Washington. Es ist jetzt fast ein Jahr, als eine Woge der Begeisterung Barack Obama in Weiße Haus spülte. Heute ist davon wenig übrig geblieben. Obama kommt bei vielen Vorhaben nicht voran.

Mary Bennett ist Demokratin und hat die Hoffnung noch nicht aufgegeben. Ohne ein Wunder droht ihrem Kandidaten Creigh Deeds eine böse Schlappe bei den Gouverneurswahlen in Virginia am morgigen Dienstag. „Es ist viel schwerer die Leute zu motivieren”, vergleicht die Aktivistin ihre Erfahrungen mit der Begeisterung, die Barack Obama vor nicht einmal einem Jahr als ersten Schwarzen ins Weiße Haus trug. Als Präsidentschaftskandidat reiste er elf Mal nach Virginia, fügte Hillary Clinton eine schmerzhafte Niederlage zu und gewann den Bundesstaat als erster Demokrat seit 1964. Zehntausende harrten damals Stunden in der Kälte aus, um den „Yes-We-Can”-Kandidaten auf der nächtlichen Schlusskundgebung des Wahlkampfs bei Manassas zu erleben. Von der damaligen Begeisterung ist ein Jahr danach wenig geblieben.

„Wir stehen einen Tag davon entfernt, Wandel nach Amerika zu bringen”, versprach Obama einen Neuanfang. Ein Jahr später kann der Hoffnungskandidat, der als 44-ster Präsident ins Weiße Haus zog, eine Fülle begonnener Projekte, aber nur wenige Ergebnisse vorweisen. „Sein größter Erfolg war das 800-Milliarden Konjunktur-Programm”, meint der Politologe Larry Sabato von der University of Virginia. „Ansonsten hat er wenig Weltbewegendes vorzuweisen.”

Die schwierige Umsetzung blumiger Wahlkampfrhetorik

Was nicht heißt, dass Obama nicht versucht seine Versprechen einzulösen. Und zwar inmitten einer Krise, die das Finanz-System an den Rand des Zusammenbruchs führte. Dass es dazu nicht kam und die Wirtschaft im letzten Quartal sogar wieder um 3,5 Prozent zulegen konnte, ist kein geringes Verdienst. Solange sich die Erholung nicht auf dem Arbeitsmarkt zeigt, erhält Obama nur wenig politischen Kredit dafür.

Das Gleiche gilt für die Fortschritte bei der Gesundheitsreform. Einem Jahrhundertprojekt, an dem seit Theodore Roosevelt alle Präsidenten gescheitert waren. Niemand schaffte es, die Einführung einer allgemeinen Krankenversicherung soweit voranzutreiben wie Obama. Doch beschlossen ist die Reform damit noch nicht.

"Wandel ist schwierig"

„Wandel ist schwierig”, räumte Obama kürzlich ein, der nun erlebt, wie sehr das politische System der USA einschneidende Veränderungen erschwert. Blumige Wahlkampfrhetorik lässt sich nur in kleinen Schritten in die Praxis umsetzen. Beispiel Guantanamo: Das Versprechen am Tag eins nach der Amtseinführung, den Schandfleck binnen Jahresfrist zu schließen, scheitert bisher an der Bereitschaft des Kongresses, die Häftlinge in US-Gefängnissen unterzubringen.

„Ich bin darüber enttäuscht”, meint Jean Borton (31), der sich im Stammlokal der „Drinking Liberally”-Demokraten mehr Mut wünscht. Das gelte auch für die Gleichbehandlung von Homosexuellen im Militär oder den Klimaschutz. „Wir brauchen Ergebnisse”, findet der Literaturwissenschaftler. „Dann kehrt auch die Begeisterung wieder zurück.” Dass viele seiner Freunde an diesem Dienstag zu Hause bleiben, habe jedoch weniger mit dem Präsidenten zu tun. „Deeds ist zu konservativ”, erklärt Borton.

„Die Ursachen sind komplex”, warnt Politologe Sabato vor übereilten Rückschlüssen. Was in Virginia mit Präsidenten zu tun habe, sei die „intensive Abneigung, die die republikanischen Basis gegenüber Obama empfindet”.

Diese polemisiert lautstark gegen Bankenrettung und Konjunkturprogramm oder organisiert „Tee-Parties”, um gegen höhere Steuern zu protestieren. „Ich sorge mich, dass Obama unser Land in den Sozialismus führt”, beschwert sich die Rentnerin Jeannes Vanderhoef. Der Soldatenfrau passt auch nicht, dass sich der Präsident mit seiner Afghanistan-Entscheidung Zeit lässt. Nun hofft sie, dass ein Sieg des Republikaners Bob McDonnells am Jahrestag der Wahl Obamas ein klares Zeichen setzt.

Nach dem Höhenflug wieder auf die Erde zurückgekehrt

Die hoch motivierten Konservativen profitieren vor allem von dem erwarteten Einbruch bei der Wahlbeteiligung. Umfragen deuten auf 1,2 Millionen oder ein Drittel weniger Wähler hin als 2008. „Das sind die Wähler, die Obama 2008 zum Sieg verholfen haben”, analysiert Politologe Sabato. Darunter ein überproportionaler Anteil an Jung- und Erstwählern, Minderheiten und neuen Einwandern. „Deeds spricht diese Gruppen nicht an.”

US-Präsident Obama erhält in Virgina in denselben Umfragen, die Deeds ein Desaster vorhersagen, Zustimmungswerte von 57 Prozent. National liegt er im Schnitt bei 51 Prozent. Damit hält er seine Wähler bei der Stange, die ihm mit ziemlich genau demselben Stimmenanteil ins Weiße Haus verholfen hatten. „Das war ein völlig normales erstes Jahr im Präsidentenamt”, vergleicht Sabato Obamas Bilanz mit der anderer Präsidenten.

Sicher ist am Jahrestag nur soviel. Nach seinem Höhenflug während des Honeymoons der ersten 100 Tage kehrt „Super-Obama” auf die Erde zurück. Dem „Yes we Can” des Wahlkampfs fügen seine Anhänger nun ein „aber nicht sofort” hinzu.

Oder wie Mary Bennett ungeduldigen Wählern am Telefon sagt: „Veränderungen brauchen Zeit.”