Berlin. Russlands Angriff gilt auch ukrainischen Rohstoffen. Der Plan ist perfide, aber er wirkt. Doch Selenskyj lockt Trump mit einem Deal.
Seit Wochen liefern sich ukrainische und russischen Truppen schwere Kämpfe rund um die Kleinstadt Kurachowe in der Region Donezk. Die russische Armee setzt auf dem Vormarsch nach Westen Artillerie, Fliegerbomben und Drohnen ein, die Stadt ist weitgehend zerstört, den Verteidigern droht die Einkesselung. Die Lage sei sehr schwierig, räumt der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj ein, aber Kurachowe soll so lang wie möglich gehalten werden: Die Stadt ist nicht nur strategisch wichtig, bedeutend ist auch, was unter der Erde liegt. Wenige Kilometer westlich befindet sich bei Schewtschenko eines der größten Lithium-Vorkommen Europas. Ein Milliarden-Schatz.
Lithium gilt als „weißes Gold“ oder „als Öl des 21. Jahrhunderts“, man braucht es für Handyakkus ebenso wie für Autobatterien, es ist unverzichtbar für die Energiewende und den Umstieg auf Elektromobilität. Bis Ende des Jahres dürften die Russen das Gebiet eingenommen haben. Ein Triumph für Wladimir Putin: Denn in der Ukraine führt der Kremlherrscher einen Krieg auch um Rohstoffe.
Lesen Sie auch: Ukraine in Not: Putin macht Druck - jetzt muss Trump liefern
„Das Land hat große Vorkommen an Eisen, Titan und Lithium“, erklärt die bundeseigene Gesellschaft für Außenwirtschaft GTAI in Berlin. Von 30 Rohstoffen, die die EU als kritisch einstuft, habe die Ukraine 22. Ein Drittel der erkundeten Lithium-Vorkommen Europas liegen hier, insgesamt 500.000 Tonnen, bei Gallium steht die Ukraine weltweit auf Platz zwei nach China, bei Titan zählt das Land zu den zehn wichtigsten Standorten, dazu kommen die zweitgrößten Erdgasvorkommen in Europa. Geostrategisch von großer Relevanz, finanziell auch: Experten des kanadischen Thinktanks SecDev taxieren die Bodenschätze auf etwa 26 Billionen Dollar, die Gebiete unter russischer Kontrolle eingerechnet.
Spät spielt Selenskyj diese Karte nun aus. In seinem neuen Siegesplan bietet er dem Westen eine Kooperation bei der Nutzung der Bodenschätze an. Die Ukraine verfüge über Rohstoffe „im Wert von Billionen US-Dollar“, erklärte er kürzlich in Brüssel. Selenskyj nannte „Uran, Titan, Lithium, Graphit und andere strategisch wertvolle Ressourcen, die im globalen Wettbewerb einen erheblichen Vorteil darstellen.“ Sein Angebot: Mit strategischen Partnern wolle die Ukraine ein Sonderabkommen für den gemeinsamen Schutz, Investitionen und Nutzung der kritischen Ressourcen abschließen. Deren Raub gehöre, warnt Selenskyj, zu den wichtigsten Zielen Russlands im Krieg.
Experte: Bei Russlands Überfall ging es auch um die Bodenschätze
„Dass Selenskyj in seinem Siegesplan die Bodenschätze ins Spiel bringt, überrascht mich nicht, nur der späte Zeitpunkt wundert mich“, sagt der Wirtschaftswissenschaftler Ulrich Blum, Geschäftsführer des Deutschen Lithiuminstituts, unserer Redaktion. Der frühere Präsident des Instituts für Wirtschaftsforschung in Halle (IWH) ist ein Experte für Wirtschaftskriege und Kenner der ukrainischen Rohstoff-Ressourcen. „Es wäre viel vernünftiger gewesen, das Angebot vor ein oder zwei Jahren zu thematisieren, als entsprechende Gebiete wie das bei Kurachowe noch nicht vom russischen Vormarsch bedroht waren“, sagt Blum. Der Ökonom ist sicher: „Russlands Überfall auf die Ukraine war auch von wirtschaftlichen Interessen geleitet.“
Russland habe recht früh verstanden, dass das Zeitalter von Kohle, Öl und Gas zu Ende gehe, sein Einfluss als Lieferant fossiler Energieträger schwinde. „Für sein Geschäftsmodell als Rohstofflieferant benötigt es deshalb die postindustriellen Ressourcen, die für den Westen unverzichtbar sind“, erklärt Blum. Deren reichhaltigste Vorkommen in Europa lägen in der Ukraine. „Diese Vorkommen will Putin unter seine Kontrolle bekommen – und verhindern, dass die Rohstoffe an den Westen fallen, die Ukraine zum Konkurrenten wird und zugleich eine wirtschaftlich realistische Aufbau- und Internationalisierungschance bekommt.“ Auch der CDU-Sicherheitspolitiker Roderich Kiesewetter warnt: „Russland will die Lithiumvorkommen, um uns abhängig zu machen von der Energiewende mit Blick auf Elektromotoren.“ Der Konflikt sei „auch eine extrem wirtschaftliche Frage“.
