Düsseldorf. Die Grünen-Landtagsfraktionschefinnen Verena Schäffer und Wibke Brems über Rechtsruck, Gendern und Wurstverbot. Was Bürgerräte sollen.

Sie führen seit nunmehr einem Jahr die Grünen-Landtagsfraktion, doch die allseits attestierte „Geräuschlosigkeit“ der schwarz-grünen Regierungszusammenarbeit in NRW kann für sie auch ein vergiftetes Kompliment sein. Verena Schäffer und Wibke Brems wollen als Co-Vorsitzende ihre Parteifarbe an der Seite von Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) sichtbar halten. Laut Umfragen gelingt das mäßig, der Problemberg wächst. Ein Treffen in bewegten Zeiten.

NRW als sozialer und kultureller Schmelztiegel der Republik galt lange als immun gegen Rechtspopulismus. Die jüngsten Umfragen sagen etwas anderes. Was läuft schief?

Schäffer: Es ist ein Irrglaube, dass der Rechtsextremismus ein ostdeutsches Phänomen wäre. Auch in Nordrhein-Westfalen gab es immer einen Resonanzboden für rechtspopulistische und menschenfeindliche Einstellungen, die nur jetzt von der AfD als Wähler abgerufen und in Umfragen sichtbar werden. Ich finde das erschreckend. „Wehret den Anfängen“ darf keine leere Floskel bleiben, zumal es sich aktuell so anfühlt, als wären wir längst schon darüber hinaus.

Krieg in Europa, Flüchtlinge, Energiepreise, Rezession – benennen die etablierten Parteien die Probleme nicht klar genug?

Brems: Probleme klar zu benennen und klug zu lösen, ist Kernbestandteil von Politik. Wir erleben jedoch eine schleichende Diskursverschiebung. Verunsicherung in der Gesellschaft, Veränderungsdruck und multiple Krisen dürfen keine Rechtfertigung sein, um rechten Narrativen zu folgen. Wenn zum Beispiel Unions-Geschäftsführer Thorsten Frei im Bund das individuelle Asylrecht in Frage stellt, obwohl er natürlich weiß, dass das ein Bruch mit dem Grundgesetz wäre und ohne jede Aussicht auf politische Mehrheit ist, dann halte ich das für gefährlich. Solche Debatten zahlen nur bei der AfD ein.

"Wohltuend anderer Ton" in der NRW-CDU

Machen Sie einen Unterschied zwischen der Union im Bund und Ihrem Koalitionspartner, der NRW-CDU?

Schäffer: Wir finden es wichtig, dass sich Hendrik Wüst und die nordrhein-westfälische CDU klar nach rechts abgrenzen. Da nehmen wir schon einen wohltuend anderen Ton in Düsseldorf wahr. Nach den Äußerungen von Friedrich Merz in seinem Sommerinterview zu kommunalen Kooperationen mit der AfD kam sehr klarer und schneller Widerspruch aus der NRW-CDU.

Müssen Sie sich als Grüne nicht stärker hinterfragen, weil sich offenbar viele Menschen von Ihnen in ihrer Lebensführung und in ihren Wertvorstellungen diskreditiert fühlen?

Brems: Es ist immer klug zu hinterfragen, ob das Veränderungstempo, die Umsetzung und die Kommunikation unserer Politik angemessen sind. Das machen wir auch permanent. Es ist aber doch offensichtlich, dass wir das Feindbild der AfD sind und mit dem Zerrbild der Verbotspartei Stimmung gemacht werden soll. Das wird so absurd, dass wir uns für ein Wurstverbot rechtfertigen sollen, das wir nie gefordert haben.

"Ich möchte eine Kommunikation, die alle Menschen in der Gesellschaft anspricht"

Aber die Gendersprache regt nicht nur Rechtspopulisten auf…

Schäffer: Das ist für mich keine politische Streitfrage. Ich möchte eine Kommunikation, die alle Menschen in der Gesellschaft anspricht, und spreche deshalb Frauen und Männer an. Ich frage mich bei denjenigen, die sich daran stören, ob sie vor der Gleichberechtigung von Frauen und Männern eigentlich Angst haben.

Werden die NRW-Grünen die Hand reichen zur Ausweitung der Liste sicherer Herkunftsstaaten, um Asylbewerber schneller abschieben zu können?

Brems: Die Debatte zielt an der eigentlichen Herausforderung vorbei. Ein Großteil der Geflüchteten, die in NRW Schutz suchen, kommt aus Syrien, Iran, Irak oder Afghanistan und hat somit eine gute Bleibeperspektive. Deshalb liegt unser Fokus darauf, ihnen Integration und den Zugang zum Arbeitsmarkt zu ermöglichen, denn wir brauchen die Arbeitskräfte. Auf Bundesebene muss es ein Gesamtkonzept geben, wie wir mit den Themen Migration und Flucht umgehen wollen.

Was können Sie auf Landesebene tun, um Menschen vor Diskriminierung zu schützen?

Schäffer: Wir werden zum Beispiel ein Antidiskriminierungsgesetz des Landes auf den Weg bringen. Damit stärken wir auch Menschen, die von rassistischen und menschenverachtenden Ressentiments in der Gesellschaft ganz real betroffen sind. Wir wollen Regelungslücken schließen, die das Bundesrecht lässt. Wer in Landeseinrichtungen wie Schulen Diskriminierung erfährt, soll sich besser wehren können. Ich erhoffe mir von diesem Gesetz außerdem eine Sensibilisierung und ein wichtiges Signal, dass wir die Rechte von Betroffenen ernst nehmen.

Bürgerräte sollen bald auch NRW-Landtag beraten

Sie wollen, dass 2027 erstmals bereits 16-Jährige den neuen Landtag wählen sollen. Warum?

Schäffer: Die Wehrhaftigkeit der Demokratie hängt von den Bürgerinnen und Bürgern ab, die mitmachen wollen und können. Deshalb ist es wichtig, dass zur nächsten Landtagswahl erstmals schon 16-Jährige das aktive Wahlrecht bekommen. Dafür streben wir eine Änderung der Landesverfassung an. Es ist eine Frage der Generationengerechtigkeit, dass junge Menschen früher mitsprechen dürfen. Sie sind diejenigen, die mit den Auswirkungen unserer Politik von heute länger leben werden.

Was versprechen Sie sich von neuen „Bürgerräten“, die in NRW künftig mitsprechen sollen?

Brems: Uns ist es wichtig, dass unterschiedliche Perspektiven stärker in die politischen Entscheidungsprozesse einbezogen werden. Deshalb werden wir zu zwei ausgewählten Themen erstmals Bürgerräte berufen, die den Landtag unterstützen sollen. Sie werden wie auf Bundesebene die Gesellschaft repräsentativ abbilden. Wir brauchen diese unmittelbare Rückmeldung auch von Menschen, deren Stimme in der repräsentativen Demokratie manchmal nicht genügend Gehör findet.

Cannabis-Legalisierung: So wird NRW sich verhalten

Wird Cannabis-Legalisierung in NRW eins zu eins umgesetzt, obwohl Gesundheitsminister Laumann erhebliche Bedenken hat?

Brems: Wir haben verabredet, dass wir die Gesetzesvorschläge des Bundes zur Cannabis-Legalisierung ergebnisoffen prüfen und bei Inkrafttreten umsetzen werden. Für uns sind eine kontrollierte Abgabe und klare Regeln des Jugendschutzes dabei zentral.