Essen. Klinikärztinnen und Klinikärzte in NRW arbeiten immer kürzer. Warum sie in die Teilzeit fliehen und was den Krankenhäusern noch droht.

Die von Pflege-Fachkräftemangel gebeutelten Kliniken in NRW stehen zunehmend vor einem neuen Problem: Ein immer größerer Anteil der rund 47.000 Ärztinnen und Ärzte in den 333 Krankenhäusern in NRW hat seine Arbeitszeit reduziert.

Über 28 Prozent und damit mehr als jeder vierte Beschäftigte in diesem Bereich arbeitete 2022 in Teilzeit - das ist ein Plus von 50 Prozent innerhalb von nur zehn Jahren. Damit wird nach Ansicht von Fachleuten der Ärztemangel weiter verstärkt. 2012 lag die Teilzeitquote noch bei rund 19 Prozent. Das geht aus den neusten Zahlen des Landesstatistikamts IT NRW hervor, die am Donnerstagmorgen veröffentlicht wurden und vorab dieser Redaktion vorlagen.

Überstunden, Durcharbeiten: „Die Ärzte fliehen in Teilzeit“

„Das ist am Ende ein Ausdruck der Erschöpfung“, urteilt Hans-Albert Gehle, der als Präsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe bekannt dafür ist, ein offenes Wort zu sprechen. In den Kliniken erlebten Ärzte eine zunehmende Arbeitsverdichtung. Gehle berichtet von Überstunden und Durcharbeiten ohne Pausen. Die Corona-Pandemie habe die Situation verstärkt. „Die Kollegen wissen, wenn sie Vollzeit arbeiten, dann gelten oftmals auch die Grenzen des Arbeitszeitgesetzes nicht“, sagt Gehle. „Die Ärzte fliehen in die Teilzeit. Und ich rechne damit, dass es noch mehr werden.“

Teilzeitkräfte findet man traditionell eher in der Pflege. 2022 waren laut IT NRW mehr als die Hälfte der knapp 120.000 Pflegekräfte in den NRW-Kliniken in Teilzeit beschäftigt, ein kleines Plus von drei Prozentpunkten seit 2012. Grund ist der hohe Frauenanteil in dem Beruf. Zudem ist die Belastung in der Pflege über Jahre gestiegen, weil Personal abgebaut und Behandlungsfälle gesteigert worden sind.

Jüngere Ärzte-Generation in Kliniken setzt auf bessere „Work-Life-Balance“

Beim medizinischen Personal war die Teilzeitquote bislang deutlich geringer. Auffällig ist, dass sich der Trend nun dreht, obwohl sich der Anteil der Ärztinnen nur geringfügig verändert hat (von 44 auf knapp 46 Prozent). Stattdessen gehen vermehrt auch Ärzte in Teilzeit.

Dr. Hans-Albert Gehle ist Präsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe und fordert mehr Medizin-Studienplätze gegen den Ärztemangel.
Dr. Hans-Albert Gehle ist Präsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe und fordert mehr Medizin-Studienplätze gegen den Ärztemangel. © FUNKE Foto Services | Fabian Strauch

Ärztekammerpräsident Gehle hat neben der hohen Arbeitsdichte zwei weitere Erklärungen. Gesetzliche Änderungen führten dazu, dass wirtschaftlich angespannte Kliniken nicht in der Pflege sparen dürften. Deshalb werde beim medizinischen Personal abgespeckt, so seine Beobachtung. Drittens hielten mit der nächsten Generation nun junge Menschen Einzug in den Beruf, die mehr Wert auf Freizeit legten und schlicht weniger arbeiten wollten. „Auch bei Ärzten ist der Gedanke ‘Familie first’ größer geworden“, sagt Gehle.

Gegen Ärztemangel in Kliniken und Praxen: Mehr Studienplätze

Gehle rechnet damit, dass noch viel mehr Beschäftigte aus dem medizinischen Bereich in Teilzeit gehen werden und sieht zwei Stellschrauben. Der Arbeits- und Spardruck müsse runter. Hier hofft der Fachmann auf die Klinikreform. Zugleich brauche es aber auch mehr Studienplätze in der Medizin. „Gerade wenn jüngere Menschen nicht mehr in Vollzeit arbeiten wollen, brauchen wir mehr Köpfe für die gleiche Arbeit.“

Laut IT NRW ist die Anzahl der Krankenhäuser in NRW zwischen 2012 und 2022 von 385 auf 333 gesunken. Im gleichen Zeitraum wurde beim Personal insgesamt aber aufgestockt - beim ärztlichen Personal um 27,6 Prozent, beim Pflegepersonal um 20,5 Prozent. Insgesamt arbeitete 2022 knapp 292.600 Menschen in den Krankenhäusern.