Berlin. Die wohl teils fingierten Vorwürfe gegen Gelbhaar erschüttern die Partei. Ein Politiker fühlt sich an sein eigenes Schicksal erinnert.
Der Fall Stefan Gelbhaar hat zum ersten Austritt eines prominenten Grünen-Mitglieds geführt. Özcan Mutlu, lange Jahre als bildungspolitischer Sprecher im Berliner Abgeordnetenhaus und zwischen 2014 und 2017 im Bundestag, kündigte in einem offenen Brief an den Landesvorstand an, die Partei verlassen zu wollen. Mutlu war seit 1990 Mitglied der Partei und einer der ersten prominenten Berliner Grünen-Politiker mit Migrationsgeschichte.
Als Grund für seinen Schritt gibt Mutlu den Umgang der Partei mit dem Pankower Bundestagsabgeordneten Stefan Gelbhaar an. „Intrigen, Machtspiele und eine eklatante Fehlerkultur haben Bündnis 90/Die Grünen zu einer Organisation gemacht, die meine Überzeugungen und Werte nicht länger repräsentiert“, schreibt Mutlu, der sich derzeit als ehrenamtlicher Präsident der Behinderten- und Reha-Sportverbandes engagiert.
Özcan Mutlu: „Toxische Machtstrukturen bei den Berliner Grünen“
„Die aktuellen Geschehnisse rund um die Vorwürfe gegen Stefan sind ein erschreckendes Beispiel für die toxischen Machtstrukturen bei den Berliner Grünen“, so der als Unternehmensberater tätige Diplom-Ingenieur. Stefan Gelbhaar sei „aufgrund einer haltlosen und offensichtlich falschen Anschuldigung sexueller Belästigung nicht nur öffentlich diffamiert, sondern politisch vernichtet“ worden.
„Dieses perfide Vorgehen zeigt nicht nur menschliche Abgründe, sondern legt ein tiefgreifendes strukturelles Problem offen: Für manche Funktionäre zählt der Machterhalt und die eigene Karriere offenbar mehr als Integrität, Gerechtigkeit oder Anstand“, so Mutlu, der zwischen 1999 und 2013 im Berliner Abgeordnetenhaus saß und zuvor sieben Jahre in der Bezirksverordnetenversammlung Kreuzberg gearbeitet hatte.
Gelbhaar wurde nach Vorwürfen wegen Übergriffigkeit gegen Frauen als Direktkandidat für den Bundestag im Wahlkreis Pankow ausgewechselt, zuvor hatte er davon Abstand genommen, sich für einen sicheren Platz auf der Bundestagsliste zu bewerben. Inzwischen scheint klar, dass ein Teil der Anschuldigungen von der grünen Bezirkspolitikerin Shirin Kreße erfunden und mit falschen eidesstattlichen Versicherungen an den RBB verbreitet worden sind.
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Özcan Mutlu soll Opfer einer Intrige geworden sein
Mutlu fühlt sich durch den Fall Gelbhaar an sein eigenes politisches Schicksal erinnert. Auch er sei 2021, als er sich um einen Wiedereinzug in den Bundestag bemüht hatte, „durch gezielte Intrigen und falsche Beschuldigungen zur persona non grata erklärt“ worden. Es sei behauptet worden, er, Mutlu, habe wenige Tage vor den Wahlen, Türken als Mitglieder in die Partei geschleust, die ihm eine Mehrheit sichern sollten.
„Diejenigen, die von solchen Manövern profitieren, sind auffällig häufig dieselben Personen – Akteure, die mit gezielter Diffamierung unliebsame Konkurrenten systematisch ausschalten“, sagte Mutlu. Es dürfe nicht länger akzeptiert werden, dass Intrigen und Machtspiele in einer Partei, die Transparenz, Gerechtigkeit und Solidarität propagiert, zum Alltag gehörten, so Mutlu. Diese „destruktiven Strukturen“ müssten „ans Licht gebracht und konsequent hinterfragt“ werden.