Hürth. Beim Landesparteitag der NRW-CDU zeigen die möglichen K-Fragen-Rivalen nur leise Systemkonkurrenz. Wüst wird von der Partei gestärkt.
Der Einstieg in die Tagesordnung des Landesparteitags der NRW-CDU in Hürth ist noch gar nicht geschafft, da spricht Friedrich Merz am Ende seiner als „Grußwort“ getarnten Grundsatzrede bereits das Unaussprechliche des Tages an.
„Wir sind ja im Juni eine kleine Kurve gefahren“, sagt der Bundesparteichef und blickt zu Hendrik Wüst hinab. Der Ministerpräsident und nordrhein-westfälische Landesvorsitzende sitzt in der ersten Reihe des „Euronova-Campus“ und lauscht gebannt. Versöhnlich löst Merz sofort die Spannung: „Das haben wir besprochen, das Thema ist erledigt.“
Die „kleine Kurve“ des Sommers war nicht weniger als Wüsts Anschlag auf die Autorität des Parteichefs und „geborenen“ Kanzlerkandidaten für die nächste Bundestagswahl 2025. Wüst hatte sich damals in einem Gastbeitrag für die „FAZ“ vom allzu konservativen Kurs distanziert und stattdessen den „Herzschlag der Mitte“ eingefordert. Zudem spielte er einem Interview aufreizend mit eigenen Kanzlerambitionen und sagte lapidar, er sei „aktuell“ in Düsseldorf gebunden. Merz hat sich furchtbar darüber geärgert und es vor der Öffentlichkeit nicht verborgen.
Merz richtet "ein offenes Wort an die Grünen"
Alles vergeben und vergessen. Man arbeite „eng, freundschaftlich und ohne jeden Widerspruch zusammen“, betont Merz in Hürth. Eher unfreiwillig lässt sich dennoch eine Art Systemkonkurrenz beobachten. Merz hält eine kantige Parteitagsrede, in der er sich an der Ampel-Bundesregierung im Allgemeinen und den Grünen im Besonderen abarbeitet. Dummerweise koaliert Wüst mit jenen Grünen, deren Landeschef Tim Achtermeyer hat unter den Ehrengästen im Saal Patz genommen. Merz stört das nicht. „Ein offenes Wort an die Grünen“, schnarrt er: „Sie müssen in der Einwanderungspolitik in die Bundesrepublik Deutschland Ihren Kurs ändern.“
Die Union werde im Bundestag auf „Deutschlandpakt“-Avancen von Kanzler Olaf Scholz zur Flüchtlingsbegrenzung nicht ohne Weiteres eingehen: „Wir werden nur zustimmen, wenn es eine einigermaßen sichere Gewähr dafür gibt, dass im nächsten Jahr die Zahlen deutlich nach unten gegangen sind.“ Dass Merz gleich bei der SPD in einer Großen Krisen-Koalition unterschlüpfen könnte, dementiert er eher halbherzig: „Wir sprechen nicht über irgendwelche Koalitionen.“
Habeck als "Klimaminister, im Nebenberuf Wirtschaftsminister" verhöhnt.
Klar wird aber, dass er die Grünen weiterhin als „Hauptgegner“ in der Bundesregierung sieht und sich um Wüsts schwarz-grüne Avantgarde eher weniger schert. Robert Habeck nennt er „Klimaminister, im Nebenberuf Wirtschaftsminister“. Eindringlich warnt Merz: „Wenn die Bundesregierung weiter macht mit ihrer Klimapolitik, mit ihrer Energiepolitik, mit ihrer Wirtschaftspolitik, dann stehen wir in diesem Land vor den größten Wohlstandsverlusten, die wir in den letzten Jahrzehnten hatten.“
Dieser Ton hat in der NRW-CDU inzwischen Seltenheitswert, aber er hat zumindest hörbar weiterhin einen Resonanzboden in der Landespartei. Merz holt sich jedenfalls den Saal mit jeder Redeminute ein wenig mehr. Ohnehin wirkt im Vergleich zum Sommer seines Missvergnügens deutlich stabilisiert. Man habe eine „gute Bilanz“, liege in Umfragen erstmals wieder über 30 Prozent und könne auf vier gewonnene Landtagswahlen zurückblicken, ruft er. Das schwierige Jahr 2024 mit Wahlen in Europa und drei ostdeutschen Bundesländern ist erst einmal ziemlich weit weg. Die Ministerpräsidenten-Konferenz, in der Wüst den Ton angibt, nennt Merz „informelle Ebene“. Man merkt: Hier spricht der Boss.
Landesparteitag in Hürth mit großer Israel-Solidarität
Wüst wäre aber nicht Wüst, wenn er nicht diszipliniert bei seinem Stil bleiben würde. Er unterlässt in Hürth alles Offensichtliche, was die Kanzlerkandidaten-Debatte befeuern könnten. Höflich holt er immer wieder Merz aufs Foto. Eher unterschwellig vermittelt sich dennoch, dass Wüst die CDU weniger konfrontativ positioniert, mehr mittig und anschlussfähiger halten will als der Parteivorsitzende.
Es dauert mehr als eine halbe Stunde, bis Wüst in seiner knapp 50-minütigen Parteitagsrede erstmals das Thema erwähnt, das er später als das „zentrale des Herbstes“ bezeichnen wird: Migration. Er lobt Sozialminister Karl-Josef Laumann, der vor einigen Wochen „glasklar, mit Empathie, mit dem Herzschlag der Mitte“ über Flüchtlinge gesprochen habe. Wüst redet von „sogenannter Flüchtlingskrise“ und empfiehlt, Kinder ohne Ansehen der Herkunft ihrer Eltern oder der Hautfarbe einfach anzunehmen: „Das sind alles unserer Kinder.“ Man solle stolz darauf sein, Humanität zu zeigen wie „kein anderes Land auf der Welt“. Die AfD nennt Wüst erneut „Nazi-Partei“. Den Grünen versichert er sicherheitshalber: „Ihr seid immer noch die Grünen und wir sind immer noch die Schwatten.“ Ansonsten liefert Wüst allerlei Formeln, die kundige Beobachter der Landespolitik schon mitsprechen können. Nichts Nachrichtentaugliches. Das Gemurmel im Saal wächst proportional zur Länge der Rede.
Am Ende steht trotzdem die Wiederwahl als CDU-Landeschef mit starken 96,7 Prozent. Nur 2021 vor der Landtagswahl war es noch leicht besser. Auch Wüsts neuer Generalsekretär Paul Ziemiak, der mit Headset über die Bühne tänzelt wie bei einer Motivationsveranstaltung für Vertriebler, erhält sehr passable 87,4 Prozent.
Die Partei ist eben zufrieden, der harmonische Grundton des Parteitags ohnehin von Beginn an mit einer einstündigen Solidaritätsadresse an Israel gesetzt. „Nie wieder ist jetzt – ohne Wenn und Aber“, sagt Wüst staatstragend und bereitet dem israelischen Botschafter Ron Prosor die Bühne. Der hält eine flammende Rede gegen jede Form von Täter-Opfer-Umkehr im Nahost-Konflikt. Langsam drehe die Lage „in Richtung humanitäre Lage in Gaza“, dabei werde von Israel-Kritikern die Verantwortung der Hamas-Terroristen relativiert: Das Blut auf den Leichen sei noch nicht getrocknet und „sie haben die Frechheit, uns Ratschläge zu erteilen“, klagt Prosor. Wüst räumt anschließend ein, dass Solidarität mit Israel schwerer werde, stellt aber klar: „Wir werden trotzdem stehen.“