Düsseldorf. Eltern und Lehrer sind häufig mit übermäßigem Medienkonsum Minderjähriger überfordert. Nützt ein Handy-Verbot? Experten streiten.

Ein landesweites Handy-Verbot an Schulen kann Kinder und Jugendliche aus Sicht einer Expertin für digitale Medizin besser vor Mediensucht und psychischen Krankheiten schützen. Ein solches Verbot könne den Gruppenzwang zum Handy reduzieren und Eltern entlasten, argumentiert die klinische Psychologin Ira-Katharina Petras von der Uniklinik Aachen in einer Stellungnahme an den nordrhein-westfälischen Landtag. Dort ist der Einfluss von Medien auf die Gesundheit von Kindern an diesem Donnerstag Thema einer Sachverständigen-Anhörung auf Antrag der SPD-Opposition.

Eltern hätten oft Angst, ihre Kinder könnten ohne Smartphone zu digitalen Außenseitern werden und stellten ihnen daher häufig viel zu früh Handys zur Verfügung, warnt Petras in einem umfassenden Empfehlungskatalog. In den Stellungnahmen der anderen Sachverständigen taucht die Forderung nach einem Handy-Verbot nicht auf.

SPD will für Risiken von übermäßigem Medienkonsum sensibilisieren

Die SPD fordert in ihrem Antrag unter anderem, Behandlungsstrukturen aufzubauen, die erkrankte Kinder und Jugendliche in Spezial-Ambulanzen bestmöglich versorgen. Eltern und Lehrpersonal seien „für die Risiken und Nebenwirkungen von übermäßigem Medienkonsum zu sensibilisieren“. Dazu sollen medienfreie Zeiten in den Alltag integriert werden - zum Beispiel in der Kita, Schule oder vor dem Schlafengehen.

Mehrere Experten monieren, die SPD stelle zu stark auf die Risiken digitaler Medien ab und vernachlässige die damit verbundenen Bildungschancen sowie das Recht von Kindern und Jugendlichen auf digitale Teilhabe. Digitale Medien seien bereits heute selbstverständlicher Bestandteil ihrer Lebenswelt, argumentiert Julius Keinath, ein Fachreferent für Jugendmedienschutz aus Schleswig-Holstein. Sie nutzten diese Medien auch zur Sozialisierung mit Gleichaltrigen oder zur Informationsrecherche für politische Meinungsbildung.

Experten: Medienkompetenz langfristig in Lehrplänen verankern

Eine zu einseitige quantitative Betrachtung der Bildschirmzeit könne keine Grundlage bieten, um digitale Medien grundsätzlich als schädlich darzustellen. Damit Kinder für sich die Vorteile und Chance digitaler Medien nutzen können, müsse Medienkompetenz langfristig als grundsätzliche Erziehungs- und Bildungsaufgabe in Schulen und Lehrplänen verankert werden.

Die Psychologin Petras betont, um Risiken digitaler Medien zu verstehen, sei es wichtig, den Blick über die reine Mediennutzung hinaus zu weiten und das soziale Umfeld in den Blick zu nehmen. Viele Kinder wüchsen heute in einem schwierigen sozialen Umfeld auf, in dem ihre Grundbedürfnisse vernachlässigt würden und sie nicht die nötige Unterstützung für eine gesunde Entwicklung erhielten. „Kinder und Jugendliche mit schädlichem oder pathologischem Internetgebrauch erfüllen oft online diese Grundbedürfnisse, die offline vernachlässigt werden.“

Warum ein Handy-Verbot durch Eltern kontraproduktiv sein könnte

Um Risiken krankhafter Mediennutzung vorzubeugen, müssten grundlegende Fähigkeiten bei Kindern gestärkt werden, wie Emotionsregulation, soziale Kompetenz, Selbstwert, Selbstwirksamkeitsempfinden und Reflexionskompetenz. Ein wichtiger Schutzfaktor sei zudem eine positive Eltern-Kind-Beziehung, „die durch eine vertrauensvolle, offene Kommunikation sowie eine aktive Medienerziehung geprägt ist“. 

Ein allgemeines Handy-Verbot an Schulen könne Eltern entlasten – ein durch die Eltern selbst durchgesetztes Verbot hingegen könne sogar kontraproduktiv sein, warnt Petras. Wenn Kinder Angst vor einem Medien-Verbot hätten, reduziere sich ihr Vertrauen und ihre Bereitschaft, ihren Eltern von unangenehmen oder unangemessenen Erfahrungen im Internet zu erzählen.

Welche positiven Effekte Mediennutzung haben kann

Matthias Begenat vom Center for Advanced Internet Studies in Bochum unterstreicht die zentrale Rolle, die Gaming und soziale Medien im Alltag auch junger Menschen spielen „als Orte der Freizeitgestaltung, Unterhaltung und des sozialen Austauschs“. Positive Effekte dürften nicht vernachlässigt werden, wie „die potenzielle Stärkung des logischen Denkvermögens, die Fähigkeit zur Problemlösung oder auch die Entwicklung von sozialen Kompetenzen wie Teamwork und Empathie“. (dpa)