Berlin. Es soll keine „spontanen Entscheidungen“ über die Zukunft der Regierung geben. Doch die Fliehkräfte sind immer schwerer zu kontrollieren.
Die Parteien der Ampel-Koalition haben sich in den vergangenen Jahren oft gegenseitig im Weg gestanden. Es würde zu dem Bündnis passen, wenn es nun über die eigenen Füße in die Trennung stolperte. Wer sich in der Koalition umhört, gewinnt den Eindruck, dass die Lage außer Kontrolle geraten könnte. Dass sich Fliehkräfte entwickeln, wodurch die einen zu schwach sind, den Bruch zu verhindern. Und die anderen zu kraftlos, um sich gegen die Versuchung zu wehren.
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Diese Gefahr besteht auch nach Ansicht der Beteiligten offenbar durchaus. Die Frage nach den Plänen der FDP für diese Woche könne sie nicht beantworten, äußerte sich SPD-Chefin Saskia Esken vorsichtig. „Der Bundeskanzler und der Bundesfinanzminister haben sich versichert, dass es bis Mittwoch keine spontane Entscheidung gibt“, erklärte FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai zumindest. Aber dann? Am Mittwochabend kommen die Koalitionsspitzen zur möglicherweise entscheidenden Krisensitzung zusammen.
Ampel-Krise: Kanzler Scholz bemüht sich, seinen Laden zusammenzuhalten
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Am Sonntagabend hatte Kanzler Olaf Scholz bereits den FDP-Chef und Finanzminister Christian Lindner im Kanzleramt empfangen. Das Treffen war seit einiger Zeit geplant und dem Vernehmen nach keine Krisensitzung infolge des Wirbels, den Lindner mit seinem Grundsatzpapier zur Wirtschaftspolitik ausgelöst hatte. In dem Papier fordert der Finanzminister einen grundlegenden Kurswechsel, es enthält einige für die Koalitionspartner schwer zu schluckende Kröten wie die endgültige Abschaffung des Solidaritätszuschlags (SPD) oder die Aufweichung der Klimaziele (Grüne).
Scholz bemüht sich nun, seinen Laden zusammenzuhalten. Bis zur Runde der Koalitionsspitzen am Mittwochabend sind im Kanzlerkalender tägliche Besprechungen mit Lindner und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) geplant. „Da passiert gerade vieles unter Hochdruck“, berichtete Scholz‘ Sprecher Steffen Hebestreit. Am Mittwochabend wollen Scholz, Lindner und Habeck einen Vorschlag für den Bundeshaushalt des nächsten Jahres machen, der bereits am 14. November beschlussreif dem Haushaltsausschuss des Bundestags vorliegen muss. Zudem sollen aus den Ideen aller Seiten zur Stabilisierung der schlingernden Wirtschaft ein „Gesamtkonzept“ entstehen, fügte Hebestreit hinzu.
Die FDP erwartet am Mittwochabend „sehr konkrete“ Beschlüsse
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Ob das gelingt, ist offen. Der Bundeskanzler dürfte Lindner am Sonntagabend klargemacht haben, dass manche seiner Forderungen nicht verhandelbar sind. Dem Drängen des FDP-Politikers nach Bürokratieabbau kann sich die SPD durchaus anschließen. Esken nennt Lindners Papier jedoch einen „Beitrag zum Wahlkampf“, sie sehe darin keinen Punkt, der Deutschland helfen könne. Die Erwartung der FDP ist nach den Worten von Djir-Sarai aber, dass auf Grundlage von Lindners Papier am Mittwochabend „sehr konkrete Dinge“ beschlossen werden, um der deutschen Wirtschaft Impulse zu geben.
Offen ist, welche Schlüsse Lindner zieht, wenn ihm das Entgegenkommen der Koalitionspartner nicht reicht. Die Zustimmung zur FDP in der Bevölkerung ist seit Beginn der Legislaturperiode eingebrochen: In den Umfragen liegt die FDP bei drei bis vier Prozent. Lindner könnte in der Flucht nach vorne die letzte Chance auf Rettung sehen.
SPD-Chefin mahnt Lindner: „Es geht jetzt nicht um einen Showdown“
„Es geht jetzt nicht um einen Showdown“, warnte SPD-Chefin Esken. Noch nie ist in dieser Koalition so offen über die Möglichkeit diskutiert worden, dass die FDP die Regierung verlässt oder den Rauswurf provoziert. Vorgezogene Neuwahlen wären die wahrscheinlichste Folge. Die Linie der SPD ist klar: Die Sozialdemokraten wollen den Koalitionsbruch verhindern. „Alle müssen sich am Riemen reißen“, forderte Generalsekretär Matthias Miersch. „Weglaufen gilt nicht.“
Auch bei den Grünen ist man bemüht, die Koalition zusammenzuhalten. Ein kurzfristig angesetztes Statement von Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck am Nachmittag hatte vor einem eine zentrale Botschaft: Die Lage – in den USA, in der Ukraine, aber auch in Deutschland – sei zu ernst, um jetzt die Regierung platzen zu lassen. „Dies ist die schlechteste Zeit dafür, dass die Regierung scheitert“, sagte Habeck. Konkret gibt es aus seiner Sicht zwei Aufgaben, auf die sich die Regierung jetzt konzentrieren sollte. Die Umsetzung der Wachstumsinitiative, von der sich die Ampel bis zu einem halben Prozentpunkt Wirtschaftswachstum verspricht. Und die Einigung auf den Haushalt. Ohne den Haushalt, warnte Habeck, drohe eine „Hängepartie“: „Hängepartie oder Handlungsfähigkeit, das ist hier die Alternative.“
Jetzt gehe es darum, dass sich alle Koalitionspartner aufeinander zu bewegen. Sein Angebot, wo die Grünen den anderen entgegenkommen könnten: Die 10 Milliarden Euro Förderung aus dem Klima- und Transformationsfonds, die für Intel gedacht waren, könnten genutzt werden, um die Haushaltslücke zu stopfen. Unter anderem das hatte Christian Lindner gefordert.
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Am Montagnachmittag äußert sich Scholz schließlich erstmals persönlich zu der aktuellen Krise seiner Regierung: „Die Regierung wird ihre Aufgaben erledigen. Ich bin der Kanzler“, sagt Scholz auf einer Pressekonferenz mit Nato-Generalsekretär Mark Rutte. „Es geht darum, dass wir in ernsten Zeiten die Herausforderungen bewältigen, vor denen wir stehen.“ Wirtschaft und Arbeitsplätze sieht der Kanzler jetzt im Fokus. In die Karten seiner laufenden Gespräche lässt er sich nicht gucken. Allerdings warnt der Kanzler alle Beteiligten: „Es geht um Pragmatismus und nicht um Ideologie.“