Berlin. Entgleiste Güterzüge, Brandanschläge, Flugbehinderungen und Cyberattacken – Behörden sehen Gefahren für EU durch Russlands Botschaften.

Wieder brennt es in der Munitionsfabrik in der spanischen Region Murcia, südlich von Valencia. Es soll eine Explosion gegeben haben. Dort stellt eine Tochterfirma des deutschen Rüstungsunternehmens Rheinmetall Patronen und Geschosse her – und liefert diese auch an die Ukraine. Mehrere Arbeiter sind verletzt. Die Ursache des Vorfalls ist noch unklar. Wahrscheinlich ist ein Unfall. Möglich ist aber auch: Sabotage. Der Konzernchef von Rheinmetall wird inzwischen in Deutschland durch Personenschützer bewacht, nachdem es Hinweise auf ein Attentat auf ihn gegeben hatte.

Seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs sind europäische Sicherheitsbehörden besorgt. Geheimdienstler und Staatsschützer erkennen wachsende Operationen mutmaßlich russischer staatlicher Stellen in europäischen Ländern, um durch Spionage, vor allem aber durch Sabotage die Infrastruktur zu stören – oder sogar zu zerstören.

Schon 2022 hatte die Bundesregierung 40 Diplomaten der russischen Botschaft ausgewiesen

Im Fokus stehen dabei: Russlands Botschaften und ihre Diplomaten. Nachrichtendiensten gelten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der russischen Vertretungen als zentrale Akteure bei Sabotageaktivitäten. Schon im April 2022 hatte die Bundesregierung 40 Diplomaten der russischen Botschaft ausgewiesen. Sie sollten dem russischen Nachrichtendienst angehören.

Mittlerweile ist das Personal an den Vertretungen Russlands in Deutschland ausgedünnt, etliche Mitarbeiter mussten das Land verlassen. Auch Moskau wies deutsche Diplomaten aus. Und dennoch warnen hochrangige Regierungsmitglieder in europäischen Staaten weiterhin vor Sabotageoperationen in der EU, die mutmaßlich russische Diplomaten steuern.

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    Tschechiens Außenminister Jan Lipavsky forderte nun im Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) erneut, die Reisefreiheit russischer Diplomaten in der EU weiter einzuschränken. Die Zahl der Diplomaten, ihrer Familienangehörigen, des Dienstpersonals und ihrer Familienangehörigen belaufe sich im EU-Schengenraum derzeit auf mindestens 2000 Personen. Vielleicht liegt die Zahl sogar noch höher. „Diese Personen bilden ein beispielloses Netzwerk, das von den russischen Geheimdiensten für Sabotageakte in der EU genutzt wird“, sagte Lipavsky. „Das ist absolut inakzeptabel.“ Natürlich sei es legitim, dass Russland diplomatische Vertretungen in EU-Ländern unterhalte. „Aber wir sind nicht verpflichtet, den dort akkreditierten Diplomaten die Privilegien des Schengen-Raums zu gewähren.“

    Der Vorwurf ist nicht neu. Auch andere osteuropäische Staaten fordern seit vielen Monaten, die Reisefreiheit für russische Diplomaten zu beschneiden, um so auch den Operationsraum möglicher Agenten zu verkleinern. In vertraulichen Runden der Nato-Verteidigungsminister im Brüsseler Hauptquartier wurde dieser Schritt ebenfalls schon diskutiert – unter dem Eindruck einer „beispiellosen Eskalation schwerer Fälle“, wie es unter Nato-Beamten heißt. „Es ist eine wachsende Bedrohung für viele Staaten in Europa.“ Doch eine Mehrheit der EU-Staaten hat bislang Bedenken – auch in der Erwartung, dass Moskau im Gegenzug den Bewegungsspielraum westlicher Diplomaten beschränken könnte. Eine neue Runde der Debatte könnte jetzt bei der Vorbereitung eines 16. Sanktionspakets bevorstehen, das die EU-Staaten Mitte Februar beschließen werden wollen

    Von Prag aus agierte das mutmaßliche russische Propaganda-Netzwerk „Voice of Europe“

    Tschechien ist im Visier russischer Geheimdienstaktivitäten, registriert schon länger eine Serie von gefährlichen Hacker-Angriffen auf Signalsysteme und Netze der Eisenbahn. Im vergangenen Jahr nahm die Polizei einen Mann fest, der versucht hatte, ein Busdepot in Brand zu stecken. Von Prag aus agierte auch das mutmaßliche russische Propaganda-Netzwerk „Voice of Europe“, bei dem deutsche Behörden Verbindungen zur AfD sehen.

    Der Osten Europas, vor allem die Ostseeanrainer, spürt Russlands Einflussnahme als Erstes – und am härtesten. In Warschau vermuten die Behörden prorussische Agenten hinter einem Brandanschlag auf ein Einkaufszentrum. Ebenfalls in Polen nahm die Polizei einen Mann fest, der im Kreml-Auftrag den Flughafen Rzeszow, ein wichtiges Drehkreuz der Militärhilfe für die Ukraine, ausspioniert haben soll. In Litauen gab es einen Angriff auf eine Ikea-Filiale. Gerade erst vor ein paar Tagen wurde erneut ein Datenkabel am Boden der Ostsee zerstört, das Lettland mit Schweden verbindet.

    Die russische Angriffswelle ziehe von Ost nach West, sagen deutsche Nachrichtendienstler. Im Baltikum testen Moskaus Agenten, was sie dann in Deutschland oder Großbritannien anwenden. Dass nun auch Spanien Ziel von russischer Sabotage sein könnte, zeigt Fachleuten, wie stark Russlands Einflussnahme in Europa angewachsen ist.

    Doch was auch gilt: Viele Aktionen russischer Stellen scheitern, oder haben wenig Auswirkungen. Und für viele Angriffe auf die Infrastruktur haben die EU-Sicherheitsbehörden keine eindeutigen Belege, dass russische Stellen dahinterstecken. Beweise lassen sich oftmals schwer finden, Täter werden selten gefasst, sie schweigen oder verwischen Spuren. Und mutmaßliche Sabotageakte entpuppen sich als Unfälle, so etwa beim Absturz einer Postmaschine in Litauen im vergangenen Jahr.

    Putins „Wegwerf-Agenten“ – Russland fährt eine neue Strategie

    Durch die Ausweisung von Diplomaten sind russische Operationen in der EU geschwächt. Doch Moskau reagiert. Deutsche Sicherheitsbehörden erkennen, dass russische Geheimdienste zunehmend auf sogenannte „Low-Level-Agents“ setzen – es sind prorussische Akteure, die von Nachrichtendiensten angeworben werden. Sie sollen für Moskau Sabotageakte durchführen, etwa mit einer Drohne eine Bundeswehr-Kaserne ausspionieren oder Pakete mit Brandsätzen bei einer Postfiliale abgeben. Es sind kleine Aktionen, meist ungelernte Mitarbeiter der Dienste, keine Profi-Agenten. Und doch können die Auswirkungen der Sabotage verheerende Folgen nach sich ziehen.

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