Zeulenroda. In Stelzendorf gibt es Kaffee, Kuchen und eine Gastgeberin, die engagierte Menschen zusammenbringt. Ein Ortsbesuch an einem historischen Tag.
„Frieden.“ Das Wort steht auf einigen der Zettel, die an einem Baum angebracht sind. Es ist ein Wunschbaum. Der fällt sofort auf, betritt man den Hof von Doreen Bergmann in Stelzendorf. In Bergmanns Patisserie kommen sie zum Teil von weither und sprechen über das, was sie im Innersten bewegt. Mitten in diesem kleinen Dorf hat die Tortenkünstlerin, die eigentlich Juristin ist, mit ihrem Mann und ihren Kindern einen ungewöhnlichen Begegnungsort geschaffen.
Genau darum geht es Doreen Bergmann auch. „Das Wichtige für uns ist, dass wir hier einen guten Platz schaffen“, sagt sie. Ihr Café ist an diesem Mittwoch voll. Es ist ein bewegender Tag für die Welt. Morgens wacht Deutschland auf und Amerika hat mit Donald Trump einen neuen Präsidenten gewählt, der die Welt in Unsicherheit stürzen könnte. Abends zerplatzt in Berlin die Ampel-Regierung.
Wer nach Stelzendorf will, fährt von der Autobahn ab und dann kilometerweit ins Land, bis man nach einer Linkskurve die kleine evangelische Kirche erblickt, in deren Nachbarschaft der Hof der Bergmanns liegt. „Rezepte für die Demokratie“ - dieses Gesprächsformat, das am Mittwoch hier von der „Thüringischen Landeszeitung“ (TLZ) veranstaltet wird, passt nicht nur zu diesem Tag. Es passt in die Zeit, in der viel Unsicherheit herrscht. Dass Thüringen gerade einen neuen Landtag gewählt hat, in dem eine rechtsextreme Partei stärkste Kraft wurde, das treibt auch die Menschen hier um. Was passiert jetzt in Thüringen? Wie geht es politisch weiter? Welche Sorgen treiben die Menschen um? Was führt sie dazu, sich in großer Zahl Strömungen anzuschließen, die einfache Lösungen für komplexe Probleme versprechen?
Alle, die in an diesem Nachmittag nach Stelzendorf gekommen sind, wollen der um sich greifenden Demokratieverdrossenheit etwas entgegensetzen. Jede und Jeder auf ganz eigene Art, gerade weil Thüringen in den vergangenen Monaten so viele negative Schlagzeilen gemacht hat.
Lucia Amor Pérez mit Ehemann Raoni Hybner de Barros haben die Welt kennengelernt und sind in Gera heimisch geworden. „Ich habe niemals so viel Liebe von den Menschen erfahren wie hier“, sagt die Opernsängerin, die in New York studiert und in Wien und Madrid gelebt hat. Und ihr Mann unterstreicht: „Wir sind so fröhlich hier.“ Die Fröhlichkeit darüber spricht nicht nur aus ihren Worten, sie spricht an diesem Nachmittag auch aus ihrem Gesang.
Engagierte Menschen erzählen aus ihrem Alltag, sie beschreiben, wie sie ihren Beitrag dazu leisten, die Demokratie im Land zu festigen. Oliver Rohleder ist einer dieser Menschen. Der Lehrer am Gymnasium in Zeulenroda ging einst mit Kippa auf eine Demo der AfD. Er habe, sagt er, wissen wollen, „wie weit wir schon wieder gekommen sind“. Für ihn ist dies wichtig: „Hast du einen Standpunkt? Dann vertritt ihn auch.“
Jörg Wittig ist einer dieser Menschen, die einen Standpunkt haben und ihn vertreten. Der Apotheker sagt: „Manchmal neigen Demokraten unter Druck dazu, die Feinde der Demokratie auszugrenzen.“ Er hält das für einen Fehler, er will die Menschen von der Demokratie überzeugen.
Der Nachmittag in Stelzendorf ist geprägt von diesen Erzählungen. Julia Becker hört aufmerksam zu. Die Verlegerin der FUNKE-Mediengruppe, zu der auch diese Redaktion gehört, hatte sich mit dem Besuch in der Patisserie einen langen Wunsch erfüllt. Sie spricht mit großer Hochachtung von all den engagierten Menschen, die hier zusammenkommen sind, sich kennenlernen und „Rezepte für die Demokratie“ austauschen. „Das, was Ihr macht, das ist ein großer Beitrag für die Demokratie.“ Sie verweist auf die aktuelle Lage, in der sich die Welt so „irre schnell weiterdreht“. Und skizziert, welchen Beitrag gerade auch Medien leisten können und müssen, um am Erhalt der Demokratie mitzuwirken. „Mit den Menschen reden, nicht über sie“, gibt Becker als „Rezept für die Demokratie“ aus und stößt damit auf große Zustimmung.
Einer, der versucht, vor allem positive Nachrichten aus seinem Lebensumfeld den Menschen nahe zu bringen, ist der Fahrschullehrer Mike Fischer, der vor mehr als drei Jahrzehnten mit einem Trabant angefangen und mittlerweile ein großes Unternehmen aufgebaut hat. In Gera, das als ehemalige Bezirkshauptstadt nach der Wende vor allem unter dem Wegzug von jungen Menschen und dem Wegfall von Arbeitsplätzen gelitten hat, sendet Fischer einen Podcast: „Geraer Stadtgeflüster“. Dort wolle er ausnahmslos Positives verbreiten, betont Fischer.
Das gelingt auch im realen Leben, „im kleinsten Dorf Deutschlands“, das er mitten im Stadtzentrum aufgebaut hat. Es ist ein Begegnungsort in einer Stadt mit mehr als 80.000 Einwohnern. So, wie die Patisserie ein Begegnungsort ist in einem Dorf mit weniger als hundert Einwohnern.
Es gibt viele hoch engagierte Menschen in Thüringen. Sie in den Mittelpunkt zu stellen und zu vernetzen, das gelingt an diesem Nachmittag in Stelzendorf – einem Ort, der Raum gibt für die Wünsche der Menschen. Am Wunschbaum von Doreen Bergmann lässt sich das nachlesen. Materielles spielt dort übrigens fast keine Rolle, sondern vor allem: „Frieden und Gesundheit“.