Düsseldorf. Die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter kritisiert Verletzungen der Menschenwürde in Gefängnissen und Forensiken, auch in NRW.

Eine Mini-Zelle ohne Tageslicht, Toilettengänge unter Kamerabeobachtung, Gefangene, die sich nackt ausziehen und Blicke auf ihren Intimbereich zulassen müssen – Der Jahresbericht der Nationalen Stelle zur Verhütung von Folter erlaubt Einblicke in die dunkelsten Facetten des „Freiheitsentzuges“ in Gefängnissen und Psychiatrien. Auch NRW steht in der Kritik.

Gibt es in Deutschland Folter?

Verglichen mit den Zuständen in vielen anderen Ländern weltweit kann man hierzulande nicht von Folter reden, aber die zuständige Nationale Stelle zur Verhütung von Folter hat im Jahr 2022 bei ihren Besuchen an 66 „Orten des Freiheitsentzuges“ zahlreiche „eklatante Verletzungen der Menschenwürde“ festgestellt. Sie werden auf mehr als 100 Seiten exemplarisch aufgelistet.

Laut Amnesty International stellt Folter kein akutes Problem in Deutschland dar.

Betrifft das auch NRW?

Es betrifft NRW und alle anderen Bundesländer. Dass es Probleme im Straf- und im Maßregelvollzug gibt, zum Beispiel überbelegte Forensische Kliniken und zum Teil marode Gefängnisse, ist bekannt. Die Justizvollzugsanstalt (JVA) Werl geriet vor wenigen Wochen in die Schlagzeilen, weil sich die etwa 120 Sicherungsverwahrten dort über die angeblich schlechte Unterbringung beschwerten. Gerade erzielte ein Sicherungsverwahrter einen Erfolg vor dem Landgericht Arnsberg: Der Schwerbehinderte war laut dem „Westfälischen Anzeiger“ für einen Arztbesuch außerhalb der JVA an den Füßen gefesselt worden, obwohl er sich nur mit einem Rollator fortbewegen könne.

Die Prüfer prangern in ihrem Bericht unter anderem einen Missstand in Werl an: Ein besonders gesicherter Haftraum dort sei inklusive Sanitärbereich nur 4,7 Quadratmeter klein. „Er befindet sich im Kellergeschoss und ist nicht mit einem Fenster ausgestattet. Dies ist umso schwerwiegender, da Gefangene und Sicherungsverwahrte, die in besonders gesicherten Hafträumen abgesondert werden, ausnahmslos 24 Stunden täglich eingeschlossen werden“, heißt es.

Diese Zellen sind für Menschen gedacht, die gegen sich selbst oder gegen andere Gewalt ausüben. Ein Sprecher der Landesjustizvollzugsdirektion erklärte auf Nachfrage, Gefangene würden nur noch dort untergebracht, wenn alle anderen Räume in der JVA Werl belegt oder die Unterbringung „nur in diesem Raum verantwortbar“ sei. Den Prüfern reicht das nicht: Niemand dürfe in diese Mini-Zelle gesteckt werden.

Welche Probleme gibt es noch in Gefängnissen?

In elf von 17 besuchten Gefängnissen kritisierten die Fachleute, dass Menschen in besonders gesicherten Hafträumen sogar dann mit Kameras überwacht würden, wenn sie zur Toilette gingen. Das sei ein „schwerer Eingriff in die Persönlichkeitsrechte“. Sie schlagen vor, Aufnahmen aus dem Toilettenbereich zu verpixeln. Dies lehnt das NRW-Justizministerium aber aus Sicherheitsgründen entschieden ab. Eine Überwachung des besonders gesicherten Haftraumes sei wichtig, um Leben und Gesundheit der Gefangenen zu schützen, erklärte die Landesjustizvollzugsdirektion auf Nachfrage. In „normalen“ Zellen solle der Sanitärbereich hingegen verpixelt werden.

In fast allen besuchten Gefängnissen erfuhren die Prüfer, dass sich die Gefangenen bei der Neuaufnahme und nach dem Empfang von Besuchern nackt ausziehen und Blicke auf den Intimbereich ertragen müssten. Dies sei aber laut Bundesverfassungsgericht nur im Einzelfall zulässig. Die Nationale Stelle rät zu einer „schonenden“ Entkleidung in zwei Phasen. Dabei bleibt jeweils eine Körperhälfte bekleidet. Das NRW-Justizministerium lehnt auch dies „aus Sicherheitsgründen“ ab. Laut der Landesjustizvollzugsdirektion ist das Schamgefühl der Gefangenen zwar möglichst zu schonen. Eine Anstaltsleitung dürfe aber allgemein anordnen, dass sich Gefangene unter anderem bei der Aufnahme ausziehen müssen, wenn „im Einzelfall“ auch mal auf das Entkleiden verzichtet werde.

In einem bayerischen Gefängnis fiel den Beobachtern ein „Glaskäfig“ auf: Die Gefangenen befänden sich hinter einer Glasfassade und müssten, um sich verständigen zu können, auf dem Boden liegen oder knien und durch eine „Kostklappe“ sprechen, durch die ihnen das Essen gereicht wird. Diese Situation sei „erniedrigend“.

Was fiel im Maßregelvollzug auf?

Hier geht es um die chronische Überbelegung der meisten dieser Kliniken sowie um das Thema Absonderungen. Es komme in Einzelfällen vor, dass Patientinnen und Patienten monate- oder sogar jahrelang isoliert würden.

Das NRW-Gesundheitsministerium sagte auf Nachfrage, dass es das Problem der Überbelegung gut kenne. "Hintergrund sind die seit vielen Jahren steigenden gerichtlichen Unterbringungsanordnungen und der damit verbundene steigende Bedarf an Plätzen in der forensischen Psychiatrie", erklärte ein Sprecher des Ministeriums auf Nachfrage.

Derzeit gebe es in NRW 17 forensische Klinikstandorte mit insgesamt 2.362 stationären Planbetten. Zum 1. Januar 2023 seien jedoch insgesamt 2.581 Personen stationär in diesen Kliniken untergebracht gewesen. "Dies erfolgte zum Teil durch Aufstellung zusätzlicher Betten und Umfunktionierung von Räumen", so das Ministerium. Insgesamt ergebe sich in NRW eine durchschnittliche Überbelegungsquote in den forensisch spezialisierten Kliniken von rund 9,3 Prozent. Von den 17 Kliniken hätten im Januar zwölf dem Gesundheitsministerium eine Überbelegung gemeldet.

Info: Die Nationale Stelle gegen Folter

Die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter ist Deutschlands Einrichtung für die Wahrung menschenwürdiger Unterbringung und Behandlung im Freiheitsentzug. Sie ist befugt, auch unangemeldet alle Orte zu besuchen, an denen Frauen und Männern die Freiheit entzogen ist oder entzogen werden kann, zum Beispiel Gefängnisse und Maßregelvollzugs-Kliniken. Sie soll dort Zugang zu allen Informationen erhalten, und sie darf vertrauliche Gespräche führen.