Das Selenskyj diesen Konflikt nun offensiv thematisiert, geht offenbar auch auf Anregungen von US-Politikern wie dem Trump-Verbündeten Lindsey Graham zurück. Es könnte darauf hinauslaufen, dem künftigen Präsidenten Donald Trump eine Art Deal anzubieten – weitere militärische Unterstützung der Ukraine gegen Zugang zu Rohstoffen. Graham gehörte einer US-Delegation an, die sich im August mit ukrainischen Regierungsvertretern traf. Anschließend erklärte das Wirtschaftsministerium in Kiew, es werde eine engere Kooperation bei kritischen Rohstoffen geprüft: US-Unternehmen sollten ermutigt werden, in Erschließung und Ausbeutung der Vorkommen zu investieren.
Selenskyjs Angebot im Siegesplan gilt als kluger Schachzug: „Trump will Gewinner sein“
Die Ukraine sitze auf einer Goldgrube, sie könnte das reichste Land in ganz Europa sein, schwärmt Graham. Man dürfe nicht zulassen, dass Putin diese Ressourcen bekomme und sie mit China teile. Genauso argumentiert Selenskyj. Das Angebot im Siegesplan, zu dem ein geheimer Anhang gehört, sei „ein kluger Schachzug, um zu zeigen, dass die Ukraine keine Belastung für den Westen ist“, lobt Oleksandr Merezhko, der im ukrainischen Parlament den Auswärtigen Ausschuss leitet: „Trump will ein Gewinner sein, kein Verlierer.“
Noch wäre es nicht zu spät: Russland hat zwar im Donbass schon erhebliche Teile der ukrainischen Bodenschätze unter Kontrolle, vor allem Steinkohle und Metallerze. Aber viele Ressourcen liegen eher im Zentrum des Landes, Öl und Gas im Nordosten. Das Problem: „Die Ukraine hat versäumt, internationale Investoren ins Boot zu holen“, sagt Ökonom Blum. „Sie hat mindestens 10 bis 15 Jahre verschlafen.“ Inzwischen sei das Risikoprofil in der Region hoch. „Investoren halten sich auch in den nicht von Russland besetzten Gebieten zurück.“ Die Abbaurechte für das Lithium-Vorkommen bei Kurachowe etwa hatte 2021 das australische Unternehmen European Lithium erworben, vor einem Jahr verzichtete es auf seine Ansprüche – das Feld liege zu nahe an der Frontlinie.
Auch deshalb ist unklar, wie schnell Selenskyjs Siegesplan-Offerte nun Investoren auf den Plan locken könnte. Dringendes Interesse gäbe es auch in Europa. Die EU hatte acht Monate Jahr vor Kriegsbeginn eine strategische Rohstoffpartnerschaft mit der Ukraine geschlossen. Das Land könnte wichtiger Teil der industriellen Lieferkette in der EU werden, meinte der damalige Ministerpräsident Denys Schmyhal. Ist die Ukraine erst EU-Mitglied, würde sie der Union verstärkt bei ihrem ehrgeizigen Ziel helfen, bisherige Rohstoff-Abhängigkeiten abzubauen.
Blum rät den Europäern dazu, Selenskyj eine Art „Cocktail“ anzubieten. Die Offerte könnte lauten: „Wir nutzen die Rohstoffe, aber gleichzeitig bauen wir eine Industrie auf, die die Rohstoffe weiterverarbeitet und damit wettbewerbsfähige Beschäftigung schafft.“ Es würde auch die große Sorge mildern, wie sich der Wiederaufbau der Ukraine finanzieren ließe. Ein global wettbewerbsfähiger Wiederaufbau werde etwa 8 Billionen Dollar kosten, schätzt Ökonom Blum. Viel Geld, aber weniger als der Billionen-Bodenschatz wert ist.
Lesen Sie auch: Wer bezahlt den Wiederaufbau der Ukraine?