurteilungen und erstellt dann ein bestimmtes Anforderungsprofil. Beim OVG-Präsidentenposten konnte sich Limbachs „Duz-Freundin“, wie die Opposition sie nennt, nur gegen den Bundesrichter und den ranghohen Justizbeamten durchsetzen, weil Rechtsprechungsaufgaben geringer gewichtet wurden als Verwaltungsaufgaben.

Zwei Verwaltungsgerichte haben die Beurteilungspraxis bereits als Formfehler beanstandet, Münster warf Limbach sogar eine „manipulative“ Verfahrensgestaltung vor. Das letzte Wort hat in den Konkurrentenstreitverfahren nun das OVG selbst. Ein Urteil wird bis Jahresende erwartet. Der Verdacht, als Minister persönlich in eine Richterbesetzung eingriffen zu haben, wiegt für Limbach politisch wohl deutlich schwerer.